Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

19-mal Stadt und Covid-19

Wie wir Erkenntnisse der Pandemie für gesellschaftlichen Fortschritt nutzen können – mit neuer Technik, neuem Mut und neuen Ideen.

Die bauliche Gestalt von Städten und Regionen wandelt sich zunächst erstaunlich wenig durch die Corona-Krise. Die Art wie die Menschen in der Stadt leben und Gebäude, öffentliche Verkehrsmittel und Einkaufsorte nutzen, ändert sich hingegen stark. Einige dieser Verhaltensänderungen werden nur begrenzte Zeit Bestand haben, andere werden dauerhafter Natur sein. Covid-19 stößt herausfordernde und interessante Experimente in allen Lebens- und Wirtschaftsbereichen an. Diese sollten wir für gesellschaftlichen Fortschritt nutzen – mit neuer Technik, neuem Mut und neuen Ideen.

Die folgenden Beobachtungen und ersten Schlussfolgerungen in Form von 19 Punkten sind als Denkanstöße für Planer, Architekten, Stadtmacher und alle Interessierten gedacht. Sie reflektieren die Situation in Deutschland, sind sicherlich nicht vollständig und laden ein zur gemeinsamen Fortschreibung und Diskussion:

Verhaltensanpassung in der Pandemie: Raum- und Flächeneffizienz werden sinken

Solange man nicht weiß, ob, wann und wie die Pandemie zu besiegen sein wird, ist eine Eindämmung des Infektionsgeschehens über Gebote und Verbote viel einfacher und wirkungsvoller als größere bauliche Maßnahmen. Der Schlüssel von Flächen- und Raumansprüchen für verschiedene Aktivitäten (Arbeiten, Einkaufen, Bildung, Entertainment, Sport etc.) wird auf das Ziel der Infektionsvermeidung angepasst. Das bedeutet Verknappung durch höheren Raumanspruch und weniger effiziente Nutzung vorhandener Infrastrukturen und Immobilien. Die Folgen sind Zugangsbeschränkungen, die Notwendigkeit langfristiger Reservierungen, sowie lange Warteschlangen und umständliche Hygieneprozeduren. Viele Veranstaltungen dürften teurer und exklusiver werden, wenn sie überhaupt noch stattfinden können.

Die Nutzung des öffentlichen Raums macht immer weniger Freude

Dies alles führt auf der Nachfrageseite zum Verlust des Sich-Unbefangen-in-der-Öffentlichkeit-Bewegens und einem Mehr an staatlicher Kontrolle zur Einhaltung der neuen Verhaltensregeln. Viele alte und kranke Menschen, die sowieso in ihrer Teilnahme am städtischen Leben eingeschränkt sind, trauen sich kaum ihre Wohnungen zu verlassen. Das alles wirkt nicht unbedingt nachfragestimulierend. Ob staatliche Konsum-Zuschüsse (Kaufprämien, Sonderzahlungen für bestimmte Berufsgruppen, verminderte Verbrauchssteuern) dem wirkungsvoll entgegentreten können, wird sich zeigen.

Einkaufszentrum Limbecker-Platz Essen – diese Karstadt-Filiale wird schließen © Foto: Robert Winterhager

Beschleunigter Betriebsformenwandels im Einzelhandel und verödende Innenstädte

Der stationäre Einzelhandel – vom inhabergeführten Laden bis zum Einkaufszentrum – verliert, der E-Commerce profitiert und gewinnt kräftig Marktanteile. Generell tritt der Unterhaltungs- und Spaßfaktor beim Shoppen zurück, der Einkauf bekommt wieder den Charakter einer eher unangenehmen Notwendigkeit, die man so schnell wie möglich oder eben online erledigt. Supermärkte und Discounter spüren die Krise weniger stark, weil sich viele Haushalte ausschließlich oder vorrangig zuhause verpflegen. Der Ladenleerstand wird weiter zunehmen, was die Frage nach der Zukunft der Innenstadt als zentraler Einzelhandelsort noch drängender macht. Traditionelle Betriebsformen wie Freiluft-Märkte, wo das Ansteckungsrisiko geringer ist als im Laden, werden beliebter.

