Die Pandemie stellt unser Bildungssystem auf eine harte Probe. Was lange gut war, ist plötzlich undenkbar. Wird nun alles anders, alles digital alles besser? Wir nehmen den Beginn des neuen Schuljahres zum Anlass und starten die Reihe LEHREN & LERNEN 2020 zum Thema Bildungsbauten. Heute Teil 3: die Erweiterung der Domsingschule / Liebfrauenschule in Lindenthal.
Zu Füßen der Kirche Christi Auferstehung ist in den letzten Jahren viel gebaut worden. Sehr nah sind die Neubauten an den Bestand heran gerückt, doch der alte Böhm kann das ab. Ein Fels, eine Burg, wie auch immer man seine stabile Position der Sichtbeton-Ziegel-Skulptur am Kopf des Clarenbach-Kanals beschreiben möchte, sie kann das aushalten. Auch weil das, was sich nun um die Kirche schart, Kirchenbauten sind – Bauten der Kirche.
Schon Christi Auferstehung ist mehr als eine Kirche. Böhm dachte immer im Kontext der Stadt und er dachte städtisch, gruppierte Bauten unterschiedlicher Hierarchien, so dass sie miteinander in Beziehung stehen, deren Zwischenräume wiederum eigene Räume bilden, Plätze, Gassen, schließlich eine ausgewogene, kommunikative Konstellation. Diese fortzuschreiben ist möglich, weil sie offen gedacht ist, auch das Hinten kann ein Vorne sein.
Die Kirche baut
Mit respektvollem Abstand bauten Peter Greyer und Manfred König (Leverkusen), die sich ein einem von der Hohen Domkirche ausgelobten Wettbewerb gegen den ersten Preis des Büros von Lom durchsetzen konnten, die 1986 eröffneten Gebäude der Domsingschule. Eine organische Struktur, die wie aus Pavillons zusammengesetzt erscheint, wächst hinter der entlang der Clarenbachstraße gebauten Sporthalle in die Tiefe des Blockinnenraumes, wo sie auf das zum Kirchenensemble gehörende Jugendheim/Büchereigebäude stößt. In der dazwischenliegenden Nord-Ost-Ecke des Blocks standen zwei wenig charmante Bauten, ein Kindergarten und ein Studentenwohnheim, die abgerissen wurden, um Platz für die nun fertig gestellte Erweiterung der Domsingschule und der benachbarten Liebfrauenschule zu machen.
Beide Schulen, eine Grundschule und ein Gymnasium, sind in der Trägerschaft des Erzbistums Köln und arbeiten nun im Ganztag, so dass der Bau einer Zentralmensa und weiterer Schul- und Übungsräume notwendig wurde. Außerdem umfasste die Auslobung den Bau von zehn Wohneinheiten, die über den freien Wohnungsmarkt vermietet werden. Im April 2014 überzeugte das Stuttgarter Büro LRO Lederer Ragnarsdóttir Oei in der vom Erzbistum ausgelobten Mehrfachbeauftragung mit einem Entwurf, die Böhms virtuose Kleinteiligkeit mit klaren Kubaturen und rechten Winkeln kontrastiert. Mutig ist das Zitat des Materials, dunkelroter Klinker im Kontrast zu Sichtbeton, hier allerdings beschränkt auf feine horizontale Linien und ergänzt mit wenigen weißen Putzflächen und hölzernen Fensterrahmen.
Üben oder Wohnen
LRO ist es gelungen, die doch sehr unterschiedlichen Nutzungen in drei Baukörpern zu organisieren. So können sie nach Außen klare Kanten zeigen und wohl dosierte Einblicke erlauben, den Fokus der Schulgemeinde haben sie jedoch nach innen, auf den Hof gerichtet. Der mit Abstand größte Baukörper liegt ein wenig zurück versetzt an der Clarenbachstraße, davor bleibt ein mit einer Ziegelmauer gefasster Vorbereich.
