Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Der weite Weg zur Wende

Zu Quarantänezeiten machten viele Städte mehr Platz fürs Radfahren. Was hat sich in Köln aus der Krise entwickelt?

Die Wochen, in denen es hieß „bleib zuhause“, das waren auch schöne Wochen: Die City hatte sich von heute auf morgen in ein Reallabor zur autofreien Innenstadt verwandelt, und endlich konnte man sie rundum in 3D wahrnehmen, anstatt Blick und Aufmerksamkeit darauf zu richten, nicht unter die Räder zu kommen. Schön war es, auf den leeren Straßen zu fahren. Gerade diese Leere brachte unübersehbar zutage, welch absurd riesigen Flächen der Autoverkehr einnimmt.

Im Kölner Stadtraum ist dem Verkehr mehr Fläche gewidmet als dem Wohnen – oder man könnte sagen, dem Unterwegssein mehr Platz als dem Dasein. Für das Distanzierungsgebot sind die breiten Straßen natürlich praktisch, und in vielen Städten, zum Beispiel in Paris, in Berlin und in München, wurden kurzerhand Auto- in Fahrradstraßen umgewandelt, damit all diejenigen, die aufs Rad umstiegen, genug Abstand zueinander halten konnten. Und während pop up stores irgendwann auch wieder „wegpoppen“, haben die pop up bike lanes gute Chancen, in die dauerhafte Radinfrastruktur eingegliedert zu werden. Einmal da, immer da. Wenn Corona den Verkehr regelt, kann alles sehr schnell gehen.

Pop-up Fahrradspur in Paris, Mai 2020 © Foto Ibex73 , Wiki commons

Pop up blocker

Aber nicht in Köln. Oberbürgermeisterin Henriette Reker schrieb einen Brief an NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst. Sie wollte die Radwegbenutzungspflicht aufheben und Fahrradpiktogramme oder -piktogrammketten auf die Fahrbahnen aufbringen lassen. Damit dürften Radfahrer auch die Autospuren benutzen, und die Autofahrer würden durch die Piktogramme darauf hingewiesen. Einen klaren Erlass der Straßenverkehrsordnung zu diesem Punkt gibt es nicht, und auch auf Rekers Brief hin kam keine deutliche Ansage aus Düsseldorf – das Ministerium spielte den Ball einfach nur zurück. Es widerspricht aber der Natur von Straßenverkehrsämtern, etwas ohne klare Anordnung auszuführen. Passiert ist daher: Nichts.

Unterschiedliche Wirklichkeiten: Plakatmotiv der Stadt Köln  und sich in Parkstreifen „auflösende“ Radwege in Köln, Altstadt Nord

Pop ups wollte die Stadt Köln sowieso nicht. Sie gehört der Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Städte, Kreise und Gemeinden (AGFS) an, die glaubt, dass „Maßnahmenplanungen wie Markierungen, Fahrradstraßen etc. Teil von fachlich durchdachten, fundierten und abgestimmten Radverkehrskonzepten bzw. gesamtstädtischen Mobilitätskonzepten“ seien. Die Stadt Köln, so hört man aus dem Presseamt, setzt auf die dauerhafte Einrichtung von Radverkehrsanlagen.

Sitzplätze statt Stellplätze am Gürzenichquartier in der Altstadt © koelnarchitektur.de

Radverkehrskonzept für die Kölner Innenstadt

Und das dauert. Peter Gwiasda, Vorstand vom Planungsbüro Via und Autor des 2016 verabschiedeten „Radverkehrskonzept für die Kölner Innenstadt“ sagt dazu: „Es gibt ja schon jede Menge Beschlüsse, man müsste sie nur umsetzen.“ Im Gutachten sind fünf Schwerpunktmaßnahmen definiert, die „Big 5“: die Nord-Süd-Fahrt (Ebertplatz bis Volksgarten), die südliche Ost-West-Achse (Barbarossaplatz bis Stadthaus), das Rheinufer (zwischen Hohenzollernbrücke und Deutzer Brücke), die Zülpicher und die Gladbacher Straße.