Gastgewerbe zwischen Existenzsorgen und Überbuchung

Vor allem die bereits vor der Krise oft auf Kante genähten Geschäftsmodelle im Gastgewerbe geraten durch Corona in eine existenzbedrohende Situation. Die geringere Gästedichte in kleinen Speise- und Schankräumen und die Angst der Menschen lässt den Umsatz von Gastwirten einbrechen, die Kosten für Personal, Räume und Einkauf bleiben aber konstant. Im Sommer rettet manches der Außenbetrieb, gegen Herbst und Winter wird es prekär. Die Bewirtungspreise müssten eigentlich steigen, die Löhne stagnieren und Lokalmieten ermäßigt werden, um ein Überleben zu sichern. Gourmet-Restaurants hingegen erweisen sich als recht krisenfest: Wer morgen schon tot sein könnte, will vorher wenigstens noch einmal gut essen.

Hotels und Pensionen in Deutschland haben Glück im Unglück, denn viele Deutsche verreisen dieses Jahr nur innerhalb des eigenen Landes. Es wird voll auf Autobahnen und an den wenigen Stränden. Nur leider gelten auch für Hotels die neuen Flächenschlüssel, weshalb Vollbelegung immer noch heißt: Weniger Gäste als im Vorkrisen-Normalbetrieb.

Großraumbüros funktionieren nur noch mit strengem Nutzungsregime

Die Arbeitswelt hat sich durch Covid-19 für viele stark verändert. Dicht belegte Großraumbüros sind unter Corona-Bedingungen denkbar ungeeignete Arbeitsorte, in Hochhäusern erweisen sich Aufzüge als Flaschenhälse. Bis zum Ende der Pandemie werden viele Bürotürme nur noch mit drastisch reduzierter Arbeitsplatzanzahl und neuen Nutzungsregeln betrieben werden können. Dazu zählen etwa A- und B-Wochen mit Heim- und Präsenzarbeit, die klare Aufteilung des Personals auf voneinander abgeschottete Gebäudetrakte, rollierende Kantinenzeiten, gestaffelte Ankunftszeiten und Ähnliches.

City of London © Foto: Robert Winterhager

Home-Office Boom, Suburbanisierung des Wohnens, Nachkrisen-Überangebot an Büroflächen

Die Akzeptanz von Home-Office wächst bei Arbeitgebern wie auch bei Angestellten. Dies könnte – weil die Last des Pendelns leichter wird – eine neue Wohnsuburbanisierung begünstigen. In der Vorstadt oder auf dem Land ist Wohnen günstiger, die Luft besser, die Besiedlung dünner, Abstand halten ist einfacher – ein bis zwei Pendeltage pro Woche sind zumutbar. Vermutlich wird dadurch in Nachkrisenzeiten die notwendige Anzahl von bereitzustellenden Arbeitsplätzen in Firmenbüros abnehmen. Dann stünden Überkapazitäten für neue Funktionen wie Co-Working oder den Büro-Alltag ergänzende Dienstleistungen bereit, oder es könnte auch Büro- in Wohnfläche umgewandelt werden.

Persönlicher Kontakt und Kollaboration bleiben Grundfesten urbaner Wirtschaftssysteme

Die neue Welt des Online-Arbeitens macht das klassische Firmenbüro aber keinesfalls überflüssig, es bleibt Statussymbol und wichtiger Kommunikations- und Kollaborationsort. Für Tätigkeiten in Forschung, Entwicklung, Beratung, Design, Marketing und vielen anderen Feldern sind physische Zusammenarbeit und persönlicher Austausch in Büro, Labor oder Werkstatt unverzichtbar. Nicht umsonst sind Städte seit Jahrtausenden die Entstehungs- und Erprobungsräume für neue Ideen und Technologien, die dann zu Produkten und Dienstleistungen, zu neuen Geschäftsmodellen werden. Urbane Wirtschaftssysteme basieren auf der räumlichen Durchmischung und Konzentration von kultureller Inspiration, technologischem Fortschritt und wirtschaftlicher Innovation, gepaart mit Lust am Experiment, der entsprechenden Nachfrage und wagemutigen Finanziers. Momentan ist es schwer vorstellbar, dass sich solche wirtschaftlich-technischen Ökosysteme in Zukunft komplett von den dichten, belebten Stadtzentren lösen könnten.

