Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

„When too perfect, liebe Gott böse“

Franka Schinkel kümmert sich um Bänke, Schilder, Poller & Co, wir sprachen mit ihr über das Stadtbild

Man stelle sich vor, jemand kauft sich das perfekte Designer-Sofa und stellt es stolz in seine Wohnung. In der aber kleben noch die Tapeten von Oma Inge, und den Teppich hat Onkel Hans in der 70ern verlegt. Pech für das Designer-Sofa.

Das würde ja auch kein Mensch machen. Zumindest nicht in seiner Wohnung. Im Kölner Stadtraum sieht es aber genauso aus. Das große Aufräumen steht an. Der Glamour-Faktor dieser Aufgabe liegt bei null, doch sie ist wichtig. Ordnung, Sicherheit und Sauberkeit im öffentlichen Raum – damit beschäftigt sich Franka Schinkel seit vier Jahren mit dem dreiköpfigen Team des Stadtraummanagements Köln.  

An der Wand ihres Büros im obersten Stock des Stadthauses hängt ein Zitat von Nam June Paik: „When too perfect, liebe Gott böse.“ Würde sich der liebe Gott dieses Büro anschauen, hätte er keinen Grund böse zu sein. Wie soll das Aufräumen in der Stadt aussehen? Wir sprachen mit Franka Schinkel über das neue Gestaltungshandbuch.


Frau Schinkel, für jemanden, der das Handbuch noch nicht durchgeblättert hat, erklären Sie uns bitte kurz, welche Absicht damit verbunden ist und wie die Stadt Köln auf die Idee dazu gekommen ist?

Franka Schinkel Es war immer mehr spürbar, dass der öffentliche Raum von den Bürgern nicht als attraktiv empfunden wird. Wir haben uns umgeschaut, wie andere Städte das machen und haben uns vor allem mit London und Zürich intensiv ausgetauscht. In der Schweiz sind die Bürger sehr regeltreu, da funktioniert die Einhaltung von Gestaltungsstandards spitzenmäßig. Bei uns gibt es auch Regeln, um die aber oft „drum herum geklagt“ wird, und es gibt zu wenige Leute in der Verwaltung, die die Einhaltung überprüfen.

Wir brauchen daher ein Regelwerk, das aus der Verwaltung und aus der Gesellschaft entsteht, das einfach ist und griffig und logisch und das sich auch in gewisser Weise von selbst zusammensetzt. Wir haben das, was in der Stadt funktioniert, also eine Farbe oder ein bestimmtes Element, aufgegriffen und zum Standard erhoben.


Die Neugestaltung der Maastricher Straße ist ein Beispiel für die Umsetzung des Gestaltungshandbuchs. © Stadt Köln

Können Sie Beispiele solcher Elemente nennen?

FS Der öffentliche Raum wird als unordentlich wahrgenommen, weil zum Beispiel die Bodenbeläge sehr heterogen sind. Das ist auch nachvollziehbar, es gab keine Regeln dazu, nur die juristische Forderung,  dass es verkehrssicher sein muss.

In den 70er und 80er Jahren gab es mehr Geld, und man hat viele Räume angepackt, aber jeder Planer hat dazu seine eigenen Entscheidungen getroffen. Diese Räume sind in die Jahre gekommen. Auf dem Bauhof liegen viele Häufchen mit irgendwelchen Pflastersteinen, und das ist dann für die Straßenarbeiter auch eine Überforderung, immer genau zu wissen, welcher Stein wo hinkommt.

Nun haben wir einen Stein entwickelt in Altgrafit, in den Maßen 30 mal 30 cm, damit er nicht so schnell bricht wie größere Steine. Die Farbe ist schon etwas ausgewaschen und die Oberfläche etwas rau, so dass er sich im Laufe der Zeit nicht so stark verändern wird. In Neubaubereichen nehmen wir jetzt den neuen Stadtstein, zum Beispiel für den Umbau der Neusser Straße und der Berrenrather Straße. Es gibt Räume, bei denen pro Gestaltung entschieden wurde, beim Rheinboulevard zum Beispiel. Das würde jetzt anders laufen, die Nachhaltigkeit ist ein ganz großes Thema geworden.

Neu gestaltete östliche Domumgebung und Chargesheimerplatz. Natur- statt Betonstein: Etwas Besonderes darf es sein in den international bedeutsamen Räumen. © Raimond Spekking CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons


Dieser Stein ist jetzt überall als Standard empfohlen?

