Hannsjörg Voth? Klar, der mit der Himmelstreppe. Viele kennen die Bilder des Projekts in der marokkanischen Wüste. Ingrid Amslinger hat das Werk ihres Mannes in großartigen schwarz/weiß-Aufnahmen in Szene gesetzt über das er im Gespräch mit Udo Weilacher 1996 sagte: „Meine Kunst mache ich ausschließlich für mich selbst“. Wie andere Objekte auch, hat Voth die Himmelsleiter bewohnt – nicht nur an, sondern lange auch in ihr gearbeitet. Im selben Interview bekannte der Künstler damals, die Impulse zu seinen Arbeiten kämen stets aus ihm selbst, seien gleichermaßen Kindheitserinnerungen wie Prägungen eines „unverbildeten Menschen“. Das sollte man sich vor Augen rufen, wenn man die seit dem 19. Mai endlich eröffnete Ausstellung „Zu Lande und zu Wasser. Hannsjörg Voth, Ingrid Amslinger“ im Wuppertaler Von der Heydt-Museum besucht.
Er glaube zwar, so Voth, „dass jede künstlerische Botschaft eine Aussage hat. Falsch wäre aber zu glauben, dass ich in erster Linie Botschaften vermitteln will. Es geht mir primär um die egoistische Realisierung meiner Wunschvorstellungen.“ Diese Haltung hat schon bei den frühen Werken Voths für Irritation gesorgt. Der ausgebildete Zimmermann und gelernte Grafiker beschäftigt sich Anfang der 1970er Jahre bereits seit einiger Zeit mit Verschnürungen und Bandagen. Anders als Christo und Jean-Claude geht es ihm dabei aber weniger um das Verhüllen an sich, sondern eher um das Verbinden einer Wunde. Die Feldzeichen (1973–1975), vier 28 Meter hohe und teils bandagierte Fichtenstämme, sollen nach dem Willen des Künstlers für die Dauer eines Jahres auf einer kleinen Anhöhe bei Ingelsberg in der Nähe Münchens stehen. Bewilligt werden sie von den lokalen Behörden aufgrund von Sicherheitsbedenken nur für zwei Monate, bereits nach sechs Wochen werden die Stämme von Unbekannten abgesägt. Amslinger und Voth aber hatten das gesamte Projekt dokumentiert. Inklusive aller Briefwechsel mit Ämtern und Behörden. Ein bis heute beeindruckendes und prototypisches Konzeptbuch der 1970er Jahre.
Jahre der Arbeit, Minuten des Verlusts
Auch mit der Floßfahrt, der „Reise ans Meer“ (1975–1978), stößt Voth an Verständnisgrenzen. Jahre der Vorbereitung, hunderttausende von D-Mark, zahlreiche Handwerker und nicht zuletzt begleitende Flößer, die auf dem 32 Meter langen Gefährt eine 20 Meter lange, verhüllte Skulptur mit Bleimaske von Speyer bis in die Nordsee flößen – wo das Werk in gut zehn Minuten verbrennt. Bemerkenswert ist dieses Floß auch, weil es das erste Mal nicht nur Objekt, sondern auch temporäre Wohnstatt ist.
Auch für das „Boot aus Stein“ (1978–1981) errichtet Voth zunächst ein skulpturales Atelier: dieses Mal mitten im niederländischen Ijsselmeer. Er wohnt sechs Monate lang in der pyramidalen Pfahlbau-Konstruktion auf dem Wasser und haut dort aus einem monolithischen Stein ein Boot. Wieder so ein Bild aus seiner Kindheit. Das Boot, kaum zu Wasser gelassen, versinkt schließlich in den Fluten des Meeres, wo es bis heute liegt. Das Wohnen am Ort, im Objekt selbst, bleibt das Thema des 1940 in Bad Harzburg geborenen Künstlers. In der marokkanischen Wüste entsteht mit einheimischen Handwerkern ab 1985 die Himmelstreppe und, als sie fertig ist, in ihr diverse Bilder.
Die Wuppertaler Ausstellung zeigt 47 graphische Arbeiten und zwölf Materialbilder, die dort entstanden. Dem vorgegebenen Rundgang zu folgen ist wichtig, zu unvermittelt hängen die Bilder sonst vermeintlich eingangs der Ausstellung, der direkte Zusammenhang mit den in sechzig Fotografien von Ingrid Amslinger dokumentierten Objekten erschließt sich so zunächst nicht. Also: nicht geradeaus die Treppe hinauf, sondern links abbiegen.
Arbeiten am und im Werk
Die in der Zurückgezogenheit der Wüste entstandenen Wasserfarbenbilder schließen sich bei korrektem Rundgang unmittelbar an die Objekte an. Und ruft man sich die Relevanz der Kindheitserinnerungen in Voths Werk vor Augen, müssen das wirkmächtige Dämonen sein, die da im Künstler zu Werke gehen und ihren Ausdruck auf Büttenpapier finden. Gehörnte Wesen, Schlangen und andere, nicht genau zu dechiffrierende Tiere finden sich in szenischen Arrangements zusammen. Die zeitlich wie räumlich unmittelbar folgenden Materialbilder verzichten auf diese Szenerie, zeigen neben den mythologischen Fabelwesen aber zunehmend großformatige Menschengestalten – oft mit betonten Genitalien. Interessanter als die Hervorhebung erotischer oder bloß sexualisierter Körper aber ist die Technik. Voth appliziert Materialien der Wüste – Sand, Asche, Steine, trockene Vegetationsreste – durch verschiedene Siebe auf einen vorher aufgetragenen, noch feuchten Klebstoff. In diesen ritzt und zeichnet er im Anschluss die Figuren und ergänzt sie um Gefundenes wie Stricke, Federn oder auch ein Paar Socken.
Überhaupt beeindruckt die Technik. Vor allem die Materialbilder entwickeln im Detail durch Schwindrisse und Aufwerfungen einen besonderen Reiz. Auch die großformatigen, vielschichtig collagierten Zeichnungen zu den teils in immenser Ausdehnung realisierten Objekten zeigen die graphische Klasse Voths – in der Wuppertaler Schau sind neben den genannten auch „Zwischen Sonnentor und Mondplatz“ (1991–1993), die „Goldene Spirale“ (1992–1997) und die „Stadt des Orion“ (1997–2003) zu sehen. Vor allem aber glänzen die Arbeiten im Licht des Kamerasuchers von Ingrid Amslinger. Zwar kokettierte Hannsjörg Voth einst damit, es ginge ihm um die Realisierung einer Idee und nicht um den Erhalt eines Objekts, die Fotografien seiner Frau aber sind mehr als bloße Dokumentationen, sie sind große Kunst für sich.
David Kasparek
Hannsjörg Voth
Ingrid Amslinger
Zu Lande und zu Wasser
bis 13.9.2020
Von der Heydt-Museum
Turmhof 8
42103 Wuppertal
Öffnungszeiten:
Di-Fr 14-18 Uhr
Do 14-20 Uhr
Sa+So 11-18 Uhr