Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Planet Ebertplatz

So kann es auch funktionieren: Stadtmenschen in und außerhalb der Verwaltung schaffen Räume neu

Seit über 30 Jahren lebe ich im Eigelstein-Viertel. In der Weidengasse verkauften Frauen ohne Kopftuch erlesenes Obst und Gemüse, auch Alfred Biolek kam Samstagvormittag mit Einkaufskorb und Begleitung. Draußen sitzen konnte man auf den unbequemen Stühlen im Klaaf, später kam das Spitz dazu. Der Ebertplatz war auch schon da, Rolltreppe runter, wenn man nach Nippes wollte, aber das wollte ich selten.

Später schmiss jemand eine Bierflasche gegen den Eingang des türkischen Brautkleiderladens, aus Tchibo wurde ein Beerdigungsinstitut, der Brauerei-Geruch verschwand, und hinter der Torburg wuchs das Pflaster immer mehr mit Außengastronomie zu. Bald werden wir dort zwischen Burger-Restauranttischen Slalom laufen. Nach Nippes will ich zwar immer noch nicht, aber der Ebertplatz ist in mein Leben getreten. Und das kam so.

Fast schon wieder zugeschüttet

Aus den 70er Jahren stammt die brutalistische Architektur der Platzanlage mit einem Springbrunnen und sieben Ladenlokalen in einer unterirdischen Passage. Auf mangelnde Pflege folgte Verwahrlosung. Der Ebertplatz war für mich ein Nicht-Ort, den ich möglichst schnell durcheilte. Die Idee, ihn zuzuschütten und zu überbauen, fand ich gar nicht so abwegig.

Eigentlich gut gemeint: Der Ebertplatz wurde „tiefer gelegt“, um nicht zur Verkehrsinsel zu werden. ©Barbara Schlei

Einst war hier ja mal Prachtboulevard, aber das ist lange her, sogar der Gärtner trug Schlips und Kragen. Der heutige Ebertplatz hieß Deutscher Ring und dann eine Weile „Adolf-Hitler-Platz“. Immerhin wurde diese „Ehre“ nicht einem noch zentraleren Platz zugestanden. Friedrich Ebert ist seit 1950 sein Namensgeber.

Positiver Ausnahmezustand, städtisch gewollt

Doch im März 2018 beschloss der Stadtrat eine bis 2021 dauernde Zwischennutzung, koordiniert vom Stadtraummanagement und dem Kulturamt. Stadtvertreter, Anwohner, Veranstalter und Interessierte haben sich zur Arbeitsgruppe Ebertplatzzusammengeschlossen. Auf der Webseite Unser Ebertplatz ist alles zusammengetragen, was man wissen muss.


Der Brunnen sprudelt wieder, Kaffee, Bier und Liegestühle sorgen für Belebung. ©Barbara Schlei

Und plötzlich sprudelt der Brunnen, auf Holzplanken unter der Platane kann man Bier trinken und nach Westen schauen, und ich stelle fest, dass drei Kunstgalerien mit zugeschüttet worden wären, die das wirklich nicht verdient haben. Die Stadt wird immer enger, vom Platz her, und sie wird auch stets enger reglementiert und kommerzialisiert. Und inmitten all dessen entpuppt sich der einstige Nicht-Ort Ebertplatz als Freiraum, den viele Menschen fröhlich bespielen.

Und das ist möglich, so hört man von allen Seiten, wegen der ämterübergreifenden Zusammenarbeit der städtischen Mitarbeiter, die projektförderlich, erreichbar und lösungsorientiert ihren Beitrag leisten. Ein Lob auf die Behörden!


Zur Auftaktveranstaltung „Planet Ebertplatz“ im Januar saßen die Besucher im African Drum. Da kann man natürlich auch zum Essen hingehen, lohnt sich auch. © Astrid Piethan

„Affordanz“

Es gibt die Möglichkeit, bei der Stadt Projektanträge zu stellen, über die die Beteiligten in den AG entscheiden. Das haben Ayşin İpekçi, Architektin und Kuratorin, und Thomas Knüvener, Architekt und Landschaftsarchitekt, getan: Unter dem Titel Planet Ebertplatz stellen sie ein Diskursprogramm zum Ebertplatz und seinem Potenzial auf die Beine. Die erste Spielzeit geht jetzt zu Ende, geplant sind drei weitere. „Wir möchten spartenreich sein und nicht nur die klassischen Planungsdisziplinen zu Wort kommen lassen, sondern z.B. auch die Stadt in der Literatur und als Bühne und auch die Themen Klima und Kommerz beleuchten,“ sagt Ayşin İpekçi.

Sich verschränkende Affordanzen: Wer zufällig vorbei kommt, hört vielleicht auch zu. Veranstaltung am 10. Juli zum Thema Gestaltung. © studio polylog

Liegestühle und Flaschenkölsch bei leichtem Nieselregen – ein ungewöhnliches Szenarium für einen Architekturabend. Im Gespräch mit Jürgen Mayer H. und Nicolas Beucker ging es um Gestaltung, und falls man es noch nicht kannte, konnte man seinem Sprachschatz ein neues Wort hinzufügen: „Affordanz“ ist der Angebotscharakter eines Gegenstands. Der Ebertplatzes macht ganz viele Angebote, er ist Eisbahn, Marktplatz, Planschbecken, Lektüreort, Treffpunkt und vieles mehr. Und begibt man sich mit Diskursen zum öffentlichen Raum in den öffentlichen Raum, so entstehen neue Affordanzen: Passanten auf dem Weg zur U-Bahn bleiben stehen und hören zu.

Zwischennutzung als Langzeitlösung

„Die Zwischennutzung hier am Ebertplatz bringt uns wahnsinnig viel bei, auch methodisch. Wir haben eine Art Prototyp, an dem wir sehen können, was funktioniert und was nicht. Alle unsere Gesprächspartner haben mehr oder weniger gesagt, ‚ist doch alles schon ganz wunderbar hier.‘ Der Ebertplatz hat sehr viele gute Ressourcen, und mit wenigen Eingriffen – zentral war die Inbetriebnahme des Brunnens – hat sich das Blatt gewendet,“ sagt Ayşin İpekçi.


Im Juni ging es um die Kunst. © studio polylog

Jürgen Mayer H. berichtete von seinem Projekt Metropol Parasol in Sevilla: Die Wettbewerbsbeiträge der zweiten Runde konnten online diskutiert werden, und so ließ sich filtern, welche Ansätze am besten bei einer möglichst breiten Bevölkerungsgruppe ankamen. Sollte das Provisorium Ebertplatz tatsächlich in eine Langzeitlösung überführt werden, so wäre dies ein guter Ansatz auch für einen Kölner Wettbewerb. Irgendwann mal. Wir haben hier gerne noch ein bisschen länger Zwischennutzung. Einzig die Toiletten könnten etwas weniger provisorisch sein.

Und so war ich immer noch nicht in Nippes…

Ira Scheibe

Weitere Infos:
Unser Ebertplatz
Diskursprogramm Planet Ebertplatz

Planet Eberrtplatz
„Dritte Orte“, am 24. Juli um 19.00 Uhr in der Schräge zur Passage mit Aat Vos und Anna Steigermann.