„Gerade in der Kölner Innenstadt gibt es viele Straßen mit vier und noch mehr Spuren. Hier könnte man sehr schnell etwas machen. Was in der City passiert, das kriegen alle mit, und das hätte Strahlkraft auf die anderen Stadtbezirke,“ so Gwiasda weiter. Festgelegt wurde unter vielen anderen Maßnahmen auch, dass entlang der Wälle Fahrradstraßen entstehen und innerhalb der Innenstadt nur noch Anwohnerparken erlaubt sein sollen. In Gänze umgesetzt wurde aus dem Katalog bisher aber nur der Radweg an der Gladbacher Straße, alle anderen Vorhaben sind erst stückweise oder gar nicht realisiert.

Die aufgeräumte Marspfortengasse ist jetzt nicht mehr nur die Rückseite der Hohe Strasse. Es gibt hier jetzt auch mehr Platz für Kaffee und Kuchen unter freiem Himmel. Foto ©koelnarchitektur.de

Mehr Rad auf den Ringen und in der Altstadt

Blau markiert sind die Bereiche, in denen öffentliche Stellplätze abgeschafft wurden. © Stadt Köln

Damit Maßnahmen es vom Konzept in die Realität schaffen, durchlaufen sie in Köln einen unendlich zähen Geburtsprozess. Warum die Kölner Verwaltung Jahre dafür braucht, Farbe auf die Straßen zu malen, während andere Städte es in wenigen Tagen schaffen – die Antwort liegt auf der Hand: Wenn man will, dass alles so bleibt, wie es ist, tut man einfach … nichts – Krise hin, Krise her. Es braucht resolute Geburtshelfer mit langem Atem, wie die Initiative RingFrei, die als breites Bündnis aus Geschäftsleuten und Bürgern seit den 90er Jahren die Umgestaltung der Ringe vorantreibt.   

Und auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat jetzt für Bewegung gesorgt: Der außergerichtliche Vergleich zwischen ihr, dem Land NRW und der Stadt Köln zum Dieselfahrverbot verpflichtet Köln zu strikteren Maßnahmen zur Luftreinhaltung. Und plötzlich geht, was seit 2007, als Albert Speer den Masterplan für die Stadt formulierte, auf Papier geschrieben steht, nämlich die Kölner Innenstadt vom ruhenden Verkehr freizuräumen. Lag bisher die Umsetzung dieser Maßnahme unter der Wahrnehmungsschwelle, so haben jetzt ganze 118 PKW-Stellplätze in der Altstadt Platz gemacht für Baumkübel, Sitzbänke, Fahrradständer und Tische und Stühle der Außengastronomie. Und das ist erst der Anfang.   

Und anderswo?

Wie ein roter Faden zieht sich das neue Radwegesystem durch Frankfurt. Auch die Bankenstadt am Main setzt ein umfassendes Radwegekonzept  in der Signalfarbe um. Fotos ©Barbara Schlei, Juni 2020
Auch Bonn hat eine neue Fahrradspur eingerichtet, Mai 2020 © Foto Uta Winterhager
So sieht es aus, wenn das „Auto zu Gast“ ist – Fahrradstraße in den Niederlanden © Ben.manibog, Wikimedia Commons

Die Pariser Innenstadt soll Fußgängerzone werden, in Brüssel gilt ab nächstem Jahr Tempo 30, und in Köln ist es immerhin gelungen, in der Ehrenstraße, ein wirklich ärgerliches Beispiel für „ist schon immer so gewesen“, an Samstagen Parkplätze temporär mit absolutem Halteverbot zu belegen, damit mehr Platz für Fußgänger ist. Aber nur als Corona Maßnahme. So manche Vorgaben des Fahrradkonzeptes sind zumindest in Teilen realisiert, und für das 2. Halbjahr 2020 hat die Stadt noch viel vor, wie in der Liste unten zu sehen ist. Dass sie irgendwann Preise für Fahrradfreundlichkeit gewinnt, ist noch nicht abzusehen, aber im Dicke-Bretter-Bohren hat sie sich die Ehrenurkunde verdient.