FS Nein, das betrachten wir differenzierter. In unserem Bedeutungsplan sind drei Zonen ausgewiesen: Die Standards im Gestaltungshandbuch betreffen die nachbarschaftlichen Räume, das sind etwa 98 % der Fläche. In der zweiten Zone, den stadtweit bedeutenden Räumen und den Stadtteilzentren, können in Einzelfällen Sonderlösungen das Stadtbild ergänzen. Die dritte Zone ist die international bedeutende Zone, unsere Visitenkarte, in der Besucher, die für einen Tag in der Stadt sind, diese wahrnehmen. Hier muss wirklich alles tipp topp sein, und bei der Gestaltung müssen wir nicht mit dem Basis-Betonstein arbeiten, sondern können uns etwas Besonderes leisten.

Für die Elemente im Stadtraum werden Zonen festgelegt, in denen sie stehen dürfen. Ihre Anzahl ist auf ein Minimum beschränkt. Sie sind reduziert und aufeinander abgestimmt gestaltet. © Stadt Köln

Und dabei geht nicht nur um die Bodenbeläge…

FS Es geht um die gesamte Möblierung. Wir empfinden den Stadtraum als sehr heterogen und bunt. In London sind alle Stadtraumelemente schwarz. Wir haben uns für Grau entschieden, um das Bild zu vereinheitlichen. Bisher haben wir 460 Verkehrsmasten und 600 Leuchtmasten grau beschichtet, das guckt sich dann weg. Für Bänke gibt es Module, die man unterschiedlich kombinieren kann. Das ist auch wirtschaftlicher in der Anschaffung und Erhaltung als viele einzelne Modelle.

Bei Fahrradabstellanlagen empfehlen wir eher die Bügel als das „Haarnadel“-Modell und auch, sie senkrecht zur Fahrrichtung aufzustellen und sie mehr zu bündeln, anstatt mal hier eins, mal da eins zu platzieren. Sie sollten auch nicht als „Fahrradzaun“ oder Poller-Ersatz benutzt werden. Auch zur Umnutzung von PKW Parkflächen sind wir mit dem Verkehrsdezernat im Gespräch. Dieses ist für die Umsetzung zuständig, wir geben Empfehlungen zur Gestaltung.


Das Gestaltungshandbuch ist also nicht bindend?

FS Dazu müsste es Satzungen geben, die sehr kleinteilig auf Stadträume bezogen sind: Das ist sehr viel Arbeit, und bringt am Ende nicht viel, weil es dann doch nicht eingehalten wird. In unseren Augen ist es der bessere Weg, Grundprinzipien zu formulieren, die die Richtung vorgeben. Das Handbuch ist ein erster Schritt, der richtig und wichtig ist für Köln.

Das Thema Gestaltung ist jetzt in den Köpfen, und auch beim Bauhof wissen sie jetzt, dass es in wichtigen Räumen auch um Gestaltung geht und nicht nur um Verkehrssicherheit. Das finde ich total wichtig, und das kommt auch immer mehr an. Es wird nun auch schon moniert, wenn die Vorgaben nicht umgesetzt werden. Im letzten Jahr habe ich über 250 Kollegen geschult, bei den KVB, den StEB, jetzt bin ich bei der IHK, um die Gastronomen zu erreichen. Das ist es, was ich mir erhofft hatte: Die Gestaltung des öffentlichen Raums wird immer mehr zum Thema.

BU Gefahr erkannt – Gefahr gebannt. Baustellen-Einhausungen sind zwar nur temporär, aber wichtig für das Gesamtbild. © Stadt Köln

Vorher – nachher beim Pilotprojekt Hohenzollernring: Das Team Stadtraummanagement wünscht sich, weitere Bestandsflächen umgestalten zu können. © Stadt Köln

Sind Sie denn zufrieden mit dem Umfang der Leitlinien oder gibt es in Ihren Augen Defizite?

FS Was glaube ich ganz viel kurzfristig bringt, sind die Maßstäbe für temporäre Bauten. Das haben wir uns auch in London angeschaut, wo das ein großes Thema ist. Bei Baustellen oder zum Beispiel zu Karneval gibt es für die Stadt jetzt ganz konkrete Vorgaben in den wichtigen Stadträumen, und da kann man eine Veränderung auch schon wahrnehmen. Und auch private Bauherren werden mit ihren Lotterbauzäunen nicht mehr auffallen wollen.


