Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Stadtlandschaften versus Hochstadt

‚Lebendig durchbaute Landschaft. Rudolf Schwarz als Kölner Stadtplaner‘, ein Vortrag von Prof. Dr. Wolfgang Pehnt

Die fünfteilige Vortragserie des Architektur Forum Rheinland über Kölner Stadtbaumeister setzt sich mit Aufgaben, Kompetenzen und Möglichkeiten einer derartigen Position in der Vergangenheit auseinander. Am Beginn der Serie stand der Vortrag von Karl Josef Bollenbeck, der dem Schaffen Johann Peter Weyers als Stadtbaumeister gewidmet war. Ihm folgten Hiltrud Kiers Ausführungen über den großen deutschen Städteplaner Josef Stübben und Henriette Meynens Referat die über den Generalplaner Fritz Schumacher. Fortgesetzt wurde die Serie mit einem Beitrag von Wolfgang Pehnt über Rudolf Schwarz als Kölner Generalplaner, hier in einer knappen Zusammenfassung:

1945 war Köln eine verwüstete Stadt, „der größte Trümmerhaufen der Welt“, wie Rudolf Schwarz seinem Freund Romano Guardini schrieb. 262 Luftangriffe hatten der Stadt so zugesetzt, dass nicht nur die Infrastruktur zusammengebrochen, sondern auch die Bevölkerungszahl drastisch gesunken war. Erst im Jahre 1958 erreichte sie wieder den Vorkriegsstand. Dennoch gab es in Köln keine „Stunde Null“, weder in zeitlicher noch in personeller Hinsicht.

Neue Strukturen

Im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Neugestaltung der Städte von 1937 war dem Kölner Stadtbauamt die Kompetenz für die Neuplanungen des Regimes entzogen und einer neu eingerichteten Planungsstelle übertragen worden. Diese Dienststelle wurde bis 1939 von Michael Fleischer, einem Schüler von Paul Bonatz geleitet. Als die Planungsstelle 1941 in eine Planungs GmbH umgebildet und dem Gauleiter Josef Grohé unterstellt wurde, erhielt Fleischer wieder die Leitung. Er hatte diese Funktion auch noch inne, als die Planungs GmbH Ende 1945 in Wiederaufbau GmbH umetikettiert wurde. Dass derselbe Mann, der für die gigantischen Umgestaltungsplanungen in Köln während des Dritten Reichs verantwortlich zeichnete, auch weiterhin amtieren konnte, führte unter der Kölner Architektenschaft zu massiven Protesten. Der Planungs GmbH wurde ein Planungsbeirat aus politisch unbelasteten Architekten beigegeben, der im Juni 1946 zu einer Planungskommission aufgewertet wurde. Ihr gehörten Wilhelm Riphahn und Karl Band an, die schon unmittelbar nach Kriegsende mit Wiederaufbauvorschlägen für Köln aufgewartet hatten, sowie Eugen Blanck. Offensichtlich auf Druck der britischen Besatzungsmacht trat Fleischer im Herbst 1946 als Leiter der Wiederaufbau GmbH zurück. Der Weg war für Rudolf Schwarz frei. Im November 1946 nahm er seine Arbeit als Generalplaner von Köln auf.

Der in Straßburg geborene Schwarz war, familiär bedingt, mit der Kölner Region eng vertraut. Nach einer ersten Lehrzeit in Offenbach am Main leitete er sieben Jahre lang die Kunstgewerbeschule in Aachen und errichtete dort eines seiner frühen Hauptwerke, die Fronleichnamskirche. Von 1941-44 arbeitete Schwarz als dienstverpflichteter Planer im deutsch besetzten Lothringen, wo er sich mit dem Wiederaufbau der durch den Krieg in Mitleidenschaft gezogenen Landstriche und Dörfer befasste. Bis 1944 stieg er zum stellvertretenden Landesplaner des „Reichsstatthalters in der Westmark“ auf. Bei seiner Wiederaufbauplanung für die Stadt Diedenhofen (Thionville) fand er eine Stadtstruktur vor, die ihn an Köln erinnerte. Sogar einer seiner Kölner Amtsvorgänger Josef Stübben war in Thionville am Werke gewesen.

Der Wiederaufbau

Als Kölner Generalplaner hatte Schwarz die Aufgabe, „die Aufbauplanung der zerstörten Stadt Köln“ zu leisten. Im Rahmen eines Honorarvertrags über fünf Jahre, der bis zum 31. März 1952 verlängert wurde, leitete er zunächst die privatrechtlich organisierte Wiederaufbau GmbH mit ihren drei Abteilungen: der wissenschaftlichen, der Planungs- und der technischen Abteilung. Zeitweise gehörten insgesamt 28 Mitarbeiter der Wiederaufbau GmbH an, darunter acht Architekten. Zudem sollte Schwarz als Generalplaner Einfluss auf den Wiederaufbau und die Neugestaltung wichtiger öffentlicher Gebäude wie Rathaus und Gürzenich nehmen; gemeinsam mit Partnern übernahm er sie schließlich gleich selbst. Politische Verantwortung für die Wiederaufbau GmbH trug der gewählte Dezernent für Bau und Wohnungswesen. Im Herbst 1949 wurde die Gesellschaft jedoch samt Personal und Generalplaner in das Städtebauamt eingegliedert, so dass Schwarz für die verbleibende Vertragsdauer als Leiter der Stadtplanung im Stadtbauamt arbeitete.

