Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Die Selbstzweifel des Centre Pompidou

Der Episodenfilm „Kathedralen der Kultur“ lässt sechs Häuser zu Wort kommen

„50 Jahre bin ich nun alt“, erzählt uns die Berliner Philharmonie mit der Stimme der Schauspielerin Meret Becker. Und dann aus der Geschichte des Baus, aber auch aus der bewegten Geschichte der Stadt, in der sie steht. So stand sie über Jahre alleine mitten in der äußersten Peripherie West-Berlins, ganz in der Nähe der zeitgleich mit der Philharmonie entstandenen Mauer, bis dann ihre Kumpels, die Nationalgalerie und schließlich die Staatsbibliothek hinzukamen. Depressionen, so scheint es, hat die Philharmonie deshalb aber nicht bekommen. Sie ist sich im Gegenteil sehr dessen bewusst, wie toll sie ist: „Die Utopie einer offenen Gesellschaft spiegelt sich in mir wider“, erklärt sie selbstbewusst über den von Hans Scharoun entworfenen revolutionären Saal, in dem das Orchester in der Mitte steht, umgeben vom Publikumsraum, in dem die einzelnen Blöcke immer so viele Sitzplätze haben, wie das Orchester Mitglieder.

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Die Berliner Philharminie (c) Wim Wender 2013

 

Diese informativen Details sind es, die die Filmepisode von „Kathedralen der Kultur“ über die Berliner Philharmonie sehenswert machen, bei der Produzent Wim Wenders selbst Regie führte. Sie rufen ins Gedächtnis, wie innovativ der Bau zur damaligen Zeit war. Ihr übriges tun die Bilder, die wahlweise die an einen Schiffsrumpf erinnernden Kanten des Saales nachzeichnen, oder uns in den Raum zwischen innerer Saaldecke und Zeltförmiger Außenhaut mitnehmen. Die uns das Dirigentenzimmer zeigen, das heute noch so eingerichtet ist wie zu Karajans Zeiten oder die Restaurierung des Mosaiks in der Eingangshalle, das die Belastungen der „Hackenschuhe“ der Frauen nicht aushält. Obwohl der Bau also aus sich selbst heraus wirken könnte, lässt Wenders zahlreiche Protagonisten auftreten, lässt unter anderem den Architekten Hans Scharoun selbst durch die Philharmonie spazieren. Das ist genauso überflüssig, wie der Text oft anmaßend ist – und doch hat man am Ende dieser Episode viel gelernt und die Berliner Philharmonie auch als Persönlichkeit lieb gewonnen.

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Salk Institute (c) Alex Falk 2013

 

Wissenschaft im Zeitraffer

Ein architektonisch mindestens genauso bemerkenswertes Ensemble, das zur gleichen Zeit wie die Berliner Philharmonie entstand, hat sich Regisseur Robert Redford für seinen Filmteil ausgesucht: Das Salk Institute in San Diego. Hier haben der Wissenschaftler Jonas Salk und der Architekt Louis Kahn versucht, einen Ort zu schaffen, an dem unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen zusammen kommen und frei forschen können. Und so wirft der Film auch die Frage auf, wie man ein Gebäude für die Wissenschaft entwirft – beantwortet sie aber nicht. Redford lässt das Salk Institute nicht in Ich-Form sprechen, bedient sich stattdessen zahlreicher bedeutungsschwangerer Zitate der beiden Initiatoren, aber auch heutiger Wissenschaftler. Die dadurch entstehenden Redundanzen spiegeln sich in den Bildern: Immer wieder kreist die Kamera um die zentrale Achse des Ensembles, die oft eingesetzten Zeitraffer-Aufnahmen werden dem fast sakralen Charakter des Gebäudes genauso wenig gerecht, wie die – mit Verlaub – nervige Musik von Moby. Es entsteht der Eindruck, dass Robert Redford das Gebäude toll findet, aber selbst nicht so genau weiß, warum.

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Halden Prison (c) Heiki Farm 2013

 

Naives Gefängnis

Wo man bei der für die Wissenschaft errichteten Architektur-Ikone Salk Institute noch den weiten Bogen zur Kultur bekommen kann, fragt sich der Betrachter beim norwegischen Halden-Gefängnis schon intensiver nach dem Kulturbezug. Auch dass es sich um ein architektonisch bemerkenswertes Gebäude handelt, wird eher beiläufig erzählt. Architekt Erik Møller hat ein Gefängnis entworfen, das einem Dorf ähnelt, umschlossen von einer 1,4 Kilometer langen Mauer. Aus ihrer Sicht erzählt die Episode des dänischen Regisseurs Michael Madsen auch zunächst, um dann die Identität wechselnd immer weiter ins Innere vorzudringen bis schließlich die Isolationszelle spricht. Insgesamt ist dieses Gefängnis jedoch reichlich naiv, wundert sich darüber, was draußen vor sich geht, und neigt zu einer verklärten Sprache auf der unbedingten Suche nach dem Guten auch in Straftätern. Insgesamt wird hier aber eher vom Alltag in einem vorbildlichen Gefängnis erzählt – wenngleich man in einigen der Bilder durchaus erkennt, dass es sich hierbei um herausragende Architektur handeln muss.

