Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Die Mathematik kennt keinen Zufall

Wie die Kräfte wirken zeigt das Treppenhaus von 3pass am Mathematischen Institut der Universität zu Köln

Wir sind zwar nah dran, aber alles sehen wir auch nicht. Und so kamen wir im Gespräch mit Judith Kusch und Jens Mayerle, Inhaber von 3pass Architekten Stadtplaner, plötzlich auf dieses Treppenhaus am Mathematischen Institut der Universität zu Köln. Nein, das kannten wir nicht. Und das ist fast sechs Jahre nach der Fertigstellung zugegebenermaßen doch ein wenig seltsam, denn übersehen kann man diesen fantastisch-brutalistischen Appendix nun wirklich nicht.

Lageplan, direkt neben dem winkelförmigen Institut liegt die Kirche Sankt Laurentius © Plan 3pass

Das Institutsgebäude liegt mitten im Lindenthaler Unicampus.  Der unauffällige dreigeschossige Baukörper wurde in zwei Bauabschnitten in den 50er und 60er Jahren um die Ecke Ecke Weyertal/An Sankt Laurentius geführt. Eine gewisse oberflächliche Verwandtschaft lässt sich zu der benachbarten Kirche von Emil Steffann feststellen, doch der vermeintlich strenge, aus Trümmerziegeln gebaute Quader zeugt in seinem Inneren von meisterhafter Licht- und Wegeführung. Das Institut dagegen bleibt schlicht, in seinem Inneren überrascht nichts, was die Lochfassade nicht schon angedeutet hätte. Kleine Seminarräume und noch kleinere Zellenbüros gehen von den Mittelfluren ab, denn die Mathematik will das einsame Denken. Allein der Hörsaal bildet eine Ausnahme von den Regeln. Höhe konnte er aber nur im 2. Obergeschoss gewinnen, was die ungewöhnliche Lage erklärt und die kaum auffallenden Absturzsicherungen vor den Fenstern.

Was du siehst, ist, was es ist

In drei Bauabschnitten haben 3pass Architekten Stadtplaner das Institut zwischen 2012 und 2015 erweitert und sowohl brandschutz- wie auch arbeitschutztechnisch ertüchtigt. Zunächst wurde ein eingeschossiger zinkverkleideten Dachaufbau für weitere kleine Büro- und Arbeitsräume, dank Modulbauweise im laufenden Betrieb aufgesetzt. Ein vorgestelltes, mit einer Rampe barrierefrei erschlossenes Treppenhaus mit Personenaufzug an der Weyertal-Flanke wurde ebenfalls am Stück geliefert. Aber erst bei dem dritten Treppenhaus, an der der Kirche zugewandten Stirnseite wurde es plötzlich virtuos.

Ohne kraftschlüssige Verbindung zu Altbau trägt das Treppenhaus sich selbst. © Foto Jürgen Schmidt

Statisch erforderlich war es, den Anbau ohne kraftschlüssige Verbindung mit dem Altbau, also komplett entkoppelt, zu errichten. Im UG, EG und 1.OG sollte er an die Mittelflurerschließungen des Bestandsbaukörpers anschließen. Im 2.OG liegt dort jedoch (Ausnahme von der Regel!) der Hörsaal, so dass der Treppenhauszugang um die Ecke herum an die hofseitige Gebäudelängsseite geführt werden musste. Gestalterischen Spielraum gewannen die Architekten im Entwurf dadurch, dass der Anbau außerhalb des beheizten Gebäudevolumens liegt. Was wir heute dort sehen, ist also genau das, was es ist. Der Beton ist alles: Tragwerk, Substanz und Oberfläche innen wie außen. Die Kubatur folgt der Funktion, dem Weg nach oben und nach unten und oben um die Ecke. Die Öffnungen wurden da eingeschnitten, wo die Kräfte es zuließen, kreuz und quer. Was fast erratisch wirkt, ist jedoch genau berechnet, die Mathematik kennt keine Zufälle.

Dein kleiner Drehmoment

Im Inneren ist vor allem viel Licht, nicht nur von der Seite, auch von oben fällt es ein. Die Fenster sitzen außen flächenbündig in filigranen betongrauen Stahlrahmen, die Nischen innen führen die Materialstärke vor. Betonterrazzo in zwei Tönen und Stahlgeländer fügen sich in das robuste Bild ein, kein Schmuck, keine Schande.

Der Türgriff als Spolie des historischen Eingangs © Foto Jürgen Schmidt

Nur eines fällt anders auf, der Griff der raumhohen gläsernen Eingangstüre. Schwere Bronze, jahrzehntelang patiniert mit zahlreichen beweglichen Kugeln, einer Spielerei, die an einen Rechenschieber erinnert. Niemand würde heute so etwas herstellen, niemand würde ein zur Minimalskulptur reduziertes Treppenhaus damit schmücken – wenn es nicht schon immer Teil dieses Gebäudes gewesen wäre. Nur ist es jetzt zwei Ecken weit gewandert und überrascht die Besucher hier mit einem kleinen Drehmoment.

Uta Winterhager

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