Corona verkleinert und teilt regionale Arbeitsmarktgeographien

Die großen, räumlich vereinheitlichten Arbeitsmärkte in Metropolregionen zerfallen in der Pandemie in viele kleinere Teilarbeitsmärkte. Grund dafür sind die eingeschränkten Transportkapazitäten im öffentlichen Nahverkehr, wo Ansteckung in überfüllten Verkehrsmitteln vermieden werden muss. Der Weg zur Arbeit wird somit für viele Arbeitnehmer länger und beschwerlicher – am härtesten trifft es jene ohne Homeoffice-Möglichkeit und schon vorher langen Pendeldistanzen. Die räumliche Nähe zwischen Wohn- und Arbeits- / Einsatzort wird für Arbeitsstellen mit zwingender Präsenzerfordernis noch wichtiger als vor der Krise. Bei der Besetzung neuer Stellen wird der Pool infrage kommender Bewerber tendenziell kleiner. In wissensintensiven Branchen kann dies durch Virtualisierung der Büroarbeit teilweise vermieden werden.

Wohnen geht nicht virtuell: Die Nachfrage bleibt hoch, die Märkte stabil

Eines der widerstandsfähigsten Segmente des Immobilienmarktes ist das Wohnen, das sich, anders als Besprechungstermine und Büroarbeit, nicht virtualisieren lässt. Momentan lähmen aber Corona-bedingte Zukunftsangst und Unsicherheit in allen Wirtschafts- und Lebensbereichen die Dynamik im Wohnungsmarkt. Das große Abwarten, z.B. Einstellungsstops in Unternehmen, Konsumzurückhaltung und aufgeschobene Umzugspläne von Privathaushalten, schmälert die Anzahl verfügbarer Wohnungen in den attraktiven Städten.  Die Mieten verharren auf hohem Niveau, Käufer wie auch Verkäufer zögern ihre Entscheidungen heraus. Luxuswohnprojekte werden vermutlich schlechter laufen, preisgünstige Mietwohnungen erweisen sich als krisenfest.

Clouth Quartier, Köln © Foto: Robert Winterhager

Balkon und Arbeitszimmer sind künftig ein Muss, der Wohnflächenkonsum wird weiter steigen

Pandemiebedingt haben sich Tätigkeiten wie Arbeiten oder Lernen in die Privatwohnung verlagert. Diese Veränderungen könnten sich zu einem Teil als dauerhaft erweisen.  Schnelle Internetverbindung und ruhige Konzentrations- und Rückzugsbereiche in der Wohnung gewinnen an Bedeutung. Konventionelle Grundrisse mit separat nutzbaren, kleineren Räumen sind hierfür besser geeignet als offene Wohnlandschaften. Die Nachfrage nach Wohnungen mit häuslichem Arbeitszimmer kann durchaus zur weiteren Steigerung des Pro-Kopf-Wohnflächenkonsum führen. Wohnangebote mit flexibel hinzubuchbaren Büroräumen im Haus oder in der nahen Nachbarschaft werden stärker nachgefragt.

Bildungsbenachteiligung durch digitalen Graben zwischen reichen und armen Haushalten

Zur Herausforderung, den Büroarbeitsplatz nach Hause zu verlagern, kam für viele Familien die parallel notwendig gewordene digitale Beschulung der Kinder in der eigenen Wohnung hinzu. Von einem Tag auf den anderen mussten Lehrer und Schüler – in allen Schulformen und Jahrgangsstufen – Wege finden, Fern-Unterricht abzuhalten. Das Experiment hat zwar teilweise funktioniert, aber Kinder aus Haushalten mit fehlender Digitalkompetenz und geringerem Bildungskapital werden in diesem System eklatant benachteiligt. An einige wirtschaftlich schwache Familien alte Laptops zu verteilen ist gut gemeint, wird aber bei weitem nicht reichen.