Radverkehrsmaßnahmen im Stadtbezirk Innenstadt 2. Hj 2020

  • Ubierring (Umwandlung Autospur in Radfahrstreifen, Nordseite)
  • Habsburgerring (Umwandlung Autospuren in Radfahrstreifen)
  • Hohenzollernring (Umwandlung Autospuren in Radfahrstreifen)
  • Barbarossaplatz (Umwandlung Autospur in Radfahrstreifen, Nordseite)
  • Magnusstraße (Umwandlung Autospuren in Radfahrstreifen
  • Christophstraße, Gereonstraße, Unter Sachsenhausen, An den Dominikanern (Umwandlung Autospuren in Radfahrstreifen)
  • Aachener Straße auf Höhe des Aachener Weihers (Umwandlung Autospur in Radfahrstreifen, Südseite)
  • Tel-Aviv-Straße/Neuköllner Straße (Umwandlung Autospur in Radfahrstreifen, Ostseite)
  • Mühlenbach (Verbreiterung bestehende Radfahrstreifen)
  • Fleischmengergasse (Einrichtung Fahrradstraße)
  • Gotenring (Rad-Aufstellflächen)

Meldungen zum Radverkehr in Köln: https://www.stadt-koeln.de/leben-in-koeln/verkehr/radfahren/aktuelle-info

Ira Scheibe

2 Kommentare

„Die Stadt Köln, so hört man aus dem Presseamt, setzt auf die dauerhafte Einrichtung von Radverkehrsanlagen“ – Liest man die Tätigkeitsberichte des Verkehrsamts, gibt sich ein ganz anderes Bild: Seit Jahren setzt die Stadt auf die dauerhafte Umwandlung von Radverkehrsanlagen in Gehwege mit „Radfahrer frei“-Gabe. Neue, wirklich nur für den Radverkehr vorgesehene Wege, die nicht von Kfz befahren werden können, sind praktisch aus der Planung verschwunden. Selbst Fahrradstraßen sind für Kfz friegegeben, Radspuren sind links von Parkplätzen angelegt, sodass Kfz um Parken über die Radspure fahren müssen. Daran ist natürlich eine Planung Schuld, die den Mischverkehr von Rad und Kfz viel zu leichtfertig als Ersatz für die notwendige Trennung der beiden akzeptiert, obwohl es in Köln viel zu wenige Möglichkeiten für Radfahrende gibt, ohne die ständige Bedrohung durch Kfz vorwärts zu kommen.
Vor diesem Hintergrund ist schon die Anfrage Rekers nach Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht vollkommen unverständlich: Es fehlen ja überall im Stadtgebiet Radwege, die man überhaupt benutzen könnte. Solange sich das nicht ändert, bleibt Köln die radverkehrsfeindlichste Stadt in NRW.

Anhand der Konzepte, Planungen und Beschlüsse sieht man, dass irgendwo ein Wille vorhanden ist. Doch ich habe Zweifel daran, dass die hier aufgeführten Maßnahmen im zweiten Halbjahr auch tatsächlich umgesetzt werden.
Die Oberbürgermeisterin kündigte die Umwandlung einer Fahrspur in einen Radfahrstreifen für die Gereon-, Christoph- und Riehler Straße in der Neujahrsrede 2019 bereits an. Jetzt haben wir Mitte 2020 und keine der drei Maßnahmen ist in Umsetzung. Auch die Ringe machen kleine Schritte von immer mal wieder 300 Metern. Wieso nicht mal eine Achse durchziehen? Das Team des Fahrradbeauftragten wurde bereits aufgestockt – woran hakt es also? Ich wünschte, ich könnte Köln für Radmaßnahmen öfter loben – aber angesichts der Geschwindigkeit für „Eimermaßnahmen“ ist das momentan leider weniger der Fall. Im Bereich neuer Radabstellanlagen und der Lastenradförderung ist die Stadt immerhin gut dabei! Ohne sichere Wege von A nach B bringen diese Maßnahmen jedoch auch wenig.
Ich bin gespannt, was die Stadt in den kommenden fünf Monaten tatsächlich umsetzen wird und hoffe natürlich, so viel wie angekündigt.