Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Der Weg zur Mitte, durch die Mitte und die Mitte selbst

St. Katharina von Siena in Köln-Blumenberg von Heinz und Nikolaus Bienefeld

Es ist ein komplexer Komplex, den man hier in Blumenberg, Kölns (derzeit noch) jüngstem Stadtteil so nicht erwartet hätte. Blumenberg im Stadtbezirk Chorweiler war seit 1963 als Teil der „Neuen Stadt“ geplant, umgesetzt wurden die Planungen jedoch erst Mitte der 80er Jahre. Inzwischen leben hier am nördlichen Kölner Stadtrand fast 6.000 Einwohner in einer sehr gemischten Siedlungsstruktur, die nach und nach mit vielen Varianten des Geschosswohnungsbaus um Deutschlands erste Ökosiedlung gewachsen ist. Nicht fehlen sollte hier ein geistliches Zentrum, weshalb das Erzbistum Köln 1992 unter „renommierten Kirchenbaumeistern“ einen Wettbewerb für den Bau eines Kirchenzentrums mit Gotteshaus, Kindergarten, Pfarrbüro und Dienstwohnung, Pfarrheim mit Pfarrsaal sowie Mietwohnungen und zwei Arztpraxen auslobte. Es überzeugte Heinz Bienefeld mit einem Entwurf, der nicht nur virtuos mit Formen und Figuren spielt, sondern auch Materialien und Bauweisen in fast provokanter Weise ineinander und nebeneinander stellt.

Erdgeschoss-Grundriss der Kirche St. Katharina von Siena mit Gemeindezentrum, Kindergarten, Wohnungen und Arztpraxen © Nikolaus Bienefeld

Leider verstarb Heinz Bienefeld 1995, die weiteren Planungen übernahm sein Sohn Nikolaus Bienefeld. Fast zehn Jahre nach dem Wettbewerb wurde im Dezember 2001 der Grundstein gelegt, geweiht wurde die der Heiligen Katharina von Siena gewidmete Kirche schließlich kurz vor Weihnachten 2003.

An der Ostflanke stößt das Kirchenschiff durch den dreigeschossigen Riegel mit Praxen, Pfarrbüro und Wohnungen © Foto Kerstin Rothmann

Plötzlich doch die große Geste

Der Bienefeld-Komplex, der an der südlichen Aufweitung der zentralen Achse von Blumenberg liegt, eigentlich sogar das Zentrum ist, gibt sich bescheiden, bleibt im Maßstab der Nachbarschaft und doch bleibt das Auge immer wieder am Besonderen hängen. Zweieinhalb Seiten des Blocks sind mit backsteinernen Bauten eingefasst, darin sind sämtliche Funktionen, eine Unterscheidung gibt es in der Höhe, dreigeschossig der Wohnflügel mit vorgesetzen Laubengängen, zweigeschossig, der kürzere mit dem Pfarrbüro, eingeschossig die Nordflanke mit dem Kindergarten.

Ansicht der Loggia an der Südwestecke des Komplexes © Foto Kerstin Rothmann

Es ist auffällig, wie konsequent hier jedes sichtbare Element gemauert ist, fast jeder Sturz und jeder Pfeiler. Sogar die Pfeiler, die unglaubliche drei Geschosse hochragen, um dort oben das Satteldach des Wohnriegels über den Platz hinauszuziehen. Das ist eine große Geste, die jedoch ausgeführt in der Handschrift ihrer Verfasser sehr wohlüberlegt erscheint. Die Ziegel zeigen ihre raue Lagerseite nach außen, mal stehen sie aufrecht, mal liegt der Kopf vorne, die Kombination ihrer vielen Rottöne lässt Flächen und Öffnungen, Streifen und Fugen auch im strengen orthogonalen Raster warm und lebendig erscheinen. Und das sogar an einem eiskalten und regnerischen Ostermontag mitten im Frühjahrslockdown 2021. Nur ein kleines Mädchen auf Rollschuhen dreht konzentrierte Runden unter dem hohen Dach.