Bildungslandschaft Altstadt Nord in Köln, Klassenraum mit Differenzierungsbereichen in der Realschule (im Bau) gernot schulz : architektur, © Foto Uta Winterhager

Widerstandsfähige Modelle für analogen und digitalen Schulbetrieb dringend erforderlich

Mit einem flächendeckenden Präsenzunterricht ist bis zum Ende der Krise nicht zu rechnen – immer wird es lokale Ausbrüche und Schulschließungen in Städten, Landkreisen oder ganzen Bundesländern geben. Die Sommerferien muss man daher nutzen, um widerstandsfähige Beschulungspläne im Wechsel von digitalem und analogem Betrieb zu entwickeln. Beim Digitalrückstand der Schulen sind fehlende Geräte und Ausstattung– Tablets, Laptops, Smartboards, kein WLAN-Netzwerk etc. – noch die geringere Herausforderung. Die zügige Entwicklung digitaler Plattformen mit gut durchdachten Lernmaterialien, Lehrerfortbildung und leistungsfähige IT-Abteilungen für jede Schule in Deutschland sind die größten Baustellen.

Busbahnhof München © Foto: Robert Winterhager

Weniger Fahrgäste und große Finanzierungslöcher bei öffentlichen Verkehrsmitteln

Die Transportkapazität von Massenverkehrsmitteln wie Regionalzügen, U- und S-Bahnen sowie von Bussen sinkt durch die Abstandsregeln dramatisch, gleichzeitig nutzen viele Menschen den öffentlichen Nahverkehr aus Angst vor einer Ansteckung nicht mehr. Bei den verbliebenen Fahrgästen liegen die Nerven blank, der Umgangston wird rauer, Maskenverweigerer pöbeln rum und stecken andere an. Das ist schlecht fürs Image des ÖPNV. Trotz gesunkener Fahrgastzahlen muss der Service weiterhin aufrechterhalten werden, um die Mobilität der Pendler, die auf den ÖV angewiesen sind, zu garantieren. Hier wird die öffentliche Hand gefragt sein, Verluste ausbleibender Ticketverkäufe auszugleichen, will man nicht die zarte, aber zukunftsentscheidende Pflanze der Mobilitätswende eingehen lassen.

Individuelle Mobilität ist nicht zu schlagen, aber es droht ein Verkehrsinfarkt

Individuelle Mobilität gewinnt in Zeiten von COVID-19 ungeheuer an Attraktivität – ob zu Fuß, mit dem Rad, dem E-Bike oder Motorroller, oder mit dem Auto. Wer kann, vermeidet Massenverkehrsmittel, selbst manche Klimaschützerin erwägt jetzt den Kauf eines Privatautos. Der Verkehrskollaps auf den Straßen bleibt zurzeit nur aus, weil noch nicht alle wieder zur Arbeit und zur Schule müssen und auch auf Dienstreisen noch häufig verzichtet wird.

Radfahrer- und Fußgänger-Tunnel unter dem Hauptbahnhof von Rotterdam © Foto: Robert Winterhager

Höchste Zeit für mehr und bessere Fuß- und Radwegenetze

Will man einer kriseninduzierten Zusatz-Motorisierung nicht das Feld überlassen, muss der Umbau zu mehr und besseren Fuß- und Radwegeverbindungen konsequenter als bisher vorangetrieben werden. Absehbar ist ein Siegeszug der E-Bikes, das vielleicht bald das Auto als Statuskonsumgut Nummer Eins ablösen könnte. In den dichteren Quartieren der Metropolen bieten die neuen Car-Sharing-Angebote eine Alternative, allerdings können auch hier hygienische Bedenken bestehen.

© Foto: Robert Winterhager

Viele Aktivitäten verlagern sich ins Freie – solange das Wetter mitspielt

Verhaltensänderungen durch Corona treten aber nicht nur bei der Wahl des Fortbewegungsmittels ein. Auch die Art, wie Menschen öffentliche und halböffentliche (z.B. Blockinnenräume) Orte in der Stadt nutzen und teilen, ändert sich. Viele Aktivitäten mit direktem Mensch-zu-Mensch-Kontakt verlagern sich aus geschlossenen Räumen in den Außenraum. Treffpunkte unter freiem Himmel mit hoher Aufenthaltsqualität gewinnen an Bedeutung. Vorgärten und Eingangstreppen wandeln sich in Kommunikationsorte, Teambesprechungen finden auf der Wiese vor dem Büro statt, statt auf einen Kaffee trifft man sich zum Spaziergang. Städte in Südeuropa sind im Vorteil, denn hier erlauben die Wetterbedingungen das ganze Jahr über soziales Leben im öffentlichen Raum.

