Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Gemeinsam für den Brutalismus!

Freundeskreis der ‚Betonmonster‘ wächst beständig

Derzeit entstehen zahlreiche Initiativen, die für einen neuen Blick werben, den Blick auf ungeliebte Bauten der 60er und 70er Jahre. Wir sind mit von der Partie! Und laden ein zu unserer ersten tour brut am 6. Mai!

Das Kölner Philosophikum und die Musikhochschule, das Bensberger Rathaus, die Wohnblocks in Chorweiler sind von der Anschauung her erst mal alles Andere als Sympathieträger. Doch es wird spannend, wenn man sich ihnen von der Architekturgeschichte her nähert und die Stilprinzipien einer plastisch-körperhaften und von ruppigem Charme geprägten Architektur versteht.

Prinzip Materialehrlichkeit

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Wabenstruktur wie bei den fleißigen Bienen: Uni-Bibliothek von Rolf Gutbrod, 1966 © Gregor Zoyzoyla

 

Schon in den 50er Jahren entstand ein gewisser Überdruss an immer gleich wirkenden Glasschachteln, die überall auf der Welt die Städte zuwucherten. „Wohnblocks sahen aus wie Schulen, Schulen wie Verwaltungsgebäude und Verwaltungsgebäude wie Fabriken“, stellte der 2007 verstorbene Kölner Architekt Oswald Mathias Ungers fest, einer der Hauptvertreter des Brutalismus in Deutschland. Die Avantgarde rief gegen diesen Trend eine neue Stein-Zeit aus, feierte den Beton und stellte rau und rissig gegen glatt und gläsern. Die transparente Glashülle, hinter der sich alles Mögliche verbergen konnte, wurde abgelöst von Bauten mit ehrlicher Haut, die zeigen, was sie sind.

Von Anfang an lag eine Doppeldeutigkeit in dem Begriff Brutalismus: Der ‚brutale‘ Zug der Bauten liegt vermeintlich darin, sich gegen jede Bezugnahme auf die Umgebung zu verwehren. Der Begriff enthält aber auch einen Materialverweis: Béton brut ist der französische Ausdruck für Roh- oder Sichtbeton. Hauptmerkmal des Brutalismus ist der rohe, unbearbeitete und unverputzte Baustoff. Beton mit seinen Unebenheiten und den Abdrücken der extra groben hölzernen Schalungselemente, wurde für Sakralbauten und öffentliche Gebäude verwendet, im Wohnungsbau nahm man eher Backstein.

Dieses Prinzip der Materialehrlichkeit findet sich auch im reichen Kölner Kirchenschatz wieder: die Kirchen Christi Auferstehung in Lindenthal und St. Gertrud an der Krefelder Straße von Gottfried Böhm, St. Johannes XXIII von Josef Rikus und Hans Buchmann und St. Adelheid in Neubrück von Paul Georg Hopmann, lassen sich hier einordnen.

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Die Architektur besteht in ihrer Großform aus einander durchdringenden, klar definierten geometrischen Körpern. © Gregor Zoyzoyla


Demokratische Ideale

Auch sozialgeschichtlich haben diese Bauten eine Botschaft. Heute wird zwar wahrgenommen, mit welch brutaler Gebärde sie sich in der Stadt Raum schaffen, nicht aber unbedingt, dass sie dies in freundlicher, gutwilliger Absicht taten: um günstigen Wohnraum, Lehranstalten und kommunale Einrichtungen für die Massen zu schaffen.

So gesehen sind diese Gebäude Glaubensburgen ihrer Zeit. Wenn man das versteht, kann man mit einer gewissen Sympathie auf die unverstandenen Betonmonster blicken, vielleicht auch mit Nostalgie.

 

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Den Beton feiern: Detailaufnahme Hörsaalgebäude Universität zu Köln, Rolf Gutbrod, 1964-67 ©Anke von Heyl

 

SOS Brutalismus

Mittlerweile sind viele dieser Gebäude in einem bedenklichen Zustand. Doch es finden sich immer mehr ihrer Verteidiger zusammen, um für einen neuen Umgang mit ihnen zu werben. Das Projekt „SOS Brutalismus“ zum Beispiel ist eine Gemeinschaftsinitiative des Deutschen Architekturmuseums und der Wüstenrot Stiftung. Im Herbst 2017 wird eine Brutalismus Ausstellung im DAM in Frankfurt gezeigt. Auf der Website www.SOSBrutalism.org gibt es Beiträge zu über 800 Bauten, viele davon von unseren weltweiten Partnern von Guiding Architects, dem Netzwerk für Architekturführungen.

„Unser Ziel ist es, alles zu bündeln, was zu dem Thema passiert,“ sagt Anke von Heyl von der neu gegründeten Initiative ‚Brutalismus im Rheinland‘, die sich am 14.03. im Haus der Architektur Köln vorstellt. In ihr wirkt auch Dr. Martin Bredenbeck vom Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz e.V. mit: „Was von dieser Epoche bis heute Gültigkeit hat, was renoviert, modernisiert, verändert werden muss: Das alles können wir offen diskutieren. Was aber nicht in Frage steht, dass es auch hier baukünstlerische Leistungen auf hohem und höchstem Niveau gibt, und dass auch diese Bauten nicht nur gut gemeint, sondern auch gut gemacht waren.“

 

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Fassade der Uni-Bibliothek an der Zülpicher Straße von Rolf Gutbrod, 1966 © Barbara Schlei

 

 

Ira Scheibe

 

 

Tour brut mit dem Fahrrad

Samstag, 6. Mai 2017, 15:00 – 17:30 Uhr

In Kooperation mit Anke von Heyl und Markus Graf von der Initiative ‚Brutalismus im Rheinland‘

  • Treffpunkt und Route werden noch bekannt gegeben
  • Kosten 15 Euro
  • Radverleih vor Ort nicht möglich, bitte bringen Sie Ihr Rad mit
  • Anmeldung unter schlei@koelnarchitektur.de

 

 

Von der Fotogenität brutalistischer Bauten zeugen viele Instagram User,
ein Profil ist uns besonders aufgefallen:
Concrete Imagination by Gregor Zoyzoyla
und auf Instagram

 

Weitere Infos

Gemeinschaftsinitiative des Deutschen Architekturmuseums und der Wüstenrot Stiftung

Facebook-Gruppe Brutalismus im Rheinland

Instagram-Account Brutalismus im Rheinland

 

Heute Abend stellt sich im Haus der Architektur Köln die Initiative Brutalismus im Rheinland vor:

https://www.koelnarchitektur.de/veranstaltungen/brutalismus-im-rheinland

 

 

2 Kommentare

Sicherlich gibt es sehr gute Bauwerke im Betonbrutalismus. Aber entschieden mehr missglückte und Stadtbild zerstörende. Also „gemeinsam für den Brutalismus“ erscheint mir äußerst überzogen und unnötig.