Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Von der Aneignung des Alten

Interview: Architektur mit Christian Heuchel, O&O Baukunst, über den Umbau des Gerling-Rundbaus zum 25hours Hotel.

Um den Umbau des Gerling Quartiers rankt sich eine Geschichte mit teilweise zähen Längen und unklarem Ausgang. Eine dramatische Wende zum Happy End gab es mit der Eröffnung des 25hours Hotel The Circle. O&O Baukunst haben den imposanten Rundbau saniert, Werner Aisslingers Team war für die Innenausstattung zuständig.

Christian Heuchel leitete das Projekt. „Die Aneignung des Alten“ ist für ihn „der letzte Vorsprung, den wir gegenüber der internationalen Architekturretorte noch haben“. Im Gespräch mit ihm erfuhren wir, wie er sich ihn nutzbar gemacht hat, was das alles mit Wien zu tun hat und noch so manches mehr.

 

Spannende Melange: Die Architekten Sobotka / Müller errichteten den Rundbau der Gerling Versicherungszentrale in den 60er Jahren, O&O Baukunst brachten ihn ins Heute und Werner Aisslinger entwarf das Innenleben. Seit August kann man sich anschauen, was dabei heraus gekommen ist. @ O&O Baukunst

 

Hr. Heuchel, seit wann gibt es die O&O Baukunst in Köln?

Christian Heuchel: Als junger Student der Klasse Baukunst an der Kunstakademie Düsseldorf habe ich im Jahre 2000 Laurids Ortner kennengelernt. So bin ich schon früh mit der Welt von Haus-Rucker-Co in Kontakt gekommen, der „Architekten-Künstlergemeinschaft“, die die Verbindung von Kunst und Architektur ausloteten. Erste Projekte für das Büro Ortner & Ortner Baukunst in Düsseldorf gaben mir die Möglichkeit, mich immer mehr in die „Familie“ einzufinden, quasi die Baukunst mit der Muttermilch aufzunehmen. Ich leitete dem Standort in Düsseldorf noch als Mitglied der Architektengruppe rheinflügel, entstanden in den Räumen der Kunstakademie. Doch Düsseldorf fügte sich nicht so recht in unsere architektonische Welt. Gewonnene Wettbewerbe wie die Umplanung des RTL Geländes in Köln Müngersdorf und die Firmenzentrale beeline in Deutz ließen uns 2006 nach Köln ziehen. Mittlerweile ist O&O Baukunst nicht mehr aus der Architektenlandschaft in NRW und Köln wegzudenken.

Köln fügt sich also besser in Ihre architektonische Welt als Düsseldorf…

Christian Heuchel: Mich interessiert das zusammengewürfelte Stadtbild von Köln. Es ist wie ein unsortiertes Knäuel, in dem Relikte aus der Römerzeit neben typischer 50er Jahre Architektur stehen. Damit bietet es einen guten Nährboden für die zukünftige städtebauliche Entwicklung. Es ist diese eigenartige Melange, die Köln so besonders macht. Außerdem ist Köln sehr musikalisch. Keine andere Stadt hat so viele Lieder, die sie umschreiben. Eine Stadt färbt immer auch auf ihre Bewohner ab.

In Köln sind wir zu wichtigen städtebaulichen Projekten eingeladen worden. Unsere Ideen werden in den Masterplänen für das Heliosgelände Ehrenfeld und für die Parkstadt Süd umgesetzt. Zurzeit entwickeln wir, nur einen Steinwurf von unserem Büro entfernt, ein Gebäude für die neue MesseCity Köln. Wir benutzen als „Gruss an den Dom“ den historischen Stein des Domes für den Sockelbereich. Die oberen Fassaden nehmen den Ton der historischen Messehallen auf. Einfache architektonische Mittel, die einprägsame und nachhaltige Bilder erzeugen sollen. Uns interessiert das Spezifische von Köln. Bei unseren Projekten entsteht ein Dialog zwischen dem Gebäude und seinem Kontext.

 

Nicht nur für den Rundbau, sondern auch für weitere Gebäude der Südspange des Gerling Quartiers haben O&O Baukunst Aufstockungen vorgeschlagen, mit Stein verkleidete Vollgeschosse und Staffelgeschosse aus gold eloxiertem Stahl. Was damit aber jetzt wird, liegt in der Hand der neuen Besitzers. @ O&O Baukunst

 

In Köln angelandet, wie kam dann der Kontakt mit den Betreibern von 25hours zustande?

Christian Heuchel: Wir wurden von befreundeten Planern gefragt, ob wir uns zutrauen, für die Immofinanz Wien die denkmalgeschützte Südspange im Gerling Quartier zu entwickeln und umzubauen. Diese besteht aus insgesamt fünf Gebäuden. Da wir ja auch „Wiener“ sind und der Umbau des Gerling Konzerns DAS Thema in Köln ist, sagten wir sofort zu.