Ein Projekt der plan09 © Foto: Robert Winterhager

Mit Corona beginnt die Rückeroberung von Verkehrsflächen als Lebensraum

Weil Abstand geboten ist, brauchen auch Außen-Aktivitäten mehr Platz als vor der Pandemie. Hier ist momentan ein interessanter Aushandlungsprozess zu beobachten. Zum Beispiel wechselt im Begegnungsfall von Passanten auf zu schmalen Bürgersteigen eine Partei zwangsläufig auf die Straße, das Territorium der Autofahrer. Die müssen nun Rücksicht nehmen und der Verkehr wird gebremst. Es wäre nicht die unvorteilhafteste Folge von Corona, wenn der Flächenanspruch des Autos in den Städten drastisch verringert würde. Das käme vielen zugute: Fußgängerinnen und Radfahrern, spielenden Kindern und allen Menschen, die sich einfach mal treffen und in der Sonne sitzen wollen.

Paris © Foto: Robert Winterhager

Covid-19 offenbart und verstärkt Teilhabedefizite, Armut und soziale Ungleichheit

Die Ausnahmesituation der Corona-Krise legt Defizite in der sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Teilhabe von Beschäftigten- und Bevölkerungsgruppen schonungslos offen und verstärkt diese. Die Schwachen in unserer Gesellschaft drohen noch weiter abgehängt zu werden. Einige Beispiele:

  • Menschen, die auf einen oder mehrere geringbezahlte Jobs angewiesen sind und nicht bequem von zuhause arbeiten können, haben oft keine Alternative zu den öffentlichen Verkehrsmitteln, wo sie sich einem höheren Infektionsrisiko aussetzen.
  • Aufsuchende Sozialarbeit funktioniert nur noch unter erschwerten Bedingungen, Bürgerzentren öffnen vorsichtig und nur mit einem Bruchteil ihrer eigentlichen Kapazität. Kinder aus Geflüchteten-Haushalten lernen durch die Fernbeschulung und fehlende Sozialkontakte viel langsamer und mühsamer Deutsch als vor Corona.
  • Wo viele Menschen auf engem Raum zusammenleben und sich Küche und Sanitärräume teilen oder wo Leute unter widrigsten Bedingungen dicht an dicht bei schlechter Belüftung arbeiten, kann sich das Virus schnell und leicht ausbreiten und trifft die ohnehin schon Schwachen.
  • Kultur- und Kreativschaffende, als Soloselbstständige unterwegs oder in unsicheren Arbeitsverhältnissen beschäftigt, stehen über Nacht vor Nichts. Rettungspakete greifen für Betriebskosten und kompensieren keine Verdienstausfälle. Die unglaublich reiche Landschaft urbaner Kulturangebote steht auf dem Spiel.

Die Krise zwingt uns, gesellschaftliche und wirtschaftliche Konstruktionsfehler zu verstehen und zu korrigieren

Die sich verstärkende sozioökonomische Ungleichheit durch Covid-19 ist ein Appell an die Stadtgesellschaften zu hinterfragen, wie wir miteinander leben wollen. Es wird nicht ausreichen, Härtefälle situationsbezogen im Krisenmanagement-Modus mit einmaligen Transferleistungen zu mildern oder hier und da einen Lockdown zu verhängen und die Leittragenden für ihre Misere selbst verantwortlich zu machen. Zum Beispiel zeigen die Infektionszahlen unter Mitarbeitern von Schlachtbetrieben deutlich, dass ein Menschen- und Tierwohl missachtendes, industrielles Produktionssystem dringend umgebaut werden muss.

Es wird darauf ankommen, systembedingte Fehler und Missstände genau zu analysieren und dafür zu sorgen, dass sowohl unter Corona-Bedingungen als auch in der hoffentlich bald anstehenden Nachkrisenzeit mehr Teilhabe und Chancengerechtigkeit für benachteiligte Gruppen erreicht werden.

Dr. Robert Winterhager

Projektentwickler, Stadtplaner und Architekt in Bonn