Ich wünsche mir, dass wir nicht nur in Neubau- und temporären Räumen eine Qualitätsverbesserung haben, sondern vor allem auch im Bestand. Dazu gab es den Pilotraum am Hohenzollernring. Wir haben dort ein schönes Bild geschaffen, mit diesem Ergebnis sind wir sehr zufrieden. Das würden wir gerne weiter umsetzen. Von allen Seiten wird gefordert, die Qualität des öffentlichen Raums zu verbessern, aber ob die Politik der Maßnahme auch Priorität einräumt und sie entsprechend budgetiert, das wird sich zeigen.  

Woran arbeiten Sie derzeit?

FS Wir möchten die gestalterischen Standards für die Barrierefreiheit  verbessern. Mit der TU Dresden gab es dazu ein Projekt. Die Ergebnisse sind noch nicht verabschiedet, wir arbeiten mit dem Arbeitskreis der Sehbehinderten „Barrierefreies Köln“ zusammen und stellen Musterflächen her.

Und es entsteht ein Licht-Masterplan. Aus der Kenntnis des Gestaltungshandbuchs heraus hat die Rheinenergie einen Arbeitskreis initiiert, die Ergebnisse sollen dieses Jahr vorliegen. Wir möchten nichts Blinkendes und nichts Farbiges; das Farblichtspektrum, das wir empfehlen, reicht von kaltem Weiß wie am Dom bis zu warmem Weiß, das hat dann fast eine orange Tönung. Wir vereinheitlichen die städtische Beleuchtung und überlegen, wie wir bei privaten Eigentümern Überzeugungsarbeit leisten können.

Und wie könnte das gehen?

FS Mit Bildern lässt sich demonstrieren, wo wir hinwollen, und wir hoffen, dass die Leute gewisse Maßstäbe von selbst einhalten, einfach deshalb, weil sie es schön finden. Vielen ist vielleicht noch nicht so bewusst, wie sich einzelne Beleuchtungen auf das Gesamtbild auswirken, die Rheinschifffahrt mit ihrem blauen Licht oder die Leuchtkette am „Henkelmännchen“ zum Beispiel. Lichtinstallationen an Gebäuden sind ja bisher genehmigungsfrei, und auch die Standards im Licht-Masterplan bleiben erst einmal Empfehlungen. Das Thema Werbung, auch mit Leuchtreklame, ist in Deutschland noch sehr vorrangig; es ist kaum durchzusetzen, dass man sich etwa wie in Italien zurücknimmt zugunsten einer Platzatmosphäre.

Die Nutzung des öffentlichen Raums früher und heute:, aber das macht ihn auch nicht schöner. © Stadt Köln

Beim Thema Werbeflächen ist die Stadt ja nicht gerade ein leuchtendes Vorbild…

FS Das ist richtig, und das macht uns die Arbeit schwer. Wenn wir auf die Ladenbesitzer zugehen wegen der Werbeaufsteller, der sogenannten „Kundenstopper“, dann zeigen sie auf die nächste Litfaßsäule und sagen, fangt doch da an. Den Werbenutzungsvertrag hat das Bauverwaltungsamt vor vier Jahren abgeschlossen, und er gilt bis 2030.


Den lieben Gott mit zu viel Perfektion zu verärgern, das will ja keiner, und wir sind davon auch noch meilenweit entfernt. Aber wie können wir die Lage weiter verbessern, Frau Schinkel?

FS Noch vor ein paar Jahren hat die Gestaltung im öffentlichen Raum einfach nicht viele Leute beschäftigt. Ich hoffe, dass sich das ändert. Immer mehr Menschen wählen den öffentlichen Raum als Aufenthaltsort für sich. Es bleibt abzuwarten, wie sehr sich die Politik dafür engagiert. Das Thema muss ganz oben in die Hand genommen werden.

Das Gespräch führte Ira Scheibe

Das Kölner Gestaltungshandbuch online

Franka Schinkel ist Architektin und kümmerte sich in der Gebäudewirtschaft um den Schulbau. Seit 2014 gehört sie zum Team für das Stadtraummanagement. © Franka Schinkel


1 Kommentar

Interessant, dass es eine feste Leitlinie für Baustellengestaltung gibt. Ich bin eigentlich auch ein Verfechter davon den öffentlichen Raum schön zu gestalten. Wenn es nach mir ginge, dann würde ich sagen lieber eine Einhausung zu viel als zu wenig.