Der Kirchturm von St. Katharia von Siena © Foto Kerstin Rothmann

Sakrale Räume

Es fühlt sich ein bisschen an wie Italien oder noch ferner, wie Orte, die man im Urlaub entdeckt, die der Zufall geplant, die Zeit überschrieben hat. Doch dieser Block folgt dem Bienefeld-Skipt, das Erwartungen nicht erfüllt, sondern vollkommen Unerwartetes in den Raum stellt. Nie ohne Kontext, nein, aber einen Kirchturm wie diesen, der etwas abgerückt und aus der Ordnung gedreht an der Westecke des Blockes sitzt, hätte man weder hier noch sonst irgendwo erwartet. Vier stämmige runde Stützen tragen den Turm mit quadratischem Profil, der bis zur Attika grade nach oben wächst. Weit oben in einer der Öffnungen des Geläuts sitzt ein Falke und überwacht den Platz. Zwischen den vier Säulen ist ein besonderer Raum, der, so sah es die ursprüngliche Planung vor, nicht nur offen zu den vier Seiten, sondern auch nach oben sein sollte. Doch dieses in Sichtbeton gegossene Himmelsauge mit fein abgetreppter Kante wurde auf Wunsch der Gemeinde zur Sicherheit mit einem Holzdeckel verschlossen.

Untersicht des mit einer Holzklappe verschlossenen Kirchturms © Foto Kerstin Rothmann

Das eigene Bild

Die Kirche selbst ist ein Kirchenschiff, ein Samenkorn, eine Ackerfurche, eine Gasse in diesem komplexen Komplex. Gebildet aus zwei gebogenen Wandschalen schiebt sie sich von West nach Ost mit 60 Metern Länge durch den Block. Kraftvoll ist diese Geste, massiv die Materie. Zählt man den Boden mit, sind es 12 verschiedenfarbige Schichten Beton, die hier übereinander liegen. Grautöne, Ocker und Rosa entstehen durch unterschiedliche Zuschläge, die in der aufgemeißelten Oberfläche des „gespitzelten“ Betons im Innenraum wie im Außenraum sichtbar sind.

Detail der gespitzelten Betonoberfläche © Foto Uta Winterhager

Die Eingänge liegen in den schmal zulaufenden Köpfen des Kirchenschiffs, im Westen markiert durch den Turm, im Osten schiebt sich die Wand einfach durch den Wohnriegel. Die Kirche liegt etwa eineinhalb Meter unter Straßenniveau, wer dort hineintritt muss das Übliche vergessen, um sich auf diesen ganz und gar unüblichen, da quergestellen Sakralraum einzulassen. Um in der Länge einen Raum, eine Mitte zu schaffen, markiert eine bis zur Decke hochgezogene Konche die zentrale Achse, in der der Altar und darüber das hölzerne Kreuz platziert sind. Ihnen entgegen sind die Bänke für die Gemeinde in einem weiten Bogen aufgestellt. Der Altarraum ist um eine Stufe angehoben, die Figur mehrfach farbig in den Boden eingelassen.

Licht und Linien gegen die Schwere setzen

Ein quadratischer Ausschnitt des von den Eingängen zunächst um eine Stufe abgesenkten Dachs ist wie eine übergroße Laterne abgehoben und lässt das Tageslicht durch die schmalen Fensterbänder ins Zentrum des Kirchenschiffs fallen. Licht markiert das Zentrum und die Eingänge um die soliden hölzernen Portale, und nur zwei weitere quadratische Fenster sind in die massiven Wände eingelassen. Neben dem Altar, siebenfach abgerteppt das Dreifaltigkeitsfenster, ein weiteres Fenster sitzt über den schmalhohen Türen des Beichtraums, der die Wandscheibe auf der Platzseite erweitert (Glaskunst Dieter Hartmann).

Die Seitenkapelle wird über den mit einer Mauer eingefriedeten Innenhof erschlossen © Foto Uta Winterhager

Neben dem Welstportal gibt es eine über den Innenhof erschlossene kleine Seitenkapelle mit Katharinenstatue, die von außen zugängig ist, auch wenn die Kirche selbst tagsüber verschlossen ist. Hier und in der im Untergeschoss auf der Ostseite gelegenen Krypta setzte Bienefeld den bereits etablierten Formenschatz auf kleinerem Raum in sehr verdichteter Form wiederholt ein. Die Struktur der farbig massiven gestreiften Wände, die abgehobene Lichtdecke, Nischen für Figuren und Fenster, die Konche in der Krypta für den Taufstein, Bewehrungsmatten als Material für die Ausstattung.

Alles ist schlüssig, nichts ist gewohnt. Mit der Kirche, wie mit dem gesamten Komplex, in dessen Zentrum sie verankert ist, nutzen Heinz und Nikolaus Bienefeld die Freiheit, die dem Bau einer neuen Kirche in einem neuen Stadtteil innewohnte. Dabei ist das geistliche Zentrum auch durch seine weltlichen Nutzungen Teil des Ganzen geworden, die Kirche selbst ist ein Weg zur Mitte, durch die Mitte und die Mitte selbst.

Uta Winterhager