Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Wohnen im Grünen

So oder so – in einem kleinen Quartier von Ute Piroeth geht das in Ehrenfeld

Mitten in Ehrenfeld lag nach dem Abbruch eines metallverarbeitenden Betriebes ein 8.800 Quadratmeter Grundstück zwischen Leyendecker- und der Christianstraße brach und verwilderte über Jahrzehnte zunehmend. Nur zwei kleine Arbeiterhäuser und ein Kopfsteinpflasterweg erzählten noch von der lokalen Industriegeschichte. Die Entscheidung für ihren Erhalt fiel mit dem Ergebnis der von der Stadt als damalige Grundstückseignerin ausgelobten Mehrfachbeauftragung, bei der drei Büros aufgefordert waren, zwei alternative Vorschläge – mit und ohne Erhalt des Bestands – einzureichen. Das Büro von Ute Piroeth überzeugte mit einem kompakten Entwurf, in dem die Industriedenkmäler als Ankerpunkte in die neue Wohnbebauung integriert werden.

Lageplan, das von Ute Piroeth geplante Quartier ist bereits fertiggestellt und bezogen, der nördlich anschließende Bereich mit Kita und Baugruppe befindet sich noch im Bau. © Ute Piroeth Architektur

Nach einer aufwendigen Bodensanierung Anfang 2016 , konnten die Wohnungen nach gut zweijähriger Bauzeit 2019 den Bewohnern übergeben werden. Interessant ist heute zu beobachten, wie sich das kleine Quartier mit zwei Bauträgern, modernes köln für den freifinanzierten Wohnungsbau und die GAG für den geförderten Wohnungsbau, entwickelt hat. Ein Merkmal zur Unterscheidung der Träger bieten die Fassaden, WDVS mit grünem Putz und geschlossene Balkone bei den GAG-Wohnungen, dunkelgrüne Riemchen, hellgrün durchgefärbte Putzflächen und ornamentverzierte Balkonbrüstungen bei den im Auftrag von modernes koeln gebauten Freifinanzierten. Auch wenn nicht alle Wege im Quartier so offen sind, wie die Architektin es gerne gesehen hätte, bleibt doch der Charakter einer gestalterischen und sozialen Einheit lesbar.

Einstieg in des kompakte Quartier, links die Stadthäuser, hinten Weitblick, rechts Stadtlabor © Foto: Frank Reinhold, Düsseldorf

Lückenschluss

Ute Piroeth schloss das Gelände, das im Norden an die gewachsene Struktur der Nachbarschaft anschließt und im Süden an ein heterogen bebautes Grundstück grenzt, mit einer individuell angepassten Interpretation einer klassischen Blockrandbebauung. Notwendig ist dies auch als Schutz gegen die allseitig nicht unerheblichen Schallimmissionen der Straßen und der Bahnlinie. So entsteht in der Mitte ein geschützter Bereich, eine Art Dorfkern mit kleinteiligeren und niedrigeren Baukörpern, der auch den qualitätvoll gestalteten privaten und halböffentlichen Freibereichen eine angenehme Intimität verleiht.

Grundriss EG – für die Stadthäuser an der Christianstraße ist dies durch den Höhenversprung das 1. OG © Ute Piroeth Architektur

Damit das gesamte Quartier autofrei bleiben kann, ist für die Fahrzeuge der Bewohner eine Tiefgarage geplant, die von der Christianstraße aus ebenerdig angefahren wird. Das Gelände bleibt für Fußgänger auf der historischen Achse des Kopfsteinpflasterwegs durchlässig und stellt eine direkte Anbindung an den Leo-Amann-Park her. Parallel dazu läuft ein linearer Spielplatz, eine Art Spielstraße mit Kletter- und Hüpfgeräten, die in dieser Form durchzusetzen die Architekten viel Einsatz gekostet hat. Diese und alle weiteren Freiflächen des Quartiers erzeugen ein harmonisches Gesamtbild, in dem Offenheit und Privatheit so sorgsam ausbalanciert sind.

In den Ansichten gut ablesbar ist das Gefälle von 3 Metern, das Ute Piroeth in den Entwurf integriert hat © Ute Piroeth Architektur

Weitblick

An seiner Südseite, wo das Grundstück auch an einen Parkplatz grenzt, schließt der viergeschossige freifinanzierte Gebäuderiegel mit dem Namen Weitblick den Blockrand des neuen Quartiers, denn von den Terrassen und Balkonen der obersten Geschosse bietet sich den Bewohnern ein einmaliger Blick über Ehrenfeld bis zum Stadtrand. Aus der besonderen Lage und Situation des Ortes heraus entwickelten die Architekten 29 zwei bis sechs Zimmer großen Eigentumswohnungen mit zeitgemäßen Grundrissen, teilweise auch Splitlevels, so dass eine vielfältige und flexible Raumorganisation möglich ist.

