Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Verdauungstrakt als Kunst

Architektur-Installationen bei der Ruhrtriennale

„Normalerweise wird hier Bier serviert“, sagt Joep van Lieshout über seine Installation BarRectum, „aber hier bei der Ruhrtriennale kann man dort Informationen bekommen.“ Bier ist ohne Frage logischer, denn das Kunstwerk hat die Form eines begehbaren menschlichen Verdauungstrakts von der Speiseröhre über den Magen bis hin zum Enddarm. „Das ist einerseits ein Statement zur Architektur, wo man sich Gedanken zu ‚form follows function‘ macht, andererseits aber auch ein Statement zum Konsum, denn die Verdauung hat mit Konsum zu tun“, so Lieshout.

Die ungewöhnlich geformte Bar steht vor der Bochumer Jahrhunderthalle und ist Teil der diesjährigen Ruhrtriennale. Das Atelier van Lieshout, bekannt für Installationen zwischen Kunst und Architektur, hatte den Auftrag, dort eine Art Festivalzentrum zu errichten. Zentraler Ort ist das Refektorium, wo Lesungen, Performances oder Filmvorführungen stattfinden und wo ein Bochumer Gastronom eine Kneipen-Zweigstelle auf Zeit eingerichtet hat. Es ist eine große, zu einer Seite offene Halle, deren Besonderheiten sich zunächst verstecken. Hinten in der Ecke ist ein kleiner Raum angebaut. Nicht etwa die Küche, sondern die „Werkstatt für Waffen und Bomben“.

Hölzerner Wohn- und Schlafraum des "Domestikators" von Atelier van Lieshout bei der Ruhrtriennale. Foto: Vera Liskaowski
Hölzerner Wohn- und Schlafraum des „Domestikators“ von Atelier van Lieshout bei der Ruhrtriennale. Foto: Vera Liskaowski

 

„Es geht um Ethik“, erklärt Joep van Lieshout, „um die Möglichkeit von Menschen, die Welt zu beherrschen.“ So sei auch der Titel der Gesamtinstallation zu verstehen: „The Good, the Bad and the Ugly„, was nichts mit dem Film zu tun habe. „Um eine bessere Welt zu machen, werden Grenzen überschritten. Der Mensch wird aber auch domestiziert durch unsere Gesellschaft.“ Darauf bezieht sich der „Domestikator“, ein spartanischer Wohnturm, in dem Besucher übernachten können – und in dem man die Erkenntnis gewinnen könne, ob man selbst die Welt verändere, oder die Welt einen verändert. Diese Übernachtungsmöglichkeit ist eine ziemlich abgespeckte Version des ursprünglich geplanten „Dorf des Musikstammes“ aus 70 Datschen, in dem auch Künstler der Ruhrtriennale übernachten sollten. Aus finanziellen Gründen wurde es nicht ausgeführt.

Joep van Lieshout vor seinem Werk "BarRectum" bei der Ruhrtriennale; Foto: Vera Lisakowski
Joep van Lieshout vor seiner Installation „BarRectum“ bei der Ruhrtriennale. Foto: Vera Lisakowski

 

Trotzdem ist die Gesamtinstallation vom Atelier van Lieshout riesig und auch ohne den manchmal zu abstrakten Überbau sehr unterhaltsam. Im Foyer der Jahrhunderthalle sind die kleinformatigeren Skulpturen ausgestellt. Mit Ausnahme des „Excrementoriums“: Ein Kreis aus knallroten, weichen Toiletten. „Verdauung und Toiletten spielen eine ständige Rolle in meiner Arbeit“, sagt Joep van Lieshout, und selbstverständlich könne man diesen Toilettenkreis benutzen – für Gespräche. Auch wenn sich immer wieder Querbezüge finden, wie zwischen den Toiletten aus dem Jahr 2013 und dem Verdauungstrakt von 2005, oder der Farm für die heilige Familie „Hagioscoop“ von 2012 und der „Pioset Farm“ aus 1999, lässt das Gesamtensemble aus bestehenden und neu geschaffenen Arbeiten eine Linie vermissen. Aber in den drei Jahren der Intendanz von Johan Simons soll es immer wieder in veränderter Form aufgebaut werden – es wird spannend, diese Entwicklung zu beobachten.

