Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Reiseführer zu den Böhms

Ein Fotoband zeigt die Kirchenbauten der Kölner Architektenfamilie

Was für eine produktive Familie! Dominikus, Gottfried, Stephan, Peter, Paul – alle Architekten. Mit einer unüberschaubaren Menge an Sakralbauten im Oeuvre. Unüberschaubar? Nicht mehr! Der kommentierte Fotoband „Sakralbauten der Architektenfamilie Böhm“ versammelt 95 Kirchen, Kapellen, Gemeindezentren und eine Moschee aus fast 100 Jahren.

Hartmut Junker hebt mit seinen Fotografien die jeweiligen Besonderheiten hervor: Den höhlenartigen Innenraum von St. Gertrud, den von farbigen Fenstern rosa ausgeleuchteten Schacht über dem Altar von St. Joseph in Rodenkirchen oder die lichte Höhe des Tonnengewölbes von St. Anna in Ehrenfeld.

 

Köln, Betonfaltdecke von Sankt Gertrud, 1965, Gottfried Böhm ©Hartmut Junker

 

Natürlich hat die Familie Böhm nicht ausschließlich in Köln gebaut, aber hier ist der Nukleus ihres Schaffens seit dem Ruf Dominikus Böhms als Professor für Sakrale Kunst an die neu gegründeten Kölner Werkschulen 1926 und erst recht nachdem er 1931 in Marienburg das Familienhaus baute, das nur mit Unterbrechung der Kriegsjahre von der Familie bewohnt wurde.

 

Köln, St Anna; Gottfried Böhm 1954 – 56 ©Hartmut Junker

1947 stieg Sohn Gottfried in das väterliche Büro ein, seit den 1990er Jahren arbeiten wiederum die Söhne Stephan, Peter und Paul mit ihrem Vater zusammen. Naturgemäß haben diese nicht so viele Sakralbauten entworfen – ab den 1970er Jahren ebbte der Bedarf ab. Aber selbst in den 1990er Jahren gelang es den Söhnen, Peter und Paul Böhm, jeweils ein wegweisendes Kirchengebäude zu schaffen – und Paul und Gottfried Böhm entwarfen die Kölner Zentralmoschee, deren Bau 2017 abgeschlossen war. Eine einzigartige Kirchenbauer-Dynastie also, deren Werk Hartmut Junker fotografisch dokumentiert.

Das Besondere einfangen

St Joseph; Dominikus Böhm 1930-31 ©Hartmut Junker

Die Fotos überhaupt zu machen, war nicht immer einfach, oft langwierige Anfragen und Terminabsprachen notwendig. „Einmal bin ich sogar eingeschlossen worden beim Fotografieren“, berichtet Junker, „und in Vaals war es Voraussetzung, dass ich vorher am Gottesdienst und am Mittagessen teilnehme.“ Gelohnt hat sich das vier Jahre andauernde Projekt, die Fotos bilden die Grundlage für die kenntnisreichen und allgemein verständlichen Texte der Kunsthistorikerin Stefanie Lieb, die jedes fotografierte Bauwerk begleiten. Sie war es auch, die Foto-Konvolut wie architektonisches Werk geordnet hat: Das Buch folgt grob der chronologischen Ordnung, ist dann aber thematisch gegliedert. Kapitel wie „Himmelsgewölbe“ oder „Burg und Bunker“ führen mehrere Gebäude zusammen und ermöglichen neue Querbezüge.

Kirchen, nach Themen sortiert

Erkrath, Heilig Geist; Gottfried Böhm 1969-72 ©Hartmut Junker

 

 

Dabei zeigen die Fotos auch ungewohnte Böhms: Heilig Geist von Gottfried Böhm in Erkrath-Hochdahl zum Beispiel. 1969-72 errichtet sieht die Kirche von außen aus wie eine Beton-Burg, ein klassischer Böhm also, innen aber überspannt ein grünes Raumgitterwerk Altarraum und Kirchengestühl. Das Baukastensystem bildet ein unregelmäßiges Gewölbe und schafft eine fast technische Atmosphäre. Auch auf eine vom übrigen Werk abweichende Kirche Dominikus Böhms verweist der Band: Stella Maris auf Norderney. Mit weißen, ineinander verschachtelten Kuben ist die 1931 fertig gestellte Kirche für Feriengäste im Stil des funktionalistischen Bauens errichtet – von einem Architekten, der den Purismus für den Kirchenbau ablehnte.

 

Norderney, Stella Maris; Domenikus Böhm 1931  ©Hartmut Junker

Geschenke für die Jubilare

Den 480 Seiten starken Band hat sich der Verlag Schnell & Steiner zum 85-jährigen Jubiläum geschenkt. Man könnte es aber auch als Geburtstagsgeschenk für Gottfried Böhm betrachten, der im Januar 100 Jahre alt wird. Stefanie Lieb sieht es als Dokumentation des derzeit bedrohten modernen Kirchenbaus. Auch einige Kirchen der Böhm-Familie sind bereits profaniert oder stehen vor einer Umnutzung, viele andere Sakralbauten werden nicht mehr benötigt für die weniger werdenden Gottesdienstbesucher. In Nordrhein-Westfalen existiert die weltweit höchste Dichte von Kirchen der Moderne – ein einzigartiger Schatz. Das Buch „Sakralbauten der Architektenfamilie Böhm“ macht Lust, einen Teil davon zu heben und sich alle Gebäude vor Ort selbst anzusehen um noch tiefer in das Werk der Böhms einzutauchen. 

 

Vera Lisakowski 

 

 

©Schnell & Steiner

SAKRALBAUTEN DER ARCHITEKTENFAMILIE BÖHM
Hartmut Junker, Stefanie Lieb

24 s/w Zeichnungen, 335 farb. Illustrationen
Hardcover (Efalin fadengeheftet)
Seitenzahl: 480
Format: 23 x 30 cm
Erscheinungstermin: 14.10.2019
Verlag: Schnell & Steiner
110 Euro