Langsam verteilen sich die vier Posaunisten während ihres Spiels im Raum, verschwinden hinter der viergeteilten, das Tabernakel umschließenden, Betonsäule. Sie trägt die geschichteten Quader, die weit über die Köpfe der Zuhörer auskragen. Der Klang verändert sich mit jeder Drehung der Musiker und je nachdem ob sie gegen die grob gerillte Betonwand spielen, oder in den Raum hinein. Es entwickelt sich eine Art Frage-und-Antwort-Spiel, mal laut, mal leise, mal sanft, mal rau.
„Mein Vater ist Architekt, ich hatte schon immer eine Affinität zu dem Material und kann an keiner Betonwand vorbeigehen, ohne sie zu berühren“, erzählt der Musiker und Komponist Roman Pfeifer, der die Idee zu der Konzertreihe „Béton brut & Bruits“ hatte. Organisiert von der Kölner Gesellschaft für Neue Musik werden vier Konzerte Neuer Musik in Gebäuden des Brutalismus präsentiert. Eine sinnige Verbindung, meint die unvorbereitete Besucherin, haben doch beide ein Imageproblem: Sie sind nur schwer zugänglich und wollen gar nicht gefallen.
Auflösung der starren Raumordnung
Während des Konzerts des „Composers Slide Quartet“ in der Kirche der Katholischen Hochschulgemeinde „Johannes XXIII.“ lassen sich aber weitere Gemeinsamkeiten entdecken. Die augenscheinlichste ist die Nutzung des Raumes. Die Kirche wurde als Gemeinschaftswerk des Bildhauers Josef Rikus und des Architekten Hans Buchmann 1968/69 errichtet – also nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das unter anderem eine stärkere Nähe zur Gemeinde zum Inhalt hatte. Diese bildet sich auch im Gebäude ab: Der schlicht gestaltete Altar steht mitten im Raum, die Bestuhlung ist nicht fest, sondern lässt sich je nach Anlass anpassen. Und auch in der nach dem Zweiten Weltkrieg komponierten Musik wird oft die starre Konzert-Raumordnung zugunsten frei platzierter Musiker, Vokalisten oder anderer Geräuschquellen aufgelöst.
„Johannes XXIII. war auf meiner ‚tolle-brutalistische-Architektur-Liste‘ auf Platz eins“, berichtet Roman Pfeifer über die Wahl der Orte für die Konzerte, „in Köln gibt es aber viel interessante brutalistische Architektur.“ Genauso wie Köln auch eines der Zentren für Neue Musik ist, befördert unter anderem durch das Studio für elektronische Musik des WDR, das ab den 1950er Jahren ein Experimentierfeld für Komponisten bildete. Und auf noch eine Gemeinsamkeit macht Roman Pfeifer aufmerksam: Sowohl bei den Sichtbeton-Gebäuden als auch bei den Kompositionen werde die Struktur offengelegt und nicht hinter Verblendungen oder melodischen Teppichen versteckt.
Geräusche sehen
Und so sieht und hört man als Zuschauer gerade auch in der am Ende des Konzertes uraufgeführten Komposition „Lass mich heraus!“ von Anna Sowa wie die Klänge entstehen: Die Posaunisten spielen ohne Klang, sie atmen hörbar, halten den Atem an, scharren mit den Füßen auf dem Ziegelboden, an manchen Stellen werden die Posaunen brutal und disharmonisch. Gefällig ist das sicher nicht – aber unglaublich spannend und ein aufregender Spiegel der Architektur, in der es stattfindet. So ist die Konzertreihe auch oder vielleicht gerade denjenigen zu empfehlen, die meinen, mit Neuer Musik oder Architektur des Brutalismus so gar nichts anfangen zu können.
Vera Lisakowski
Weitere Konzerte:
24.11.2018
Universität zu Köln, Hörsaalgebäude
19.15 Uhr Brutalismus-Rundgang mit Alexander Kleinschrodt
20.00 Uhr Emil Kuyumcuyan: Musik für Schlagzeug
21.12.2018
Kunstraum Fuhrwerkswaage
19.15 Uhr Brutalismus-Rundgang mit Alexander Kleinschrodt
20.00 Uhr hand werk: Musik für Ensemble
Die Konzerte sind kostenfrei, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Weitere Information:
Die Kölner Gesellschaft für Neue Musik
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Gemeinsam für den Brutalismus!