Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Es ist kompliziert

In der theatralen Verhandlung „Köln klagt sich an“ stehen wir alle vor Gericht.

„Liebe deine Stadt“ steht groß über der Nord-Süd-Fahrt. Und wir Kölner lieben unsere Stadt! Das beweisen schon die zahlreichen karnevalistischen Liebeslieder. Leicht macht sie, diese unsere Stadt, es uns allerdings nicht: Das Schauspiel eine einzige Baustelle, die städtische Personalpolitik hinterlässt derzeit nur noch Kopfschütteln, Albert Speers ambitionierte städtebauliche Master-Pläne von 2008 schlagen wahrscheinlich in irgendeiner Schublade Wellen und der Einsturz des Stadtarchivs macht auch nach zehn Jahren noch fassungslos.

Und so beginnt das Stück „Eine Stadt klagt sich an“ des Theaterkollektivs Futur3 mit einem Prolog aus wütendem Köln-Bashing. „Köln ist Provinz – das Problem ist, wenn man es nicht weiß“ ist nur eine der – nicht ganz unwahren – Feststellungen. Dazu erklingt im leisen Live-Gesang die Textzeile „zieh nicht an den Rhein“ (Musik: Mariana Sadovska) als gut gemeinter Rat einer Mutter. Dies bildet aber nur den furiosen Auftakt zu einer Gerichtsverhandlung der Stadt Köln und ihrer Bürgerinnen und Bürger gegen die Stadt Köln und ihre Bürgerinnen und Bürger.

Stefan H. Kraft und Anja Jazeschann in "Eine Stadt klagt sich an" von Futur3. Foto: ©MEYER ORIGINALS
Stefan H. Kraft und Anja Jazeschann in „Eine Stadt klagt sich an“ von Futur3. Foto: ©MEYER ORIGINALS

Recherchen führen zu Anklagen

Die Richterinnen des inoffiziellen Bürgergerichts sind Kinder (Hafia Erlen, Thea Kraft), denn es geht um Straftaten gegen Vergangenheit und Zukunft in einem Zeitraum von fast 2000 Jahren. So weit, so plakativ. In einer Recherche hatte Futur3 mit Kölnerinnen und Kölnern gesprochen und so die Anklage- und Verteidigungstexte in 60 Stunden Tonaufnahmen zusammengetragen – wobei, das muss selbst die liebende Kölnerin eingestehen, die Verteidigung meist recht dünn ausfällt. In wechselnder Rollenverteilung der drei Akteure (André Erlen, Stefan Kraft, Anja Jazeschann) wird die monopolistische Zeitungslandschaft angeklagt, auch das Müll-Monopol oder die nicht funktionierende Verwaltung. Der Fall der Kölnarena wird aufgerollt, interessante Details über die Finanzierung zum Beispiel der Parkplätze, die die Stadt für Millionenbeträge pro Jahr mietet, obwohl sie gar nicht genutzt werden. Von der Kölner Lokalpresse wird diese – laut Gerichtsverhandlung bei Futur3 – „legale Plünderung der Stadtkasse“ nicht unbedingt kritisch aufgegriffen, gehörte doch der damalige Verleger zu den Zeichnern und damit Profiteuren des Konstruktes.

Die von den Schauspielern vorgetragenen Berichte sind im besten Fall anekdotisch, oft recht kompliziert, eine dramaturgische Zuspitzung der meist bekannten Tatsachen fehlt. Zwischen Anklage und Verteidigungsrede zu unterscheiden fällt schwer, alles wirkt ausgeglichen und auch die Kinder-Richterinnen können keine Schärfe in die Verhandlung bringen. So sammeln sich im Laufe der Verhandlung die symbolischen Beweisstücke um den Dom ohne Türme in der Mitte der Spielfläche. Dass hier schon früher nichts geklappt hat, soll er wohl ausdrücken. Oder doch den Aufbruch? Immerhin ist es der Bauzustand nach Fertigstellung des Langhauses und kurz vor dem Weiterbau der Türme Mitte des 19. Jahrhunderts unter preußischer Herrschaft. „Ein bisschen mehr Preußen täte Köln gut“, heißt es dann auch im Stück – und Berlin wird als Vorbild zitiert. Da müssen wir wohl was falsch verstanden haben, liefern sich Köln und Berlin doch ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen in Sachen Unfähigkeit.

Anja Jazeschann in "Eine Stadt klagt sich an" von Futur3. Foto: ©MEYER ORIGINALS
Anja Jazeschann in „Eine Stadt klagt sich an“ von Futur3. Foto: ©MEYER ORIGINALS

Stadtarchiv emotional

Im zweiten Teil von „Köln klagt sich an“ wandeln sich Ton und Stimmung – der traurige Monolog einer Anwohnerin (Anja Jazeschann) des Stadtarchivs beschreibt die Zeit vor und nach dem Einsturz. Auch hier sind die meisten Tatsachen bekannt, werden aber nach zehn Jahren noch einmal auf einer anderen Ebene nahe gebracht und gewinnen durch die jüngst gesprochenen Urteile an Aktualität. Auch im Stück wird – irritierend überraschend – ein Urteil gesprochen. Noch überraschender führt der Epilog in den Vorraum, wo die Zuschauer elf Minuten lang in Kleingruppen an der Lösung der Kölner Probleme arbeiten dürfen. Zumindest nach der Premiere lässt sich sagen, dass dazu wahrscheinlich mehr als elf Minuten nötig sind.

Vera Lisakowski

Informationen zum Stück

Die Aufführungen bis 13. Februar 2019 im Pfarrsaal St. Michael sind bereits ausverkauft. Weitere Vorstellungstermine werden unter www.futur-drei.de bekannt gegeben.