Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Stadt, Land, Fluß, Atomkraftwerk

Mit seinem „Büro für Städtereisen“ zeigt Boris Sieverts, was Stadt neben touristischen Variablen und konsumterroristischen Marginalien noch alles ist.

Fragt man die Menschen heute nach „Stadt“, oder gar nach einer ganz speziellen Stadt, dann sind die Antworten all zu oft all zu vorhersehbar. Diese im Norden ist schön wegen der großen Wasserfläche mitten in ihrer Mitte, jene im Westen ist schön wegen der großen Kirche in ihrem Herzen, eine andere wird präferiert, weil sie so viele hohe Häuser aufweist und die nächste im Osten finden die Menschen toll, weil so viele ach so tolle Menschen dort wohnen. Stadt ist, in den Köpfen vieler, eigentlich nur das Zentrum der selbigen. Das kulturelle, architektonische, szenige. Meist finden sich diese Zentren nicht nur auf der Bedeutungsebene, die der Stadtmensch ihnen zuschreibt, sondern auch auf der geographischen. Das vermeintliche Stadtzentrum als tatsächlicher Mittelpunkt, als Centre, als Downtown.

Wirklich verwirrend werden diese Zentren für den Ortsunkundigen dann, wenn er sich wenige Meter von den bekannten und tradierten Touristenattraktionen weg bewegt: Hier bietet sich ein immer gleiches Bild von den immergleichen Ketten, Labels und Discountern. Auf den ersten Blick scheint es hier nicht nur schwer, sagen zu können, ob man sich nun in Nord-, West-, Süd- oder Ostdeutschland befindet, es macht nahezu den Anschein, als seien alle europäischen Zentren auf ein Höchstmaß der verwechselbaren Ähnlichkeit zusammengewachsen. Einziges Unterscheidungskriterium in diesen globalisierten Innenstädten sind dann wiederum die vom Lonely Planet benannten Highlights.

Was ist hinter Dom, H&M oder Zara?

Im Kölnischen Kunstverein hat sich derzeit ein kleines Reisebüro angesiedelt, dem sehr daran gelegen ist, zu betonen, dass „Stadt“ weit mehr ist als das, was uns die gängigen Reiseführer neben den zur Markenwelt verkommenden Zentren aufzeigen. Boris Sieverts „Büro für Städtereisen“ macht mit einer Art Ausstellung hier Appetit auf eine andere Sicht der Stadt. Im Riphahn´schen Bau an der Hahnenstraße ist ein Stadtplan von Köln im Maßstab 1:2000 auf dem Boden ausgebreitet. Auf dieser bedruckten Folie kann der Besucher so zunächst einmal selber auf eine Stadtreise gehen. An die rückwärtige Wand werden Bilder projiziert. Bilder von unwirtlichen Gegenden, von öden Räumen, von Unorten. Bilder also von „Stadt“. Ab und an meint man, Bekanntes aus der Ferne erkennen zu können. Kirchen, Museen, Rathäuser, Landschaften – alle aus nie geahnter Perspektive.

In unregelmäßigen Abständen führt Boris Sieverts genau durch solche abseitigen Teile der Stadt, durch Räume, „ […] deren Qualitäten man nicht begründen, sondern einfach nur entdecken kann“, wie es im Ausstellungskatalog heißt. Seit Jahren schon führt er Interessierte durch Köln, Paris, Rotterdam oder das Ruhrgebiet. Immer stehen dabei die Ränder, die sich an die hochfrequentierten Bereiche der Stadt angliedern, im Mittelpunkt. Brachen, Baggerseen, Autobahnkreuze, Parkhäuser, Hinterhöfe, Häfen oder Asylantenheime.

Das neue Köln und Klangvolles wie „Köln-Olpe“

Die diesjährigen Führungen rund um Köln sind zwar bereits ausgebucht, ein Besuch im Kölnischen Kunstverein lohnt sich dennoch. Zum einen, weil der störungsfreie Blick auf den riesenhaften Kölner Stadtplan einige überraschende Momente bereit hält, zum anderen, weil der Ausstellungsraum neben der Videoinstallation, dem Straßenteppich und dem Reisebüroschalter auch eine Leseecke bereit hält. Hier hat der Stadtführer seltene Literatur sowohl über Köln als auch über das Thema seiner Stadtreisen, die angeblichen Unorte, zusammengetragen. Neben dem „Neuen Köln“ von Rudolf Schwarz finden sich Werke über Straßenplanungen, die Geschichte Kalks oder eine Langspielplatte mit dem klangvollen Namen „Köln-Olpe“.

Da die Teilnahme an den Stadtreisen in diesem Herbst nicht mehr möglich ist, gilt ein weiterer Fokus den Mittwochabenden, an denen Boris Sieverts mit verschiedenen Gästen über Stadt und Stadtreisen redet. Via Google-Earth werden dabei Ziele angesteuert, die die Besucher der Abendveranstaltung vorschlagen können, und über deren städtischen Kontext im Anschluss an die Google-Flugannäherung mit allen Anwesenden diskutiert werden soll. All das ist Stadt. Objektiv gesehen ist all das viel mehr, als die so genannten Inkunabeln einer Stadt. Um solche Touristenmagneten herum passiert unglaublich viel. Dieses mithin verkannte Potential innerhalb der Stadt deckt Sieverts mit seinem „Büro für Städtereisen“ auf.

David Kasparek

Das „Büro für Städtereisen“ im Kölnischen Kunstverein (Die Brücke) in der Hahnenstraße 6 ist noch bis zum 30. September Dienstags bis Freitags von 13–19 Uhr, sowie Samstags und Sonntags von 12 bis 18 Uhr geöffnet. Die Abendveranstaltungen der „Google Earth Lectures“ finden jeweils Mittwochs um 20 Uhr statt.

Detaillierte Informationen finden sich auf der Internetseite des Kölnischen Kunstvereins.

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Foyer des Kölnischen Kunstvereins in der ‚Brücke‘

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Blick in das ‚Büro für Städtereisen‘ von Boris Sieverts

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Ganz Köln und Umgebung im Maßstab 1:2000 für die eigene kleine Stadtreise

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Läd zum schmökern ein: Ausgewählte Literatur zum Thema

Füße

alle Fotos: David Kasparek