Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Architektur und Funktion

Welche Rolle spielt die Funktion in der Architektur? Die Szene diskutierte an der RWTH Aachen.

Welche Rolle spielt die Funktion in der Architektur? Diese Frage stellte sich dieses Jahr die Architekturtagung ‚Identität der Architektur‘, die nun zum 3. Mal im Reiff-Museum der Aachener Architekturfakultät der RWTH Aachen stattfand. Zahlreiche namhafte Architekten aus ganz Deutschland wurden vom Lehrstuhl für Baukonstruktion und vom Lehr- und Forschungsgebiet Raumgestaltung zu zwei Tagen Vorträgen und Diskussionen eingeladen.

Es war zweifelsohne ein Auflaufen der Crème de la Crème der deutschen Architekturwelt – da konnte einem jungen Architekten angesichts der alteingesessenen Urgesteine der Bauwelt auf der Bühne ein wenig blass werden. In kurzen Vorträgen von 15 Minuten stellten die eingeladenen Architekten ein einzelnes Projekt ihres Büros vor, um anhand des Entwurfs und Werdegangs den Begriff der Funktion aus ihrer Perspektive zu erörtern. Soweit der Plan. Leider haben sich nicht alle eingeladenen Gäste an diesen Plan gehalten und gestalteten den Vortrag ganz klassisch im Sinne einer Werkschau. „Ich mache es diesmal so wie ich es immer mache. Inwiefern der Begriff der Funktion in meinem Vortrag interpretierbar ist, überlasse ich ganz dem Publikum.“ leitet Florian Nagler seinen Vortrag ein. Die Kirche St. Martha in Nürnberg war dennoch schön anzuschauen und ein dauerhaftes Tragwerk (aus Holz und ohne Leimbinder!) und gute Akustik ließen sich als fundamentale Funktionen seines Entwurfs ebenfalls ablesen. Ähnlich war die Arbeit von HG Merz zu verbuchen, denn beim Entwurf einer Gebäudeüberhöhung zwecks längerer Nachhallzeit bei der deutschen Staatsoper Berlin spielten Tragwerk, Ästhetik und Akustik gleichermaßen eine entscheidende funktionale Rolle.


Prof. Uwe Schröder (links) und Prof. Hartwig Schneider (rechts) luden zum dritten Mal zur Tagung nach Aachen ein © Nathalie Gozdziak

Ästhetik als Funktion

Über Ästhetik und Repräsentation als berechtigte Funktion in der Architektur war Alexander Pols bei der Vorstellung der Hochhäuser des Ministerialgebäudes den Haag von Kollhoff Architekten überzeugt. Einen ähnlichen Ansatz verfolgte das Büro Monadnock beim Projekt Landmark Nieuw Bergen. „Wir wollten einem charakterlosen Ort einen Charakter verleihen. Deswegen haben wir uns für ein repräsentatives Hochhaus als Landmark entschieden.“ so Job Floris. Vortragende wie Arno Lederer von Lederer Ragnasdóttir Oei ließen sich wiederum nicht nehmen eine kurze philosopisch anmutende Hommage an die Intuition und die Ästhetik als Funktion in der Architektur auszusprechen. Angesicht der vorgestellten Sparkasse in Ulm, die zunächst vom Bauherrn in ihrer Gestaltung angezweifelt und nach ersten gewonnenen Preisen – „haben wir doch von Anfang an gesagt, dass das gute Architektur ist“ – gelobt wurde, ist dies nicht überraschend. „Die ganze Moderne hat sich durch die Rechtfertigung dank Funktionalismus selbst beschissen.“ stellt Lederer für sich fest und bringt das Publikum immer wieder zum Schmunzeln. Ein wenig vorsichtiger behandelt Stefan Forster in seinem Vortrag über das Philosophicum in Frankfurt den Funktionalismus, indem er einem vermeintlich funktionalen Geböude eine neue Funktion und eine neue Ästhetik verleiht – dank einer Umnutzung vom Seminargebäude zum Wohnheim. 


