Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Warum es das Glück allein nicht tut

Kaspar Kraemer zum 70. Geburtstag, Teil II

Ein Generalist und Architekt
Kaspar Kraemer zum 70. Geburtstag, Teil I
>>Erster Teil des Interviews mit Kaspar Kraemer

 

 

Neben dem Zeichnen und der Architektur haben Sie noch eine weitere Leidenschaft, Ihr Kalendarium, möchten Sie uns dazu noch etwas erzählen?

Kaspar Kraemer: Ich habe 1981 die Schinkel-Ausstellung anlässlich seines 200. Geburtstags in Berlin besucht. Das war mein Eintritt in die Welt des Klassizismus und weckte mein geschichtliches Interesse und das Interesse an der Nation. Ich konnte mir leicht merken, wer von wann bis wann regiert hat, was wann gebaut worden ist. Dazu kam dann der Spaß, auf den Tag zu wissen, wann der Grundstein gelegt wurde. In den 90ern bekam ich ein Buch geschenkt, das hieß „Was geschah am …?“ Für jeden Tag des Jahres sind darin 20 Ereignisse aufgeführt und 10 Geburtstage. Da habe ich immer mal wieder reingeguckt und im Laufe von inzwischen 25 Jahren hat sich in meinem Kopf ein System entwickelt, mit dem ich jedem Tag des Jahres ein Ereignis zuordnen kann. Heute hat zum Beispiel Ricarda Huch Geburtstag (*18. Juli 1864). Und Hitlers Mein Kampf wurde am 18. Juli 1925 erstveröffentlicht.

Sie sind also eine wandelnde Enzyklopädie?

KK: Ein wenig, wahrscheinlich auch, weil ich der einzige bin, der Schinkels Hochzeitstag kennt … das ist der 17. August. Und das ist auch der Todestag von Friedrich dem Großen (1786) … und es ist der Todestag von Peter Fechter, dem ersten Maueropfer 1962. Mies van der Rohe ist am 17. August 1968 gestorben und Rudolf Heß (1987), Hitlers Stellvertreter in der Parteileitung, der nach seiner Verurteilung im Spandauer Gefängnis saß und um dessen Suizid sich bis heute Spekulationen ranken. Und dann hat Steffi Graf an diesem Tag (1987) zum ersten Mal die Spitze der Weltrangliste übernommen, 377 Wochen war sie insgesamt die Nummer 1 im Damentennis, eine unglaubliche Leistung.

Es ist ja fast schon unheimlich, was Sie alles im Kopf haben …

KK: Ja, ich weiß, es ist eigentlich nur Unsinn … aber eins noch: am 17. August 1976 hat Dieter Müller für den 1. FC Köln im Bundesligaspiel sechs Tore gegen Werder Bremen erzielt. Das hat in 53 Jahren Bundesliga nie wieder jemand geschafft.

Kaspar Kraemer Architekten haben ihren Sitz im klassizistischen Palais Am Römerturm. Das romanische Gewölbe des Sancta Clara Kellers, direkt unter den Büroräumen, ist ein beliebter Treffpunkt des Kölner gesellschaftlichen Lebens. Fotos ©Stefan Schilling

 

Interessant finde ich die Bandbreite Ihres Wissens.

KK: Apropos Breite, fragen Sie mal jemanden, wie breit ein Fußballtor ist, denn obwohl die Nettofläche des Tores eine der wichtigsten Flächen in dieser medial aufgeregten Welt ist, weiß das kaum jemand. Dabei ist das relativ einfach, die Breite steht zur Höhe im Verhältnis 3:1 – 7,32 x 2,44. Wenn Sie das multiplizieren ergeben sich 17,8608 Quadratmeter. Und wenn Sie das jetzt in der amerikanischen Schreibweise lesen, steht da 1786.08 und mit der 17 noch einmal dahinter, haben Sie wieder den Todestag von Friedrich dem Großen. Stellen Sie sich doch mal vor, das Tor in Wembley wäre noch einen Zentimeter kleiner gewesen, dann wäre der Ball am 30. Juli 1966 eindeutig nach vorne gesprungen. Der 30. Juli war wiederum der Todestag von Bismarck und der Tag des Mordes an Jürgen Ponto, alles deutsche Geschichte. So etwas spielt sich in meinem Kopf ab, ohne dass es da ein System gäbe. Aber es hat alles miteinander was zu tun, mit Raum, mit Fläche, mit Geschichte, mit Politik. Ich finde diese Assoziationen unglaublich spannend, weil ich nie weiß, wohin sie mich tragen. Das ist wie Kino im Kopf – und solange man das beherrscht, ist es gut.

Sie sind aber schon jemand, der 24 Stunden sieben Tage die Woche alles aufsaugt und verarbeitet?

KK: Ja, zum Beispiel zähle ich immer Treppenstufen. Im Goethe-Haus in Weimar gibt es drei Läufe mit jeweils elf Stufen. Eine schöne Kölner Zahl. In Palladios vier Büchern zur Architektur gibt es eine Notiz, in der er schreibt, dass eine Treppe nicht mehr als elf Stufen haben soll, danach soll ein Podest kommen, damit man sich nicht erschöpft, sondern würdevoll eine Treppe hochgeht. Goethe hat das berücksichtigt.

Der Architekt als Sohn des Architekten. Kaspar Kraemer vor dem Portrait seines Vaters Friedrich Wilhelm Kraemer im Eingangsbereich des Büros am Römerturm. Foto ©Uta Winterhager

Wenn man in Ihren Lebenslauf schaut, dann gibt es da ganz viel Initiative für Baukultur. Vom Kölner Stadtmodell, koelnarchitektur.de bis zu den ganz großen Posten, Sie waren von 2001-2007 für drei Legislaturperioden BDA-Präsident, und das in einer schwierigen Zeit, als der BDA kurz vor der Insolvenz stand.

