Im Jahr 2019 stehen die Zeichen am Bundeskanzlerplatz auf Neuanfang. 12 Meter tief ist die gewaltige Baugrube, in der die Arbeiten an den Fundamenten die Dimensionen des Büro-Ensembles Neuer Kanzlerplatz bereits grob skizzieren. Nachdem der Bonn-Berlin-Beschluss 1991 dem ehemaligen Regierungsviertel die Existenzgrundlage entzogen hatte, konnte es sich wider Erwarten mit dem UN-Campus, einem internationalen Kongresszentrum, der Museumsmeile und nicht zuletzt als Standort von drei DAX-Konzernen und zahlreichen weiteren Institutionen neu profilieren.
Doch bislang fehlte diesem neuen Bonn ein klangvoller Auftakt, eine Willkommensgeste mit durchaus erwünschter Fernwirkung. Schon einmal, 1969, hatte man nach einer Lösung dieser Aufgabe gesucht und am Bundeskanzlerplatz das Bonn-Center errichtet. Es ist kein einfaches Grundstück, die dreieckige Form, die sich durch die Überfahrt eines Autobahnzubringers und eine Bahntrasse ergibt, ist dabei noch eine geringere Herausforderung als die Barrierewirkung dieser beiden stark frequentierten Achsen. Und doch hätte der Ort kaum besser gewählt sein können als diese Spitze.
In dem 2015 von Art-Invest ausgelobten zweistufigen Qualifizierungsverfahren überzeugten JSWD mit einer schlüssigen, dreiteiligen Gebäudekonstellation um einen 100 Meter hohen Büroturm. Dieses Ensemble erscheint stark genug, um Bezüge zu seinem vielfältigen und verkehrsumtosten Umfeld herzustellen, ohne die Fokussierung auf sein Zentrum zu verlieren. Die Grundrisse der drei sechs- bis siebengeschossigen Baukörper sind in der Form unregelmäßiger Fünfecke geplant, ihre Kanten folgen akkurat den Grundstücksgrenzen, während die Binnenräume sich zum Zentrum hin verjüngen.
Das Innere dieses Quartiers ist offen gestaltet und einsehbar, mit Ausnahme der Vorfahrt ist es den Fußgängern vorbehalten. Mit einem großzügigen Grünraum führt das neue Büroquartier die Freiflächen der südlich angrenzenden Wohnbebauung fort, das Grün zieht sich über Pflanzinseln und Solitärbäume in das einladend gestaltete Quartiersinnere Die in den einander zugewandten Gebäudeköpfen liegenden Foyers werden schwellenlos über den zentralen Platz erschlossen. Dieser öffentliche Raum scheint in die Foyers hinein zu fließen, da, die Untersichten und Rückwände der Fassadentypologie entsprechend gestaltet werden.
Die Fassaden der drei fünfeckigen Baukörper sind als außenliegendes Tragwerk aus hellem Stahlbeton konzipiert. Bei gleicher Anmutung liegt technisch bedingt das Tragwerk des Hochhauses auf der Innenseite der Fassade, während die filigrane Struktur aus Glasfaserbeton außen vorgehängt wird. Abhängig vom Standpunkt des Betrachters scheint sich die Netzstruktur der Gebäudehüllen netzartig zusammenzuziehen oder aufzuweiten. Jeder Baukörper ist einzeln wahrnehmbar, das Quartier erscheint jedoch als harmonische Einheit.
Das Hochhaus entwickelt sich aus dem großen Ganzen 28 Geschosse in die Höhe ohne die Hülle zu durchstoßen und setzt damit das gewünschte Zeichen für den Neubeginn. Rund 4.500 Menschen werden ab 2022 am Neuen Kanzlerplatz arbeiten, aber ein Vielfaches davon wird er als Landmarke täglich grüßen.
Uta Winterhager
Dieser Text ist ein Vorabdruck auch dem Buch „Ensembles“, das zum Jahreswechsel im Jovis Verlag erscheinen wird.
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