Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Kein Gong in der Lerngalaxie

Dennoch ist der Neubau von 3pass und Fischer+Fischer für Bonns Fünfte vollkommen geerdet

Wer 2011 sein Kind an Bonns fünfter Gesamtschule anmeldete, dem kann man rückblickend schon eine Menge Mut, Vertrauen und Pioniergeist attestieren. Doch bei manchen Familien war der dringende Wunsch nach einem Gesamtschulplatz nur auf diese Weise erfüllbar. Vier Gesamtschulen gab es in Bonn zu der Zeit, der Bedarf war jedoch weitaus höher, so fiel der Beschluss eine fünfte zu gründen und sie Jahr für Jahr wachsen zu lassen. Als der erste Jahrgang dort anfing, hatte die Schule keinen Namen und kein eigenes Gebäude. Pragmatisch nannte sie sich Bonns Fünfte und zog mit ihren vier Klassen in einen freien Trakt der Theodor-Litt-Sekundarschule im Stadtteil Kessenich. Seit den 60er Jahren teilten sich eine Hauptschule und eine Realschule dort einen Schulstandort, der marode Zustand der Gebäude und Außenanlagen zeigte einen dringenden Handlungsbedarf auf, der sinnbildlich auch für die überkommenen pädagogischen Konzepte der beiden Schulen stand. Dingend war eine neue Pädagogik gefragt, ein System in dem Kinder länger gemeinsam lernen, in dem es Raum für Ideen und neue Wege gibt. Diese sollte und wollte Bonns Fünfte sukzessive und parallel zu ihrem räumlichen Wachstum entwickeln, während die beiden anderen Schulen 2014 und 2015 geschlossen wurden. Da das Schulgelände keine geeignete Struktur für eine zeitgemäße Pädagogik bot, vergab das städtische Gebäudemanagement Bonn 2011 über ein VOF-Verfahren den Auftrag für den Neubau einer sechszügigen inklusiven Gesamtschule mit Mensa und Dreifachturnhalle, die Bestandsgebäude der Haupt- und Realschule sollten saniert werden, um sie in das Gesamtkonzept zu integrieren. Den Auftrag bekamen 3pass Architekten und Stadtplaner, ausgeführt haben sie ihn als ArGe mit Fischer + Fischer, beide aus Köln und beide im Schulbau sehr erfahren.

Bonns Fünfte im Stadtteil Kessenich solls Bonns größte Gesamtschule werden © Grafik 3pass Architekten und Stadtplaner

Ein Schuldorf in der Stadt

Acht Entwurfsvarianten erarbeiteten die Planer in einer halbjährigen Konzeptphase überwiegend im Austausch mit den städtischen Ämtern, weniger mit der Schule selbst. Im Vergleich zu Köln ist die Beteiligung der Schulen an der Entwicklung iher Schulbauten in Bonn (noch?) deutlich weniger üblich. Favorisiert und realisiert wurde schließlich das Bild eines Schuldorfes, vollständig mit Anger, Rathaus, Gaststätte, Arbeitsstätten, Kultur- und Gemeinschaftsflächen.

Vorgefunden haben die Architekten eine überalterte Struktur mit teils abgängigen, teils sanierungsbedürftigen aber doch charakteristischen, denkmalgeschützten Bauten. Das mit einer Flanke an der stark befahrenen Hausdorfstraße liegende Schulgelände nimmt bis auf eine Ecke im Nordwesten einen gesamten Block ein. Die beiden Bestandsschulen liegen einander gegenüber in den Ecken des Grundstücks, die ehemalige Hauptschule im Südwesten in einer auskragenden polygonalen Form, die Realschule im Nordwesten ein schmaler, schräg gestellter Riegel, die Schulhöfe reichten mit vernachlässigtem Grün bis an die Blockränder.

Die über Eck gestellten Neubauten arrondieren das Schulgelände im Südosten, wo der Verkehr am stärksten ist © Foto Jürgen Schmidt

Mit dem Ziel das Gelände zu arrondieren, aber nicht abzuschließen, platzierten die Architekten zwei zwei- und dreigeschossige Baukörper am südöstlichen Blockrand, wo früher Turnhalle und Sportplatz waren. Die polygonale Form der Neubauten korrespondiert mit den Altbauten, ist jedoch gleichzeitig stark genug, um eine erkennbare Ordnung herzustellen. Das Schulgelände wirkt nach außen gefasst, zahlreiche kleinere, doch deutlich lesbare Zugänge verweben das Schulgelände mit dem Quartier. 1.600 Schülerinnen und Schüler wird Bonns Fünfte in einigen Jahren haben, damit die in den Pausen nicht zu einer großen unüberschaubaren Masse werden, entwickeln sich die internen Freiräume umringt von den Gebäuden in einer organischen Form mit Aufweitungen, Gassen und Plätzen. Dabei folgten sie der natürlichen Topografie des Geländes, modellierten Kanten mit Sitzstufen nach, bildeten Mitten aus mit Bänken und Bäumen.