 

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Russische Nationalbibliothek St. Petersburg (c) Wolfgang Thaler 2013

Bücher und Tänzer

Der kürzlich verstorbene österreichische Regisseur Michael Glawogger porträtiert mit der Russischen Nationalbibliothek in St. Petersburg zwar ein durchaus kulturelles Gebäude, ignoriert aber sonst die Vorgaben des Filmes vollständig: Nahaufnahmen von verstaubten Büchern, alten Karteikästen und die Arbeit der Bibliotheksmitarbeiterinnen wird unterlegt mit Auszügen aus Büchern, die sich in der Bibliothek befinden. Das Gebäude erzählt nicht selbst, der Zuschauer erfährt nichts über die Bibliothek, auch nicht, warum Glawogger ausgerechnet sie ausgewählt hat. Schöne Bilder, auf die visuellen Effekte von 3D hin gedreht, fangen einfach nur die Atmosphäre einer vergangenen Zeit ein.

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Olin Opera (C) Øystein Mamen 2013

 

Auch die Norwegerin Margreth Olin kümmert sich hauptsächlich um 3D-Bilder. Eigentlich soll sie das Opernhaus Oslo zeigen, das das Architekturbüro Snøhetta einem Eisberg nachempfunden hat. Ein architektonisches Meisterwerk, das 2008 fünf Monate früher eröffnet wurde, als geplant, der große Saal gleicht dem der Semperoper in Dresden und in ihr hängt der größte Kronleuchter Norwegens. Diese Details allerdings verschweigt die Regisseurin, wie sie auch nahezu jede Ansicht des Gebäudes verweigert. Stattdessen inszeniert sie Ballettszenen und lässt Kinder singen. Ihr Haus ist zudem ziemlich schweigsam. Zwar spricht hier die Osloer Oper, erzählt aber eher von der grundsätzlichen Befindlichkeit eines künstlerisch mittelmäßigen Opernhauses. Die Möglichkeit, hervorragende Architektur zu zeigen, lässt dieser Filmteil ungenutzt.

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Centre Pompidou, (c) Ali Olcay Gozkaya 2013

 

Sensibles Museum

Der herausragenden Architektur widmet sich der brasilianische Regisseur Karim Ainouz mit seinem Portrait des Pariser Centre Pompidou. Er begibt sich einen Tag in das 1977 eröffnete Kulturzentrum, das von Richard Rogers und Renzo Piano entworfen wurde – und offenbar sehr sensibel ist: „Als ich zur Welt kam, sagten die Menschen, ich ähnelte einer Ölraffinerie“, erinnert sich das Centre Pompidou an die Reaktionen auf das Gebäude, bei dem alle Versorgungsleitungen und die Verkehrswege außen liegen, um innen große Flächen für Ausstellungen, die Bibliothek und Veranstaltungen schaffen zu können. Die Verletzlichkeit im Text spiegelt die Stahl- und Glas-Architektur, bei der sich die Stäbe biegen und dehnen, aber nicht reißen. Diese Stäbe und ihre Knotenpunkte setzt Ainouz gekonnt in Szene, natürlich vor Pariser Panorama. Aber auch sonst findet er poetische Bilder für den Tagesablauf im Centre Pompidou: Der Putzmann, der mit elegantem Schwung die Glaswand der Rolltreppe putzt zum Beispiel, oder das komplizierte Verpacken eines modernen Kunstwerks aus Nylonstoff und Säcken. „Es gibt mir einen Stich, es gehen zu sehen, nach Japan, in die Freiheit“, reagiert das Centre Pompidou empfindsam. Selbstzweifel scheinen es im Gegensatz zur Berliner Philharmonie ständig zu plagen. „Ist heute der Tag, an dem die Leute das Interesse verlieren?“, fragt es sich. Bei vier Millionen Besuchern pro Jahr eine überflüssige aber in dieser einfühlsamen Darstellung des Gebäudes sehr nachvollziehbare Frage.

So umgesetzt ermöglicht „Kathedralen der Kultur“ tatsächlich einen ganz neuen Blick auf Gebäude, vielleicht sogar auf ihr Wesen. Die 3D-Produktion verführt allerdings einige der Regisseure zu unmöglichen filmischen Mätzchen und natürlich ist der Film mit 160 Minuten zu lang. Aber konsequent umgesetzt und über die Architektur erzählt, wünscht man sich mehr Filme über weitere Gebäude. So könnte man sich das Wallraf-Richartz-Museum durchaus als eitel vorstellen, Kolumba wäre sicher eher verschlossen und die Kölner Philharmonie ist es wahrscheinlich leid, dass man ihr ständig auf dem Dach rumtrampelt.

Vera Lisakowski

„Kathedralen der Kultur“ läuft derzeit nicht in Kölner Kinos, ist aber in Düsseldorf im Atelier-Kino im Savoy-Theater zu sehen. Der insgesamt 160 Minuten lange Film ist in zwei Teile unterteilt.