Fassade der Sparkasse Ulm von LRO Lederer Ragnarsdóttir Oei © Roland Halbe

Architektur gestaltet sowohl nach innen als auch nach außen

Christian Inderbitzin von Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten führte den Begriff des ‚anekdotischen Funktionalismus‘ bei der Vorstellung eines Mehrfamilienwohnhauses inmitten eines Villenviertels ein. Ein klassischer Geschosswohnungsbau zur Straße hin passte nicht, zumal es die Bäume zu schützen galt. Er orientierte sich stattdessen an der Struktur des Basaltgesteins und plante polymorphe Grundrisse, die im Park einschmelzen. Christoph Mäckler wollte ihm dies hingegen nicht abkaufen und dampfte das Konzept als banal und nicht städtebaulich gedacht ab. Es war der wohl hitzigste Moment der Tagung, bei dem der offensiv kritisierende Frankfurter auf einen zurückhaltenden und leider in der Gegenargumentation zu schnell einknickenden Schweizer traf. Mäckler kritisierte im Allgemeinen ein Fehlen der städtebaulichen Funktion als wesentlichen Aspekt während der Tagung und stellte sein Projekt Hochhaus Zoofenster Berlin mit der Aufteilung in einen urban anschmiegsamen Sockelbau und einen monolithischen Turmbau vor. Doch auch Jörg Springer von Springer Architekten betonte die Umdeutung einer Umgebung durch sein Haus am Dom in Worms als eine wichtige Funktion. 

Mehrgeschossiger Wohnungsbau mitten in einem Villenviertel: Wohnbauten Hottingen von Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten © Roland Bernath

Nutzungsneutrale oder funktionsspezifische Räume?

Diese Frage stellte sich Meinrad Morger und leitete mit dem Gut Garkau von Hugo Häring aus dem Jahr 1924-26 als monofunktionalen Bau für die Rinderzucht seinen Vortrag ein, bevor er die Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel als Gegenthese präsentierte. Die Räume sind offen, stützenfrei und flexibel und der ständig dem Wandel unterzogenen Nutzung im Alltag einer Gestaltungshochschule geschuldet. „Meiner Ansicht nach ist die These, dass ein Raum an Charakter verliert je offener er gestaltet ist völliger Unsinn. Universalräume können ebenfalls Architektur sein.“ konstatiert Morger und kommentiert eine Tendenz, die er während der Tagung bei einigen Kollegen zu verspüren glaubte. Die Momente, in denen sich die Architektenschaft auf der Bühne versammelte und sich gegenseitig vorsichtig nach dem Umgang mit dem Bauherrn ausfragte, erinnerte ein wenig an einen Stuhlkreis der mit Geschmackslosigkeit konfrontierten Architekten. Nicht nur Gestaltung, auch das Verständnis für Gestaltung brauche Bildung, so das Credo der Tagung. Auch Bayer & Strobel und Kahlfeldt Architekten verfolgten den nutzungsoffenen Ansatz in ihren Projekten, Dr. Paul Kahlfeldt sogar mit einem deutlichen Pragmatismus. „Ich drücke meinen Nutzern am Ende des Planens und Bauens den Schlüssel in die Hand und sage ‚Macht was ihr wollt‘.“ 

Futurium Berlin von Richter Musikowski © Schnepp Renou und Dacian Groza

Haustechnische Funktionen können Spaß machen

Herrlich erfrischend war der Vortrag von Richter Musikowski über das Futurium in Berlin. Dass Haustechnik in der Architekturplanung einen immer größeren Raum einnimmt – inhaltlich wie physisch – ist unbestreitbar, doch nicht viele Architekten nehmen sich dieses Phänomens an. Musikowski wandelte diese Not in eine Tugend um und integrierte LED Leuchten, die durch Bewegungen der Passanten getriggert werden. Nachhaltige Photovoltaik wird mittels Visualisierung des Ladezustandes mit einem Screen didaktisch veranschaulicht. Was bei Jan Musikowskis Vortrag deutlich wurde, war die Notwendigkeit von jungen Architekten mit frischen Ideen als Gegenpol einer älteren Generation der Bauwelt. Ein deutlicher Frauenmangel war außerdem bedauerlicherweise deutlich zu spüren. Ob dies im kommenden Jahr anders sein wird? Die Veranstalter kündigten bereits das Thema der Tagung 2020 an: Konstruktion. Wir dürfen gespannt sein, ob dieses Thema mehr junge und weibliche Architekten für sich gewinnt.

Eine Podiumsdiskussion bildete den Abschluss der Tagung © Nathalie Gozdziak

von Nathalie Gozdziak