Eine ungewöhnliche Spielart der Denkmalpflege, die Passerelle zeichnet die Kubatur der alten Turnhalle nach © Foto Uta Winterhager

Eine formal wie funktional gelungen Verbindung von Alt und Neu ist die Passerelle, ein organisch geformtes Dach auf schmalen Stützen, das zwischen dem Klassentrakt der ehemaligen Hauptschule und der neuen Mensa mit Selbstlernzentrum gesetzt wurde. Ursprünglich war dies eine Forderung der Denkmalpflege, die an dieser Stelle die Kubatur des abgebrochenen Bestands nachgezeichnet sehen wollte, doch das Dach ist darüber hinaus ein Sonnen- und Regenschutz und ein Portal zur Gliederung der Schulhöfe.

Nördlich der Turnhalle öffnet sich ein abgesenkter Platz mit Sitzstufen als Freiluft-Forum © Foto Jürgen Schmidt, Köln

Eine neue Mitte bildet die Dreifachturnhalle, die auch für große Schulveranstaltungen genutzt werden kann. Die Architekten hätten das große Volumen am liebsten vollkommen unter einem grünen Hügel versteckt, doch dazu kam es nicht, die erforderliche Tiefe wäre unwirtschaftlich geworden. Nun ist die Halle zu etwa einem Drittel versenkt, aber mit Sitzstufen an einer der langen Flanken und einem abgesenkten Forum an der anderen, schlüssig in die Topografie und das Wegenetz des Schulgeländes eingebunden.

Eingang in die zu einem Drittel eingegrabene Dreifachturnhalle, Eingang Südseite © Foto Jürgen Schmidt, Köln

Die Neubauten sind mit hellen, sandfarbenen Klinkerriemchen verkleidet, deren Farbton die Wirkung des Ensembles stärkt. Die Fenster, meist im liegenden Format, werden teilweise über die Gebäudeecken herum geführt, so dass sie die, durch Knicke und Rücksprünge ohnehin skulpturale Kubatur der Baukörper noch einmal überzeichnen. Dennoch wirken die Bauteile nicht gekünstelt, alles hat seinen Platz und fügt sich schlüssig in das große Bild des Schuldorfes.

Der zweigeschossige Neubau kann bei Bedarf noch um ein Geschoss aufgestockt werden © Foto Jürgen Schmidt, Köln

Sehen und gesehen werden

Vieles wird in Bonns Fünfter anders gemacht, als an den umliegenden Gymnasien. Der Ganztag ist gesetzt, so dass die Schülerinnen und Schüler hier an mindestens drei Tagen von acht bis 16 Uhr anzutreffen sind. Dadurch haben sie Zeit für einen erst offenen, dann gemeinsamen Anfang, jahrgansübergreifendes Lernen, Projektkurse, Raketenwochen, bewegte Pausen und den Schulhund Sam. Einen Gong gibt es hier nicht, das Kommen und Gehen funktioniert auf Zuruf. Vieles wird hier anders angegangen, manches versteckt sich hinter für Außenstehende unverständlichen Namen. Dennoch findet die Lerngalaxie oder die Milchstraße in vergleichsweise konventionell gestalteten und eingerichteten Klassenräumen statt.

Robust ausgestattete Flure im Klassentrakt © Foto Jürgen Schmidt, Köln

Zeitgemäß ist die etagenweise Organisation in Clustern, wo es statt einem großen Lehrerzimmer dezentrale Teamräume gibt, in denen die Lehrerinnen und Lehrer direkt erreichbar sind. Wichtig ist für das selbstorganisierte Lernen ist, dass sich Gruppen, Partner oder Einzelne zum Arbeiten in die in den Gebäudeköpfen und Fluraufweitungen liegenden Lernzonen zurückziehen können. Noch sind sie unmöbliert, aber die Schüler richten sich auf den tiefen Fensterbänken oder einfach auf dem Fußboden ein.

Der Steg verbindet die beiden Neubauten, darunter liegt der Zugang von der Hausdorffstraße, an der sich die Straßenbahnhaltestelle befindet. © Foto Jürgen Schmidt, Köln

Die Gestaltung der Innenräume ist sachlich, mit robusten Materialien wie Terrazzo oder lasiertem Sichtbeton. Auffällig ist, wie viel Wert darauf gelegt wurde, die Gebäude aufeinander auszurichten und Blickbeziehungen über den Schulhof herzustellen, eine dezente Form sozialer Kontrolle einerseits, andererseits eine wichtige Grundlage dafür, dass Gemeinschaft entstehen kann.

Bis die beiden Altbauten 2021 energetisch und brandschutztechnisch saniert sind, werden die ersten beiden Jahrgänge von Bonns Fünfter schon ihr Abitur gemacht haben. Sie, ihre Eltern und Lehrer haben, während das Alte um sie herum verschwand und das Neue wuchs, vieles aushalten und oft improvisieren müssen, aber auch umso mehr ausprobieren können.

Uta Winterhager

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