Anderthalb Jahre nach Beginn seiner Tätigkeit stellte Schwarz im Juni 1948 seine Planung dem Rat vor. Die beste Übersicht über die Schwarz-Planungen für Köln gibt seine Schrift „Das neue Köln. Ein Vorentwurf“, die im April 1950 erschien. In dieser Broschüre zeichnete Schwarz das Bild eines föderalistisch gegliederten Gemeinwesens, das durch grüne Zonen strukturiert wird. Der Autor sprach von „Sternenhaufen“, vom „Kölner Städtebund“. Die einzelnen „Sterne“ oder Mitglieder des Städtebundes wie Ehrenfeld, Nippes, Mülheim, Deutz oder Kalk sah Schwarz als eigene Städte von über 100.000 Einwohnern, die sich weiter in Nachbarschaften untergliedern sollten. In seinen Grundgedanken auf Fritz Schumachers Planungen zurückgreifend, sie jedoch deutlich modifizierend, verstand er die neue Struktur Kölns als große, schwingende S-förmige Figur. Sie umgreift die alte Stadt im Zuge der Ringe, setzt etwa am Theodor-Heuss-Ring über den Rhein und kurvt dann um Mülheim nach Norden aus. Damit setzte er sich deutlich von den zentralisierenden Planungen des 19. Jahrhunderts mit dem Dom als Mitte wie auch von den monumentalen Konzeptionen der NS-Zeit ab, die zugunsten eines massiven Achsenkreuzes und eines gigantischen Gauforums in Deutz den Abbruch weiter Stadtquartiere bedeutet hätten. Der „geheimnisvolle Strom des Verkehrs“ sollte laut Schwarz „in gewaltiger Bewegung … gleichsam den Rheinstrom“ beantworten.

Stadtlandschaften

Auch den Gedanken eines zweiten, neuen Stadtmittelpunkts im Norden konnte Schwarz bei Fritz Schumacher finden. Der Kölner Altstadt, der „Stadt der Bildner, Händler, Agenten, Beamten“ wollte er eine „Stadt der schweren Arbeit“ zur Seite stellen. Industrieansiedlungen wie die Ford-Werke aus den frühen 1930er Jahren oder die Entstehung von Leverkusen auf der anderen Rheinseite hatten der Entwicklung einer solchen „Nordstadt“ vorgearbeitet. Ein Stück davon heißt heute Chorweiler.

Neben die Idee der Stadtlandschaft, die bereits eine jahrzehntelange Vorgeschichte hatte und die Versöhnung von Stadt und Land anstrebte, setzte Schwarz den Begriff der „Hochstadt“. Die Hochstadt sollte die vornehmsten Aufgaben eines Landesteils erfüllen, d.h. Zentrum der Bildung (Schulen, Universitäten und Kulturinstitute), der Hoheit (Parlamente und Verwaltung), der Preisung (Kirchen und sakrale Orte) und der Wirtschaft mit ihren Konzernspitzen, Kammern, Verbänden und der Börse sein. Für Köln war natürlich die historische Kernstadt der gegebene Ort, wo sich alles „Hohe“ versammelte. In der Realität der Nachkriegsjahre war man damals freilich noch weit von der Umsetzung dieses Gedankens entfern. Noch um 1950 war die Stadtmitte Kölns bis auf den nahezu unversehrt aufragenden Dom wüst und leer.

Schwarz‘ Stadtplanung hat sich in den sechs Jahren seiner Planertätigkeit weiterentwickelt. Der Planungszustand vom Oktober 1948 zeigt Elemente, die gegen die Verkehrslobby nicht durchsetzbar waren. Die schon in der NS-Zeit entstandene Ost-West-Achse (Hahnenstraße) sollte auf Höhe der Kreuzung mit der heutigen Nord-Süd-Fahrt abgefangen und über die Bäche abgeleitet werden. Damit hätte sich westlich des Heumarkts ein beruhigter Altstadtbereich ergeben, der das Stadtmuster zwischen St. Maria im Kapitol und Dom nicht weiter zerstört hätte. Ebenso konnte sich Schwarz mit seinem Wunsch, den Hauptbahnhof auf das Gelände des Güterbahnhofs St. Gereon zu verlegen, nicht durchsetzen. Wie schon bei Schumacher, der die Errichtung eines Entlastungsbahnhofs am Aachener Weiher vorgesehen hatte, wollte die Bahn nicht die hohen Verlegungskosten aufbringen, und die Grundstückseigner rund um den Dom fürchteten bei einer Verlegung des „Dombahnhofes“ die Wertminderung ihrer Liegenschaften.

