Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Nachruf eines guten Freundes

Gerd de Bruyn erinnert an Thomas Nebel (1960 – 2020)

Stolz durfte er auf alles sein, was er baute. Vermutlich hat aber seine selbstkritische Strenge dieses Gefühl selten aufkommen lassen. Doch einmal packte ihn der Stolz mit Macht, als ihm Gottfried Böhm, bei dem er studiert hatte, zu den Umbauplänen für die Kirche Zur Heiligen Familie gratulierte. Thomas Nebel hatte mit seinem Büro Nebel Pössel den entsprechenden Wettbewerb gewonnen und ebenso den 1. Preis fürs Neue Stadtquartier Sülzgürtel (2014-2020), in dessen Mitte Böhms Nachkriegskirche thront. Dass der Altmeister, der empfindlich reagiert, sobald eines seiner Bauwerke angegangen wird, dem ehemaligen Studenten grünes Licht gab, wird die größte Genugtuung gewesen sein, die Thomas Nebel zu Lebzeiten vergönnt war. Zum Glück hat er die Fertigstellung und den Bezug dieses hochkomplexen Stadtquartiers noch erlebt.

Neues Stadtquartier Sülzgürtel, Köln 2014 – 2020 | 1. Preis beim Einladungswettbewerb (© Foto: HG Esch)

In formaler und mehr noch in funktionaler Hinsicht war Thomas Organiker, mithin ein auf die menschlichen und gesellschaftlichen Bedürfnisse reflektierender Funktionalist. Das setzt einen weiten Bildungshorizont voraus, der sich bei ihm mit einem grüblerischen Eigensinn verband, wie er Hugo Häring nachgesagt wurde. Thomas ließ sich nie von dem Kurs, den sein Denken einschlug, durch Dinge abbringen, die in der Architektur angesagt und trendy waren. Dennoch war er kein Eigenbrötler, sondern ein vielgereister Kosmopolit. Dass er dabei jedoch im Lokalen wirkte, lag an seiner knorrigen Natur, womit in einer Zeit, in der graumelierte Architekturprinzen das Sagen haben, wenig Staat zu machen ist. Seine Bauherren wussten freilich, dass keiner so verlässlich und akribisch war wie er.

Rhein-Logen in Bonn, 2007 – 2012 | Realisierung des Wettbewerbsgewinns (© Foto HG Esch)

Am zweiten Novembersonntag ist Thomas plötzlich und unerwartet gestorben. Die Bauten seines Büros bilden einen bedeutenden Beitrag zur Kölner Baukultur. Sein Durchbruch gelang ihm aber in Bonn mit einer formkomplexen Wohnlandschaft. Das große Rheinlogen (2007-2012) genannte Projekt, das er mit seiner Frau, der Stadtplanerin Regina Stottrop, leitete, hielt er für sein gelungenstes Werk. Man kann sich leicht denken, dass ein Bauplatz, an dem sich das Haus befand, in dem Beethoven seine Jugendjahre verbrachte, in ständiger öffentlicher Beobachtung stand. Trotzdem gelang es dem Architekten, einen eigenwillig gestalteten, ausdrucksstarken Gebäudekomplex zu realisieren, dessen geschwungene Balkone Scharoun und Mendelsohn kaum musikalischer hätten gestalten können.
Denn der mit äußerster Hingabe arbeitende und entwerfende Thomas Nebel war bei aller Penibilität und Zielstrebigkeit ein durch und durch musikalischer Mensch, der während und nach seinen Studienjahren lange mit sich rang, ob er nicht lieber Komponist werden sollte. Von dieser Neigung profitierten nicht nur die proportionalen und rhythmischen Finessen seiner Bauten, Thomas rief zudem mit seiner Frau das Kölner Hinterhof-Festival, ein Musik-Event der besonderen Art, ins Leben, das in ihrem Haus stattfand.

Wohnhaus des Ehepaares Regina Stottrop und Thomas Nebel in einer ehemaligen Automobilfabrik, Köln, 2000 – 2005 (© Foto: HG Esch)

Dieses Wohnhaus (2000-2005) von Thomas Nebel und Regina Stottrop ist ein architektonisches Wunderwerk und Kleinod von bezaubernder Wirkung und konzeptioneller Durchtriebenheit. Das harmonische Ineinanderfließen von privaten und halböffentlichen Sphären reicht bis in den Außenraum und Garten, wo sich die Musiker tummelten, die beim Festival auftraten.

Thomas Nebel | 1960 – 2020
©Jan Knoff, Köln

Abends dann der Höhepunkt mit Rockband und Thomas als Sänger. Als ich ihn das erste Mal hörte, war ich völlig baff und beinahe bestürzt darüber, dass in dem nachdenklichen Freund solch eine urgewaltige Stimme steckte, die wie ein streng bewachter Gefangener nur in Ausnahmefällen ihre Zelle verlassen durfte. Nun schweigt sie für immer. Furchtbar und unbegreiflich ist, dass dieser Baum von einem Mann so früh gefällt wurde. Diejenigen, die sich unter seinem Blätterdach versammelten, irren jetzt umher bei der Suche nach einer neuen Bleibe.

Von Gerd de Bruyn

Unser herzlicher Dank gilt dem Magazin Marlowes, für das dieser Beitrag verfasst wurde.

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