Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Überrascht vom Normalen

Die Architekturfotografin Kathrin Esser im Porträt

Mit der Kölner Architekturfotografin Kathrin Esser führen wir die Porträtserie Architekturfotografen im Fokus II, in der sich Architekturfotografen unseren Fragen stellen, fort.

Wie kamen Sie zur Architekturfotografie?

In meinem Design Studium an der FH Aachen habe ich mich oft mit Gegenständen und Objekten im nahen Umfeld von Menschen beschäftigt, doch das Porträt stand im Vordergrund meiner Arbeit. Erst an der Folkwang Universität der Künste in Essen wandte ich mich vom Porträt ab, hin zum Interieur und der Architektur.

Mein Schlüsselmoment war es, als ich eine größere Polizeiinspektion  besuchte und mich die Räume mit ihrer Nüchternheit und Langweile überrannt hatten. Ich erfuhr, wie sehr meine eigene Erwartungshaltung von der Realität enttäuscht wurde. Dass reale Raumerfahrungen und Phantasmagorien sich überlagern und kreuzen passiert viel zu oft, somit fing ich an dies zu nutzen, um an Hand von Interieurs gesellschaftlich kritische Fragen zu stellen.

Auszüge aus dem Projekt: Nach einer wahren Geschichte (2016-17) Polizeiinspektion © Kathrin Esser

Bilden Sie Architektur ab oder übersetzen Sie das Gebaute in eine Bildsprache?

Für mich schließt sich das nicht aus. Das Gebaute gibt mir das alles vor. Meine Arbeit ist es in meiner Recherche das Besondere zu identifizieren und es in das Format zu bringen.

Willy-Bomanns-Festhalle in Gangelt-Breberen (Bauwelt 13.2020) © Kathrin Esser

Wie nähern Sie sich dem architektonischen Konzept eines Hauses? Sprechen Sie mit den Architekten und Bauherren oder machen Sie sich selbst ein Bild?

Ich freue mich über jedes Gespräch, ob es mit Architekt oder Bauherr ist. Einige Architekturfotografen sind vom Fach und können diese Gespräche vermutlich anders führen, als ich. Aber ich lasse mir das Gebaute gerne erklären und erläutern. Ich sehe oft das Ganze mit einem anderen oder „frischen“  Blick und weise manchmal auf andere Details hin. Hoffe natürlich, dass diese Gespräche für jede Partei gewinnbringend sind oder, das passiert manchmal, ich ernte verwirrte Blicke. Doch insgeheim finde ich diese Momente auch immer gehaltvoll.

Bei Baudokumentationen finde ich Gespräche mit den Polieren bereichernd. Denn Sie befinden sich jeden Tag auf der Baustelle und sehen das Gebaute im stetigen Wandel und können ganz anders darüber berichten. Bei Ihnen bin ich fasziniert, wie leidenschaftlich sie über Details reden, die im Endeffekt beim fertigen Bau gar nicht mehr sichtbar sind, aber dennoch wichtig sind für das Ganze und für das Leben mit der Architektur.

Baudokumentation St. Marien Kirche in Essen, SCHLUN Projektentwicklung 2020 © Kathrin Esser

Wie viele Bilder braucht man, um ein Haus zu verstehen und welche sind das?

Dies kann ich leider nicht verallgemeinern, denn das ist vom Objekt abhängig. Aber es gilt weniger ist mehr und darin liegt auch die Herausforderung.

In den letzten Jahren sieht man auch in den Architekturzeitschriften belebte Bilder. Eine Tendenz, die Sie begrüßen?

Nicht ganz. Für mich steht das Objekt und dessen Konstruktion im Vordergrund. So lange das Bild keinen Mehrwert durch Personen erhält, finde ich es nicht notwendig. Manchmal scheinen solche Bilder für mich zu gekünstelt, zu gestellt und verlieren den Reiz.

Bürgertreff Gangelt-Langenbroich (Bauwelt 13.2020) © Kathrin Esser

Kann Sie Architektur noch überraschen? Gibt es Gebäude, die bei Ihnen eine besondere Leidenschaft auslösen?

Nicht nur die großen Namen in der Architektur und Design erwecken mein Interesse, sondern auch Bauten von „nebenan“. Ich lasse mich gerne von der Normalität und Banalität überraschen.

Meine Faszination liegt darin wie wir mit dem gegebenen Raum umgehen, wie er uns beeinflusst und wie wir ihn uns zu eigen machen. Ich hinterfrage den idealistischen Kerngedanken der Architektur und gleichzeitig aber den Umgang mit dem Gebäude. Überschneiden sich diese beiden Ansichten oder driften sie auseinander? Oder was passiert wenn der Leitgedanke überholt ist, gibt es dann noch eine Zukunft für diese Räume? Wie sehen Zwischenlösungen oder Umnutzungen aus?

Architektur bedeutet für mich auch immer Raum zu schaffen und Abgrenzung zu Anderen. Es entstehen Räume und Orte speziell für diese eine Personengruppe, dieser gewisse Kreis darf sie betreten und nutzen. Meine Aufmerksamkeit wird auf die Anderen und deren Wahrnehmungen und Imagination gezogen.

Auszug aus dem Projekt: Untitled (work in progress) Schule © Kathrin Esser

Welche Lichtsituationen schätzen Sie besonders?

Eigentlich alle! Jede hat etwas für sich. Aber am liebsten fotografiere ich bei einem gleichbleibenden, diffusen Licht.

Westzipelhalle Selfant-Tüddern (Bauwelt 13-2020) © Kathrin Esser

Woran erkennt man Ihre Bilder?

Eine gute Frage, die ich vielleicht gar nicht beantworten kann. Eventuell sieht man einen Unterschied darin, dass meine Fotografie leise und ruhiger ist, es besteht eine gewisse Unaufgeregtheit.

Auszug aus dem Projekt: 206-1 (2018-20) in Zusammenarbeit mit Derichs und Konertz, SCHLUN, Züblin © Kathrin Esser

Ist die digitale Fotografie gegenüber der analogen Fluch oder Segen für Sie?

Ich bin mit der digitalen Fotografie aufgewachsen. Das analoge Arbeiten habe ich damals im Studium zusätzlich gelernt und finde es toll, dass es heutzutage wieder ein Revival erlebt. Meiner Meinung nach kann das Digitale und Analoge nebeneinander funktionieren, beide haben ihre Vor- und Nachteile, die oft schon und genügend besprochen worden sind. Man muss sich bei der Wahl, nur nach dem Zweck der Fotografie fragen.

www.kathrinesser.de

Kathrin Esser © Thekla Ehling

Die Fragen stellten Barbara Schlei und Uta Winterhager