Die Innenstadt hatte sich Schwarz als eine Gruppe von Stadtzellen vorgestellt, als eine „Städtestadt“, deren Glieder durch größere Verkehrsstraßen, jede mit Straßenbahn versehen, definiert werden. Neun Stadtviertel sollte die City haben, jedes mit jeweils ein bis zwei Kirchen. Schwarz wünschte sich, dass alle Kinder eines Viertels in dieselbe Schule gingen, so dass jedes „Kirchspiel“ zugleich ein „Schulspiel“ darstellte. Plätze vor Stifts- oder Pfarrkirchen bilden in dieser Struktur Quartiersmitten, in denen sich das soziale Leben entwickelt. Nur selten tangiert eine Hauptverkehrsstraße einen der Quartiersplätze. Schwarz wollte seine Verkehrsplanung als „Negativ“ gelesen wissen, also nicht als positiven Wert an sich. Die neuen Straßen definieren als Grenzlinien, was sie umschließen. Zu den überdimensionierten Verkehrsschneisen von heute haben sie sich erst später ausgeweitet.

In seinen städtebaulichen Gestaltvorstellungen ging Schwarz von einer „Doppelnatur“ des Menschen aus. Der technisierte Mensch der neuen Zeit ist auf großräumige Strukturen für schnelle Fortbewegung angewiesen. Aber zugleich ist er der „alte“, der „metatechnische“ Mensch, der Zeit und Muße hat und die gemächlichen Wege liebt. Entsprechend muß auch die zeitgenössische Stadt eine Doppelnatur aufweisen. Die neue Nord-Süd-Fahrt, die Schwarz bezeichnenderweise nur die „Nord-Süd-Straße“ nannte, hatte er sich nicht als Rollbahn durch die City vorgestellt, sondern in geschlängelter und gebrochener Führung. Tiefe Pfeilergänge sollten die neuen Straßen begleiten, um die Fußgänger aufzunehmen und eine übermäßige Aufweitung der Straßenprofile zu vermeiden.

Was ist geblieben von Schwarz’ Planungen?

Das Gerüst der Innenstadt. Das Konzept der Stadtstädte mit den vom Verkehr nur wenig berührten Quartiersmittelpunkten. Die Doppelnatur der Kernstadt. Ein bemerkenswerter Anteil an Wohnungen innerhalb des mittelalterlichen Mauerzuges. Die Herstellung grüner Rheinufer. Ein im Ganzen akzeptabler Umgang mit historischer Substanz, vor allem mit der städtischen Grundrissstruktur, bei manchen Sünden im einzelnen. Der innere Rayon wurde durch die Aufschüttung der Trümmerberge um ein differenziertes Bodenrelief bereichert.

Die Außenstädte freilich, die als eigene Unterstrukturen jede für sich erkennbar bleiben sollten, sind aufeinander zugewachsen durch Gewerbegebiete, Büroparks, Supermärkte. Aufgelockerte Stadtlandschaft droht immer zu zersiedelter Stadtlandschaft zu werden. Viele der markanten Figuren auf den Schwarz’schen Plänen, die Doppelkurve über den Rhein hinweg, die Kontrapunktik von Arbeitsstadt im Norden und Hochstadt im Süden sind kaum erlebbar geworden. Was Teil der gleichberechtigten Nord-Stadt hätte sein sollen, ist zu einer der vielen problematischen hochverdichteten Großsiedlungen in Deutschland geworden, obwohl deren Planer sich an das Schwarz- Konzept des „Städtebundes“ gebunden fühlten. Und die „Hochstadt“ selbst? Immer stand sie in Gefahr, von banalen Verwaltungs- oder Hotelbauten in ihrer Substanz in Frage gestellt zu werden, damals wie heute.

Auf der letzten Seite seines Buches „Von der Bebauung der Erde“ fragt Schwarz in abgründigem Pessimismus: „Scheint es nicht, als wolle die Geschichte, übermüdet vom Leid, die Augen schließen, für lange?“ Für ihn lag dies alles wohl in Gottes Hand, so daß er die Entwicklung mit einem Vertrauen im Letzten betrachten konnte. Gewiß ist: So grundsätzlich oder gar metaphysisch ist deutsche Stadtplanung seit Schwarz nicht wieder gedacht worden, und Kölner Stadtplanung schon gar nicht.

Wolfgang Pehnt / Zusammenfassung: Ute Chibidziura
Architektur Forum Rheinland

kölner stadtbaumeister 1

Entwurf zur Neuordnung der Innenstadt, 1948

Kölner Stadtbaumeister 2

Kölner „Städtebund“ oder „Sternenhaufen“: Die einzelnen Mitglieder des Städtebundes waren weitgehend autark und durch Mittelpunkte definiert