Wir trafen die Geschäftsführer der 25hours Gruppe Ardi Goldmann und Christoph Hofmann im weißen Gerling Büro in der sogenannten Globalen, ein Baukörper im Gerling Quartier. Wir kannten Ardi Goldmann schon durch ein schillerndes Projekt, das wir für ihn in Frankfurter Ostend entwickeln sollten. Wer Ardi Goldmann kennt, weiß auch von seinem Faible für Westernhüte und seiner Ähnlichkeit mit Helge Schneider. Wirklich ein skurriler Gedanke, in ein historisches Gebäude die Ideen der 25hours Gruppe zu implementieren. Dann kam noch die Ideenwelt von Werner Aisslinger dazu. Das versprach Spannung.

 

Wehrhaft, radikal, utopisch: Hans Gerling hat sich was getraut. @ O&O Baukunst

 

Das Wiener Büro baut für einen Wiener Entwickler, da war viel Wiener Charme am Werk.

Christian Heuchel: Wissen Sie, wir haben nie über Finanzen gesprochen. Das ist vielleicht typisch wienerisch: gerne mal überheblich, aber so verdammt entscheidungsfreudig! Es war völlig klar, was muss, das muss, da gab es keine Diskussionen.

 

Klingt so, als würden Sie Hans Gerling beschreiben.

Christian Heuchel: Der hat sich was getraut: So einen Komplex hineinzusetzen in die Kleinteiligkeit der Altstadt, alles im Oversized Format. Die Radikalität in der Planung der 60er Jahre! Das Utopische, die großen Foyers, die homogene Fassade, der Stein. Ein tolles Ensemble, das in einer Art Dornröschenschlaf liegt. Das Gebäude schien nur darauf zu warten, wach geküsst zu werden. Und es gab noch die vielen namhaften Architekten, die sich abgemüht haben, das Quartier zum Blühen zu bringen. Ich glaube, wir werden es schaffen.

 

Was genau war der Umfang Ihres Projektes?

Christian Heuchel: Wir sollten das vorhandene Gebäude in kürzester Zeit in ein benutzbares Hotel verwandeln. Alle Planungsphasen waren verschoben. Es war kein normaler Planungsverlauf. Uns war es wichtig, die spezielle Atmosphäre zu bewahren und die Geschichte des Hauses sensibel in die Gegenwart zu überführen. Wir haben für das Hotel ein hochwertiges, einzigartiges Ambiente geschaffen, das die lokale Identität widerspiegelt, aber auch internationales Flair vermittelt. Der perfekte Ort für den urbanen, kosmopolitischen Reisenden im Herzen des Friesenquartiers in Köln.

 

Die Schalterhalle in XXL, dabei gab es nur sehr wenig Privatkundendienst bei Gerling, versichert wurden vor allem Industrieunternehmen. Hier der Zustand vor der Sanierung. @ O&O Baukunst

 

Gab es bereits Vorplanungen, auf die Sie aufgesetzt haben?

Christian Heuchel: Für die gesamte Südspange gab es keine Vorplanungen, die wir wirklich benutzen konnten. Es gab zwar erste Ideen zu Projekten. Die helfen nicht wirklich weiter. Weil bei Altbausubstanz doch nichts so ist wie erwartet. Am besten erscheint mir in Linie zu planen und zu bauen. Alles andere führt zu totaler Orientierungslosigkeit. Es ist doch immer wieder verblüffend, wie intensiv eine Planung sein muss.

 

Die 60er Jahre Bausubstanz barg bestimmt so manches Unerwartete. 

Christian Heuchel: Es gab jeden Tag Überraschungen. Fehlende Aufmaße, dünne Betondecken, Rost, Korrosion und ungeklärte Fundamente. Positiv war die Betonkonstruktion aus den 60er Jahren. Sie ist erstaunlich präzise. Wir bauen parallel ein neues Bürohaus in Frankfurt, dessen Betonkonstruktion ist nicht so präzise. Am Ende der Bauarbeiten haben wir im 2. UG den Grundstein der 60er gefunden, die sogenannte Zeitkapsel. Auf alten Bildern kann man deren „Versenkung“ sehen. Ein Relikt, das 70 Jahre im Boden lag. Eine Zeitreise.

 

Zwei Jahre hat die Planung gedauert, um die Steinfassade des Rundbaus originalgetreu wieder herzustellen. Die erneuerten Platten sind aus Dittfurther Stein; dieser Muschelkalk ist etwas heller als der originale Trosselfels, der von der Haltbarkeit her problematisch ist. Das denkmalgeschützte Gebäude hat ein zusätzliches, zurückversetztes Staffelgeschoss aus goldeloxiertem Stahl erhalten, das die Formensprache der 60er Jahre aufnimmt. @ O&O Baukunst

 

Was hat Ihnen am meisten Kopfzerbrechen bereitet bei der Modernisierung des 60er Jahre Gebäudes?