Der ehemalige China-Imbiss "Panda Imbiss" von außen, Kunst-Installation von Anne Mahlow und Leander Ripchinsky bei der Ruhrtriennale. Foto: Vera Lisakowski
Der ehemalige „Panda Imbiss“ von außen, Kunst-Installation von Anne Mahlow und Leander Ripchinsky bei der Ruhrtriennale. Foto: Vera Lisakowski

 

Auch bei anderen Kunstinstallationen der Ruhrtriennale ist zu hoffen, dass sie in den kommenden Jahren weiterentwickelt werden: Für das Projekt „Ausstellungsstück“ bespielen 13 Kunststudenten insgesamt neun leerstehende Ladenlokale in Bochum, Dinslaken und Duisburg. Nur durch das Schaufenster kann und soll man hier die Kunst rund um die Uhr erleben können. Herausgekommen sind auch stark ortsspezifische Arbeiten, wie der „Panda Imbiss“ in Duisburg Ruhrort. Hier präsentieren Anne Mahlow und Leander Ripchinsky, Studenten der Angewandten Theaterwissenschaft in Gießen, die Theke eines ehemaligen China-Imbiss in einer blinkenden Guckkasten-Bühne, begleitet von einer Klanginstallation aus Imbiss-Geräuschen – und jeder Menge Müll aus dem Ladenlokal. „Wir haben so wenig wie möglich in den Raum eingegriffen“, erklärt Anne Mahlow den Umgang mit dem seit acht Jahren verlassenen Imbiss, den man nun am besten in der Dunkelheit betrachtet.
Gleiches gilt für René Kerstings Arbeit „Der Sockel“ nur ein paar Schritte weiter. Er studiert derzeit Baukunst an der Kunstakademie Düsseldorf und brauchte für seine Installation ein möglichst großes durchgehendes Fenster mit dünnem Rahmen. So verschafft er dem Gebäude ein neues Erdgeschoss – oder vielmehr 100 neue Erdgeschosse, aus Fotos, die von innen auf das Schaufenster projiziert werden. „Der Sockel gehört der Öffentlichkeit“, erklärt Kersting, „wir müssen uns fragen, wie wir ihn gestalten“. Mit seinen Fotos aus Düsseldorf, Krefeld und Wuppertal zeigt er, wie die Gestaltung des Sockelgeschosses das Gebäude transformiert und welche Möglichkeiten der Sockelgestaltung es überhaupt gibt.

Der austauschbare Büroraum in der Arbeit "Crisp Consulting" von Niko Abramidis bei der Ruhrtriennale. Foto: Vera Lisakowski
Der austauschbare Büroraum in der Arbeit „Crisp Consulting“ von Niko Abramidis bei der Ruhrtriennale. Foto: Vera Lisakowski

 

Ebenfalls in Duisburg Ruhrort befindet sich „Crisp & Consulting“, wo sich Niko Abramidis mit dem Erscheinungsbild von Städten, noch stärker aber mit dem von Firmen, auseinandersetzt. Neben seinem Kunststudium studierte er auch Architektur und Wirtschaft und persifliert in dieser Arbeit die Gesichtslosigkeit heutiger Unternehmen: Aussagelose Stellenanzeigen hängen im Fenster der überdimensionalen gekachelten Räume, Energy-Drinks stehen herum, Schuhe, ein Hut, eine Waffe und Fertigessen vor dem überdimensionalen Bild eines Dachterrassen-Pools. Was hier gearbeitet werden könnte, lässt sich daraus nicht schließen.

Auch die Fotoarbeit von Zahava Rodrigo in einem Einkaufszentrum in Bochum sowie die spaßige Installation von Jens Kothe und Tim Löhde gleich nebenan beschäftigen sich mit ihrer Umgebung, damit, wie wir Stadt wahrnehmen, was zu dieser Wahrnehmung beiträgt. Mit den Gründen für den Leerstand, der ja Ausgangspunkt war für die Installationen, setzt sich keiner der Künstler auseinander. Aber das ist für den Anfang vielleicht auch zu viel verlangt. Besser als verlassene Ladenlokale oder lieblose Ein-Euro-Shops sind die Kunstinstallationen allemal. Zu erleben noch bis zum 26. September.

Vera Lisakowski