Etwa zur Hälfte ist der Riegel zweigeschossig, maßgeblich war hier die niedere Höhe der Domsingschule. Viergeschossig ist dagegen die Hälfte, deren Kopf auf den Kirchen-Vorplatz entlang der Brucknerstraße orientiert ist. die Höhe schlucken jedoch die dichten alten Kastanien, die als Naturdenkmäler geschützt sind. Die Stufe im Baukörper wäre sehr unschön, hätten LRO sie nicht mit einer angeschrägten und schön in der Ziegelhaut gefassten Auskragung inszeniert. Eine Reihe kleinerer Fenster macht ihn zum Kopf, der sonst vielleicht nur Appendix geblieben wäre.
Die Schulen nutzen hier das gesamte Erdgeschoss, sowie den westlichen Bereich des 1. OGs. Die Erschließung der erfolgt über den zur Domsingschule offenen Hof (Singgarten) und einen Durchgang zum Vorplatz der Kirche. Im Erdgeschoss befindet sich die Schulküche, die eine direkte Anbindung an die Mensa im südlich angrenzenden Baukörper hat. Außerdem gibt es hier vier größere Probesäle, einer davon liegt im Gebäudekopf und ist in der Form eines Amphitheaters ausgebildet. Ein feiner Hinweis findet sich darauf in der Fassade, die hier ganz geschlossen ist und an beiden Seiten, der inneren Rundung folgend, plötzlich einklappt.
In der Etage darüber liegen 26 kleine Übezellen, die über einen Flur mit großzügigem Durchblick nach unten erschlossen werden. In den Obergeschossen des höheren Bauteils befinden sich zehn über die Clarenbachstraße erschlossene Wohneinheiten von 80 bis 140 qm Wohnfläche, die zum Teil über eine auf den Hof orientierte Loggia oder einen Balkon verfügen.
Schauen erlaubt
Der Speiseraum der Mensa liegt als eingeschossiger Baukörper zwischen Kirche und Wohnungen. Markant ist das leichte, offen liegende Holztragwerk, durch das der Raum an Höhe gewinnt und sich aus der Ziegelhülle hebt. Interessant ist die Ausrichtung dieses Raumes, der zwischen Hof und Vorplatz mittelt. Die an beiden Köpfen gleichen großen Fensterbögen wirken von außen etwas fremd, Sinn bekommen sie durch die Betrachtung des Raumes als Passage, die auch die beiden Schulen miteinander verbindet.
Der eigentliche Durchgang, zur besseren Kontrolle kaum mehr als ein Schlupfloch, verbindet den Speisesaal mit dem den dritten, vergleichsweise kleinen, aber zweigeschossigen Baustein. Mit diesem Element, auf dessen Ansichtsflächen die Fensterzwischenräume ein großes weißes Kreuz ausbilden, dockt der Neubau an einen Arm der Kirchenkonstellation gleicher Höhe an.
LRO sind dem großen Böhm mit Respekt begegnet, gestehen eindeutig ihm den starken Auftritt zu. Dennoch fällt bei der Betrachtung der Fotoauswahl, die die Architekten der Presse zur Verfügung stellen auf, dass es nur ein einziges Bild gibt (oben), auf dem ein kleines Stückchen Böhm mit aufs Bild gekommen ist. Haben sie sich bewusst der Idee des Ensebles entzogen? Oder funktioniert das Zusammenspiel am Ende gar nicht? LRO entwarfen den Neubau in ihrer eigenen Handschrift, fügten dem Zweiklang aus Ziegel und Beton noch etwas Holz hinzu. Um im Bild der Musik zu bleiben: hier stehen zwei Solisten nebeneinander, sie kommen klar, vermeiden die Dissonanz, aber ein Duett wird es nicht.
Auf der anderen Seite
© Manos Meisen © Manos Meisen © Manos Meisen
Im Süden schließt der mit dem Kita-Architekturpreis NRW 2020 ausgezeichnete Kindergartenneubau an den Kirchenkomplex an. Auch der L-förmige eingeschossige Bau von Ernst Architekten (Zülpich) sich zum Kirchenvorplatz mit rotem Ziegel, Lochfassade und graden Linien sehr einfach. In der Tiefe öffnen sich die langen Flanken mit großen Glasflächen auf den Spielhof, hier jedoch auf der kirchenabgewandten Seite. Die Gestaltung des Zwischenraums zur Kirche und ihren Annexbauten nimmt dagegen Böhms Formenkanon auf und reagiert mit einem Schwung in der Fassade auf das Halbrund des offenen Auditoriums.
Uta Winterhager