Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Böhm für Fortgeschrittene

Mit koelnarchitektur.de auf Bustour zum „späten“ Böhm

„Wie will man das denn haben?“ Mit dieser Frage ging Gottfried Böhm an seine Bauaufgaben heran, und daraus entstanden sehr eigene, dem menschlichen Maße verbundene Werke. Der Fokus der Reihe BÖHM100 zum 100. Geburtstag im Januar liegt auf den kristallinen Betonbergen Böhms, und es ist überfällig, dass er für dieses Schaffen im Heimatland endlich die Aufmerksamkeit erhält, die er im Ausland schon lange hat.

In unserem Beitrag jedoch zu BÖHM100 fahren wir dorthin, wo wir anderen Gratulanten und Architektur-Pilgern kaum begegnen werden. Mit unseren Lesern wollen wir uns an und in Bauten trauen, die als schwierig gelten: das Wohnquartier Seeberg-Nord, das Rathaus in Kalk und die WDR-Arkaden. Wir mieten einen Bus und hoffen auf viele Abenteurer – und es gibt auch eine Kaffeepause, versprochen!

Seeberg-Nord: Sozialer Wohnungsbau im Dorf-Format

Ende der 1960er Jahre werden in Deutschland keine neuen Kirchen mehr gebraucht, und Böhm verlagert sich auf die Stadtbereichsplanung und auf Verwaltungsbauten. Doch seine grundsätzliche Frage bleibt dieselbe: Wie will man als Mensch arbeiten und leben in diesem Gebäude, in diesem Quartier?

„Affenkäfige“ nennen die Bewohner liebevoll ihre Balkone im viertelkreisförmigen Hof am Matareweg. © Elke Wetzig Elya (via Wikimedia Commons)

 

Seeberg liegt tatsächlich am See, also fast jedenfalls, und zwar am Fühlinger See im Kölner Norden. Unter Konrad Adenauer plante Fritz Schumacher die „Neue Stadt im Kölner Norden“. In Alt-Seeberg fing es in den 50er Jahren an, meist mit Einfamilienhäusern; nach Norden hin wuchs die Trabantenstadt bis zu den Hochhaustürmen von Chorweiler. Zwischen 1963 und 1974 plante und baute Böhm hier Sozialwohnungen in einer Anlage zwischen Riphahnstraße und Matareweg für die Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft.

Böhms Siedlung ist im schönsten Sinne begehbar. Ein neungeschossiger Bau in Form eines Viertelkreises bildet den Auftakt, von diesem Platz aus führt eine schmale Fußgängerstraße durch fünf- bis siebengeschossige Zeilen auf der einen und zwei- bis dreigeschossige auf der anderen Seite. Es geht auf und ab, über farbig abgesetzte Treppen und Brücken vorbei an begrünten Podesten; zierliche Laubengänge führen zu den Wohnungen.

Für Vielfalt und Durchmischung sorgen: Sozialer Wohnungsbau bei Gottfried Böhm, entstanden zwischen 1963 und 1974 in Seeberg-Nord. © Elke Wetzig Elya (via Wikimedia Commons)

Denkmalschutz in Chorweiler

Böhm hat dörfliche Strukturen – das Spiel mit verschiedenen Ebenen und der Detailreichtum der Gestaltung – in den Siedlungsbau überführt. Die Architektenschaft war und ist begeistert, Seeberg Nord setzt für sie Maßstäbe im Sozialen Wohnungsbau. Doch die Bauten sind inzwischen stark sanierungsbedürftig, und die Eigentümerin hat bereits massive Eingriffe zugelassen, indem sie zum Beispiel den aufwendig bearbeiteten Beton mit einem Anstrich versehen ließ.

Wie verträgt sich Denkmalpflege mit Wohnberechtigungsscheinen? Was hat sich Gottfried Böhm zum Thema Barrierefreiheit gedacht, als es dieses Wort noch nicht einmal gab? Funktionierte das „Dorf“ im Kölner Norden, so wie Böhm es sich vorstellte, und funktioniert es heute noch? Es sind diese und weitere Fragen, auf die wir im Kölner Norden nach Antworten suchen.

