Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Das Kleid der Nachkriegsmoderne

Die universelle Hülle aus dem Schwabenland als Thema des 2. RVDL Forums

Fassaden und Materialien der Nachkriegsarchitektur standen im Fokus des 2. Forums Nachkriegsarchitektur des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz e.V. (RVDL). Die erste Tagung in dieser Reihe hatte 2018 in Köln stattgefunden, ganz standesgemäß im ehemaligen Amerika-Haus, gebaut 1957 von Rudolf Schickmann. Online ging es nun in die zweite Runde. Die jüngste Veranstaltung am 22. März mit dem Titel Nachkriegsarchitektur – viele Gesichter, neue Materialien“ bot zwei inhaltlich sehr dichte Vorträge: Einer widmete sich einem speziellen „Gesicht“ dieser Epoche, der Vorhangfassade; der zweite behandelte typische Schadstoffe der Nachkriegszeit.

LVR Landeshaus in Köln von Eckhard Schulze-Fielitz, Ulrich S. von Altenstadt und Ernst von Rudloff, 1957-58 als Vorhangfassade mit Neopren Profilen errichtet © Raimond Spekking / CC BY-SA 3.0 (via Wikimedia Commons)

Steigen wir ein mit einem kleinen Ratespiel. Finden Sie, was gleich ist an den folgenden Gebäuden: Der Google Sitz in London von Bjarke Ingels Group; das Gasteig, die Hypo Vereinsbank und die BMW-Welt in München; der Uber-Hauptsitz in San Francisco von ShoP-Architects; die Gerling Niederlassung von Arno Breker in Düsseldorf; das höchste Hochhaus Europas, das Lakhta Center in St. Petersburg, die Elbphilharmonie … die Reihe ließe sich noch eine Weile fortsetzen, und tatsächlich haben alle diese Gebäude etwas gemeinsam.

Kommt auch aus dem Ländle: Die erste Aluminium-Glas-Vorhangfassade in Deutschland an der Kaufhof AG Hauptverwaltung von Hermann Wunderlich (1955) © Raimond Spekking / CC BY-SA 3.0 (via Wikimedia Commons)

Tüfteln im Schwabenland

Und zwar die Fassade, genauer gesagt, den Fassadenbauer: die Firma Josef Gartner aus Gundelfingen an der Donau. Sie besteht seit 1868 und hat sich seit der Nachkriegszeit zum Spezialisten für Fassaden in Aluminium, Glas und Stahl entwickelt. Ein Metallbaubetrieb im Ländle, irgendwo auf halber Strecke zwischen Stuttgart und München, ertüftelte die technische Umsetzung dessen, was die Architekten der Zeit konzipierten und prägte so das Erscheinungsbild der Nachkriegsmoderne entscheidend mit.

Fassadentypen und Fabrikationsprogramm der zwischen 1955 und 1985 von Gartner gebauten Fassaden (das Findbuch von Rouven Grom entstand im Rahmen des Fellowships der Wüstenrot Stiftung) © Rouven Grom, Findbuch Gartner

 

Dr. Andreas Putz, Professor für Neuere Baudenkmalpflege an der TU München, stellte das Projekt von Rouven Grom vor, der nun sein wissenschaftlicher Mitarbeiter ist.  Unterstützt durch ein Fellowship der Wüstenrot Stiftung hat dieser ein Findbuch verfasst, das die zwischen 1955 und 1985 von Gartner konzipierten Fassaden in Deutschland erstmalig listet. Damit hat er wichtiges Terrain erarbeitet für die architektonische, aber vor allem bautechnikgeschichtliche Analyse der Nachkriegsarchitektur.

Das Handwerkliche im Seriellen

Die wichtigste Erkenntnis: Wenn auch der Wiedererkennungseffekt groß ist, die Vorhangfassade ist alles andere als ein Massenprodukt. Jeder Auftrag, so sagt die Firma, war eine Einzelanfertigung. Die Fassaden wurden im Schwabenland produziert, auf dem Werksgelände aufgebaut, wieder auseinandergenommen, auf LKW an ihren Bestimmungsort gefahren und dort von speziell ausgebildeten Mitarbeitern montiert.

Keine ist wie die andere, und darüber hinaus unterscheidet Gartner 18 verschiedene Fassadentypen, einige davon sind patentiert. Rouven Grom hat sie in ein Diagramm gebracht, in dem auch ablesbar ist, wann und in welcher Häufung die einzelnen Typen auftreten und wie sich so das Gesicht der Epoche stetig veränderte. Für sein Findbuch hatte er eine gute Quelle: Seit 1952 gibt Gartner einen Werbekalender heraus.

Etwa 1.300 Fassaden entstanden im Betrachtungszeitraum. Grom schickte einen Fragebogen an Bau- und Denkmalämter und erhielt Rückmeldung zu etwa 1.000 Objekten. Circa 9 % dieser Gebäude stehen unter Denkmalschutz. Kölner Beispiele für Gartner Fassaden sind das ehemalige Haus der Industrie am Rheinufer (heute Flow Tower), das LVR Landeshaus, die Kaufhof-Hauptverwaltung in der Leonhard-Tietz-Straße – die als erste Aluminium-Glas-Vorhangfassade in Deutschland gilt – und auch der Kaufhof-Block an der Cäcilienstraße.

Werbekalender der Firma Gartner © Josef Gartner GmbH, Professur Neuere Baudenkmalpflege TUM, Rouven Grom, Findbuch

Für die Reparatur und Sanierung dieser Individuen gibt es keine Standardrezepte. Dass die einst ausführende Firma dafür herangezogen wird, erhöht die Möglichkeit, die Fassade in ihrem ursprünglichen Charakter fortzuführen – ein für denkmalpflegerische Aspekte sehr positiver Ansatz. Bei der Sanierung des Hypo Towers in München etwa kam Gartner nicht zum Zug. Doch als die Düsseldorfer Commerzbank in ein Hotel umgebaut wurde, hat Gartner die Fassadenelemente in Gundelfingen gereinigt und wiederaufbereitet. 

Zeittypische Schadstoffe der Nachkriegszeit

Noch näher heran an die Gebäude der Nachkriegszeit tritt Stephan Dolata, Leiter der Abteilung Bauwerkssanierung der Arcadis GmbH und Experte für Schadstoffe. Die experimentierfreudige Nachkriegszeit, besonders die 1960er und 1970er Jahre, hinterließ Gesundheitsrisiken in Form von Asbest, von PCB u.a. in Fugenmassen, Lacken und Klebstoffen, von PCP in Holzschutzmitteln und Anstrichen und weiteren Stoffen. Für das doch mehr auf konzeptionelle und gestalterische Fragen fokussierte Publikum gab die „Schadstoff-Galerie“ von Stephan Dolata einen hilfreichen Einblick in diesen Fachbereich.

Am 26. April folgt Teil 3 der Reihe „Alles nur Fassade?“ zum Schwerpunktthema Vermittlung. Die Reihe entsteht als Zusammenarbeit der AG Nachkriegsarchitektur im Rheinland beim RVDL und der Initiative „Die Betonisten“ aus Mainz. Tobias Flessenkemper, Vorstandsmitglied im RVDL hob in seiner Begrüßung dieses Zusammenwirken von „Amt und Ehrenamt“ und der verschiedenen Akteure und Initiativen als Besonderheit dieser Reihe hervor. Ergebnis ist ein praxisnaher, lebendiger Austausch zur Nachkriegsmoderne, der hoffentlich noch in weitere Runden geht.

 

Ira Scheibe