KK: Walter von Lom hat mich 1984 in den BDA gebracht, da wusste ich noch gar nicht, was der BDA ist. Als in Düsseldorf der Vorstand des Landesverbandes gewählt werden musste, fehlte eine Person. Und der Uli Böttger nahm auf einmal meinen Arm und rief: „Hier, der Kraemer will das machen.“ So war ich plötzlich im BDA Landesvorstand. Dieses Miteinander fand ich großartig. 1984 bin ich über die Wirtschaftsjunioren zur Industrie- und Handelskammer gekommen, bis heute bin ich da noch im Immobilienausschuss und im Verein Unternehmer für die Region Rheinland, die den Masterplan von Speer finanziert haben. Aus der selbstverständlichen Bereitschaft in Gemeinschaften zu arbeiten kommt die Mitgliedschaft in 50 Vereinen, Verbänden und Institutionen. Meiner Frau zuliebe baue ich das jetzt aber stark ab.

Carl Steckeweh hat dann dafür gesorgt, dass ich 1998 Vizepräsident beim Bundesverband der Freien Berufe wurde. Und damit war ich kooptiertes Mitglied im BDA-Präsidium und konnte das Kommen des Desasters UIA Kongress von außen mitverfolgen. Eigentlich sollte ich schon 1999 BDA-Präsident werden, aber im Jahr davor ergab sich das Ende bei KSP und ich konnte das Amt nicht übernehmen, weil ich gar nicht wusste, was aus mir wird. Doch schnell hat sich mit dem Büro alles wieder positiv entwickelt, so dass ich mich zwei Jahre später getraut habe zu kandidieren und die Wahl anzunehmen. Im Jahr 2002 organisierte der BDA dann den UIA-Weltkongress der Architekten, der den BDA in seiner finanziellen Struktur deutlich überforderte und dann fast zur Pleite dieses renommierten Verbandes in seinem 100. Lebensjahr führte.

Die Organisation musste drastisch schrumpfen und von den ehemals 16 Mitarbeitern der Geschäftsstelle waren es plötzlich nur noch fünf, ich konnte bleiben, weil ich an dem Debakel keine Schuld hatte. Doch den langjährigen und hochverdienten Geschäftsführer Carl Steckeweh musste ich entlassen, obwohl er mein Freund und Mentor war und ich die Präsidentschaft gemeinsam mit ihm gestalten wollte. Doch ich konnte ihn nicht halten, was mir bis heute nachgeht. Dann musste ich selber fast zwei Jahre die Geschäftsstelle übernehmen, um die Verhandlungen zur Abwehr der Insolvenz zu führen. Als es im BDA wieder gut lief, haben wir den Neuanfang geschafft und eine Strukturreform entwickelt. Das habe ich natürlich nicht alleine geschafft, sondern mit Jochen König im Vorstand und vor allem Michael Frielinghaus, der mein Nachfolger wurde und vielen anderen. Mein Verdienst war, dass ich nicht von der Fahne gegangen bin. So konnten sich später alle wieder um „die Fahne BDA“ sammeln und ein Neustart konnte gelingen.

Es fällt auf, dass, wenn Sie über ihren eigenen Neuanfang mit dem Büro sprechen, aber auch über Ihre Arbeit beim BDA, dass Sie einen unglaublichen Optimismus ausstrahlen.

KK: Ich habe totales Urvertrauen ins Leben, das hat mir meine Mutter mitgegeben. Es gibt ja so eine schöne Zeile von Hugo von Hofmannsthal. Lebenslied

Er geht wie den kein Walten

Vom Rücken her bedroht.

Er lächelt, wenn die Falten

Des Lebens flüstern: Tod!


So ist das mit dem Optimismus. Ich habe aber auch das große Glück gehabt, dass irgendwie immer alles gut gegangen ist. So vieles stand auf der Kippe, beinahe wäre ich von der Schule geflogen, ich hätte beinahe mein Abitur nicht gemacht, ich hätte mein Vordiplom beinahe nicht bekommen, ebenso das Diplom. Ich bin beinahe rausgeflogen beim Leutnantslehrgang der Bundeswehr … irgendwas war immer nicht richtig, ich war zu vorlaut, zu frech oder zu doof. Aber alles gelang doch am Ende. Der erste große wirkliche Crash war das Ausscheiden aus dem alten Büro. Und dabei ist es dankenswerterweise bis heute geblieben. Aber dieses Grundgefühl, getragen zu sein, das hat sehr viel mit der mütterlichen Liebe zu tun. Dieses Zutrauen ins Leben und dass man die Verantwortung hat, das abzustrahlen und weiterzugeben. Das war beim BDA sehr stark, ich dachte, ich muss jetzt das Gefühl vermitteln, dass alles gut geht. Meine Tante zitierte immer Goethe: „Das Glück tut’s nicht allein, sondern der Sinn, der es herbeiruft, um es zu regeln.“

Eine abschließende Frage noch: Was fällt Ihnen denn zum 20. August ein?

KK: Am 20. August war der Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die CSSR und das Ende des Prager Frühlings 1968, den ich als Soldat im Sennelager miterlebte. Aber auch die Geburtstage der Architekten Jakob Ignaz Hittorff und Eero Saarinen sowie der Kessler-Zwillinge!

 

Kaspar Kraemer wünschen wir zu seinem runden Geburtstag und zum 20-jähriges Bürojubiläum alles Gute. Herzlichen Glückwunsch!

 

Das Gespräch mit Kaspar Kraemer führten Barbara Schlei und Uta Winterhager im Juli 2019

 

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