Bezirksrathaus Köln-Kalk

Eine Glaspyramide als Dach, der schlanke, aus der Gebäudefront herausgelöste Treppenturm, Wandpfeiler aus Backstein, die verbindende Halle und sogar das Rosenmotiv – mit dem zwischen 1986 und 1992 entstandenen Rathaus Kalk greift Gottfried Böhm Architekturmotive seines Schaffens auf, die er auch zukünftig weiterentwickeln wird. Mit den unterschiedlichen Bauhöhen des mehrteiligen Komplexes, einer kräftigen Durchgliederung des Volumens und kontrastierenden Materialien passt sich das Rathaus trotz seiner Größe in die Umgebung ein.

Typisch Böhm? Das Kalker Bezirksrathaus, aus den Jahren 1986 bis 1992 © Elke Wetzig Elya (via Wikimedia Commons)

Böhm hat den Kalker Stadtraum im Rathaus „eingehaust“ – sein Werk zeigt viele Beispiele solcher öffentlichen oder halb öffentlichen Bauten, wie das Züblin-Haus in Stuttgart und in Köln das Hyatt Hotel und die WDR-Arkaden. Folgt er einem vergleichbaren Konzept wie in Seeberg-Nord, nur dass ein überdachtes Ensemble entstanden ist? Sind die Kalker um ihr Rathaus zu beneiden? Mögen die Antworten ausfallen wie auch immer, die Kaffeepause jedenfalls nicht.

Nordostansicht der WDR-Arkaden, die allerdings Kolonnaden sind © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

 

Die WDR-Arkaden

Zwischen 1991 und 1996 errichtete Gottfried Böhm zusammen mit seinen Söhnen Peter und Paul die sogenannten WDR-Arkaden in der Kölner Innenstadt. Typisch ist hieran erst einmal, dass dem Gebäude ein Name verpasst wird, der mit der Realität nichts zu tun hat. Arkaden, nämlich von Stützen getragene Bögen, gibt es keine, es sind Kolonnaden, mit geradem Gebälk. Das war der WDR-Öffentlichkeitsarbeit offensichtlich schnuppe. Ist aber auch ein Fall von „alternativen Fakten.“

Ein Gebäude also, das nach etwas heißt, was es nicht ist. Und postuliert, was es nicht einlöst – nämlich Transparenz im Baulichen sowie im Inhaltlichen. Die Passage durch das Gebäude entwickelt mit der bizarren Baum-Brunnen-Plastik und dem rot eingefärbten Untergeschoss einen eigenartigen Abwärtssog, wie eine Höllenfahrt. Mit anderen Worten: Raus hier, aber schnell!   

Die Kantine im 1. Stock ist öffentlich. Dass sie dennoch kein Geheimtipp für ein günstiges Mittagessen ist, dürfte nicht nur am Speisenangebot liegen. © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

 

Und doch: „In diesem Gebäude kumuliert [Böhms] gesamtes Schaffen, obwohl dies auf den ersten Blick abwegig erscheint,“ schreibt Peer Alexander Kantzow in seiner Dissertation über Böhms Arkaden. Es war keine leichte Aufgabe, ein Gebäude zu konzipieren, das sich neben dem Vierscheibenhaus behauptet und 220 Meter Straßenfront zur Nord-Südfahrt hin aushält. Und dann musste auch noch die Intendanz mit hinein geplant werden. Die städtebauliche Aussage, die Vielansichtigkeit des Gebäudes als Reaktion auf die Umgebung, ging zulasten der Innenkonzeption.

So oft passieren wir dieses zentral gelegene Gebäude, da lohnt es sich, dass wir uns mit ihm anfreunden. Denn die schwierigen Freunde sind manchmal die besten. Sind Sie dabei?

Ira Scheibe

Diese Tour kann individuell geplant werden.
Kontakt: schlei@koelnarchitektur.de

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