An der nach außen gerichteten langen Flanke des hellgrün geputzten Baukörpers gibt es vorgehängte Balkone. Die großen Fensterflächen nehmen die Süd-Westsonne auf, wodurch eine gute Belichtung bis in die Tiefe der Wohnungen gesichert ist. Die bis an die Ziegelmauer auf der Grundstücksgrenze geführten Privatgärten im Stadtformat sind den Erdgeschosswohnungen zugeordnet. Auf der Nord-Ost-Seite wurden in der obersten Etage terrassenartige Dachgärten in das Gebäude eingeschnitten, private Freibereiche mit einem schönen Blick über das gesamte Quartier.

Blick in die Christianstraße, links Weitblick, anschließend die Stadthäuser © Uta Winterhager

Stadthäuser Christianstraße

Den Blockrand an der Christianstraße bildet eine Reihe von sechs viergeschossigen Stadthäusern aus. Den Höhenversprung des Geländes, das zwischen Leyendecker- und Christianstraße um drei Meter abfällt, nutzten die Planer für die Konzeption der Häuser, die von der Christianstraße ebenerdig mit einer kleinen Lobby erschlossen werden, während sich die Wohnräume auf den vier darüber liegenden Etagen entwickeln. Parken können die Bewohner der Stadthäuser demzufolge direkt unter ihrem Wohnzimmer. Zur Christianstraße ist die mit den für das Quartier charakteristischen grünen Klinkern verblendete Front als klassische Lochfassade ausgebildet, was auch durch die vielleicht etwas zu knallgrün geratene Gestaltung der Eingänge eine sehr deutliche Lesbarkeit der Struktur erzeugt. Im Binnenbereich wenden sich die Stadthäuser mit Gärten, Terrassen und Balkonen ihren Nachbarn zu, die durch Hecken gut dosierte Kontaktaufnahme scheint hier geplant zu sein.

Das „Spielband“ begleitet den historischen Kopfsteinpflasterweg, der eine direkte Anbindung an den Leo-Amann-Park herstellt. © Foto Uta Winterhager
Vor dem „Stadtlabor“ weitet sich der Druchgang zu einem kleinen Platz auf. © Foto: Frank Reinhold, Düsseldorf

Stadtlabor

Stadtlabor wird das zentral an der einem Dorfplatz nachempfundenen Aufweitung des Kopfsteinpflasterweg gelegene Gebäude genannt, dessen kleinteilige Kubatur eine hofartige Aufweitung als Spiel und Freifläche für das gesamte Quartier ausbildet. Die 16 zwei bis vier Zimmer großen Wohnungen in dem mit grünen Riemchen verkleideten dreigeschossigen Bau haben entsprechend ihrer Lage im Stadtlabor eine individuelle Grundrissgestaltung. Die Dachflächen der zweigeschossigen Gebäudeteile sind als Dachgärten gestaltet und bieten in dieser geschützten Lage im Herzen des Quartiers ganz besondere Qualitäten.

Rückansicht des Stadtlabors © Foto: Frank Reinhold, Düsseldorf

Leyendeckerstraße

Der an der Leyendeckerstraße gelegenen Grundstückesteil wurde von der GAG Immobilien AG übernommen, die hier 40 öffentlich geförderte Wohneinheiten in Geschosswohnungsbauweise errichtet hat. Im Untergeschoss liegt eine eigene Tiefgarage mit 28 Stellplätzen. Die Erdgeschosswohnungen verfügen über kleine Privatgärten, über die auch die Erschließung aus dem Blockinnenraum läuft. Die darüber liegenden Wohnungen werden über einen zentralen Eingang an der Leyendeckerstraße erschlossen und sind mit einem Balkon oder einer Dachterrasse ausgestattet. Wichtig war Ute Piroeth hier trotz des erheblich geringeren Budgets die ästhetische Gestaltung der Fassaden durch die plastische Gestaltung der Balkone und der breiten Ansichtskanten des farblich abgesetzten Sichtschutzes, hinter der sich nützlicher Stauraum verbirgt.

Rechts Ansicht der GAG-Wohnungen auf den Blockinnenraum, hinten Weitblick © Ute Piroeth

Weiterdenken

Das Baufeld im Norden des Grundstückes wurde an einen Träger veräußert, der in Abstimmung mit dem Gesamtkonzept zwischen der auf dem Nachbargrundstück stehenden Halle und dem historischen Backsteinbaus an der Leyendeckerstraße  eine Kindertagesstätte als winkelförmige Grenzbebauung errichtet. Er wird als Scharnier zwischen dem gewachsenen Viertel und der Neubebauung liegen und zu einem Treffpunkt für Eltern und Kinder von hier und dort werden. Der zweigeschossig geplante Kindergarten erhält einen ebenerdigen, geschützten Freibereich, der mit einem spannenden Spielbereich auf dem Dach verbunden ist.

Unter Einbeziehung des zweiten, direkt am Kopfsteinpflasterweg gelegenen Backsteinhäuschens plant eine Baugruppe den Neubau eines Generationenwohnhauses. Dieser zentral gelegene Baustein, der von einer Gruppe engagierter Menschen getragen wird, soll die Vielfalt des Quartiers in Zukunft noch bereichern.

Uta Winterhager