Christian Heuchel: Die denkmalgeschützte Natursteinfassade mit ihrer sehr speziellen Formensprache. Diese genauso wieder herzustellen, dass man den Eingriff nicht sieht. Zwei Jahre lang haben wir in Abstimmung mit der Denkmalbehörde und den Fachfirmen für Brandschutz, Tragwerk und Wärmedämmung an einer Lösung gebaut, die der Geometrie des Alten zu 99 % entspricht.

Der Reiz des Projekts liegt in seiner Einmaligkeit: Wo gibt es im Zentrum einer Stadt die Möglichkeit für einen Weltkonzern, seine Haltung durch eine homogene architektonische Sprache auszudrücken. In der Südspange reihen sich geometrische Grundformen wie Winkel, Kuben und Kreisformen aneinander. Eine homogene Natursteinfassade mit kräftiger vertikaler Lisenenstruktur, ausgeführt als wehrhafte, dreieckige Spitzen, umhüllt alle Baukörper.

Die Eingänge sind als große Gesten ausgebildet: grandiose Foyers mit ausdrucksstarken Deckenreliefs. Wiederkehrende Materialien wie große Glasflächen, durchgehende Steinböden, filigrane Leuchten und im Goldton gefärbte Stahlfassaden ergänzen das Gefühl der 50er-Jahre. Eine Zeit, in der man zeigen wollte, was man hat, beeindrucken wollte über ein weltmännisches Auftreten und beseelt war vom Gedanken des Fortschritts für eine moderne Welt.

Das Weiterbauen dieser Atmosphäre war die Herausforderung. Ein zeitgeschichtliches Objekt in die heutige Zeit zu transferieren, es wieder alltagstauglich zu machen. Dabei galt es, den Gebäuden auf subtile Weise ein neues, modernes Leben einzuhauchen. Durch den identischen Naturstein für das Fassadenmaterial des Bestandsgebäudes und den neuen Aufbau verschmelzen die Teile zu einem Ganzen.

 

Am 13. Januar 1964 wurde der Grundstein gelegt. Jetzt wurde er wieder gehoben. @ O&O Baukunst

 

Wie lief die Abstimmung mit der Denkmalpflege?

Christian Heuchel: Wir hatten immer einen perfekten Draht zur Denkmalbehörde. Sie konnte vielen unserer Gedanken folgen. Eine Interpretation des Baudenkmals und das Auffrischen waren ausdrücklich gewünscht. Ein historisches Gebäude muss heute wieder Teil der Gegenwart sein können.

 

Hatten Sie Spaß mit dem Team von Werner Aisslinger

Christian Heuchel: In der Konzeptphase konnten wir deren Referenz an die Utopien der 60er Jahre und das Wirtschaftswunder im Zusammenhang mit dem Gerling Quartier sehr gut verstehen. Die ersten mood boards waren mit Bildern von Haus-Rucker-Co bestückt, der „Oase für Zwei“, dem „Gelben Herz“ und dem „Mindexpander“ aus den 60er Jahren.

Bewusstsein erweitern ganz ohne Drogen: Ausschnitt Der „Mindexpander“, ein Experiment von Haus-Rucker-Co aus den 60er Jahren @ HRC Laurids Ortner

 

Dem Büro Aisslinger war nicht bewusst, dass wir als O&O Baukunst die eigentlichen Erben dieser zukunftsweisenden 60er Jahre Generation sind. Wir hatten eine intensive Zusammenarbeit in der Planungs- und Bauphase. Wir sind sehr gespannt, ob das Büro Aisslinger jetzt an diese damalige Aufbruchsstimmung real anknüpfen kann. Ich hoffe, es wird nicht nur Dekoration für den Hotelgast.

 

Gibt es einen Aspekt, auf den Sie besonders stolz sind und auf den Sie gerne aufmerksam machen möchten?

Christian Heuchel: Jeder neue Bau muss heute mit dem Alten dealen. Täglich reklamiert es sich mit seinen brüchigen Atmosphären und kollektiven Erinnerungen in unsere architektonische Arbeit ein. Doch dies ist der letzte Vorsprung, den wir gegenüber der internationalen Architekturretorte noch haben. Die Aneignung des Alten wird gerne als konservativ, bürgerlich oder rückschrittlich bezeichnet − ein Stigma, dem man sich als „kreativer“ Architekt gerne entziehen möchte.

Offensiv sollte der Architekt die Chance nutzen, in vergangene Zeitschichten hineinzuschlüpfen, die damaligen Fragen und Lösungen aufzuwärmen und sie am Ende selbstlos weiterzubauen. In einer Zeit der permanenten Gestaltungshysterie erscheint mir diese pragmatische Autorenlosigkeit ein edler Weg zu neuen Ansätzen zu sein.

 

Wir freuen uns sehr, Herr Heuchel, dass der Rundbau nicht zum Casino geworden ist. Wir wünschen Ihnen für das Projekt ganz viel Erfolg und Zuspruch und danken Ihnen für das Gespräch.

 

Das Gespräch mit Christian Heuchel führte Ira Scheibe

 

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