Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Heimaturlaub: Münster

Skulptur Projekte Münster 2017

Alle zehn Jahre schaut die Kunstwelt nach Münster, zur Halbzeit der fünften Skulptur Projekte wollen wir Ihnen mit einem Beitrag aus der Serie „Heimaturlaub“ das Kunstprojekt der Westfälischen Domstadt vorstellen.

100 Tage, vom 10. Juni bis 1. Oktober 2017 findet die fünfte Ausgabe der Skulptur Projekte in Münster statt. Das internationale Ausstellungsformat, zeigt im großzügigen Zehn-Jahres-Rhythmus, Kunst im öffentlichen Raum. Vier Jahrzehnte nachdem die Initiatoren Klaus Bußmann und Kasper König die Münsteraner 1977 zum ersten Mal mit damals provokanten Skulpturen im Stadtraum schockierten, pilgern seitdem zu jeder Ausgabe mehrere Hunderttausende Kunstbegeisterte aus aller Welt nach Westfalen, um die Ausstellung zu erleben.

Rund 35 Künstlerinnen und Künstler waren eingeladen, an einem selbstgewählten Ort in der Stadt eine öffentliche Skulptur zu realisieren. Nach Besuchen vor Ort und in engem
Austausch mit dem künstlerischen Leiter Kasper König und den beiden Kuratorinnen
Britta Peters und Marianne Wagner entstehen jeweils neue Projekte für Münster – und in diesem Jahr zum ersten Mal darüber hinaus. Die Ausstellung erstreckt sich über den gesamten Stadtraum und bindet erstmals eine Kooperation mit einer anderen Institution ein – dem Skulpturenmuseum Glaskasten Marl. Denn Marl markiert topo- wie soziografisch die Schnittstelle zwischen Ruhrgebiet und Münsterland und verfügt über eine eigene Tradition im Bereich Kunst im öffentlichen Raum. Die aktuelle Ausgabe bezieht Themen unserer globalen Gegenwart genauso mit ein wie Reflexionen über zeitgenössische Begriffe von Skulptur und ein Erforschen der Grundbedingungen von Öffentlichkeit.
Einen Tattooservice für Menschen ab 65. Standbild aus Michael Smith, Not Quite Under_Ground, © Skulptur Projekte 2017, Foto/photo: Henning Rogge

 

Neben „klassischen“ Installation wie Justin Matherly monumentaler Skulptur zum so genannten Nietzsche Felsen werden für 2017 auch Arbeiten realisiert, die eher aus dem Bereich der flüchtigen und lebendigen Künste kommen: Alexandra Pirici erarbeitet eine Performance zum Thema „Nationales Gedächtnis“ für den Friedenssaal im historischen Rathaus, Michael Smith bietet einen Tattooservice für Menschen ab 65 an und Emeka Ogboh komponiert, mit Bezugnahme auf den in Münster beerdigten Musiker Moondog, eine ortsbezogene Soundarbeit. An der Arbeit von Oscar Tuazon lässt sich ablesen, wie sich der Begriff der Skulptur in den letzten Jahren gewandelt hat. Am Kanal, auf einer Industriebrache hat der Künstler ein Betonobjekt mit integrierten Feuerstellen errichtet, das Wärme spendet. Die Hölzerne Außenhaust darf mit verfeuert werden. Aram Bartholl hat drei unterschiedliche Orte bespielt: Am Pumpenhaus wird ein Lagerfeuer zur Handy-Aufladestation, am Fernmeldeturm liefert ein Gartengrill Elektrizität fürs Intranet, und in einer Unterführung am Schlossplatz erleuchten Teelicht-Lampen eine dunkle Unterführung.

 

Peles Empire (Barbara Wolff und Katharina Stöver), Sculpture, © Skulptur Projekte 2017, Foto/photo: Henning Rogge

 

Justin Matherly, Nietzsche’s Rock, © Skulptur Projekte 2017, Foto/photo: Henning Rogge

 

Die Frage nach der Relevanz

Kaspar König formulierte seine Rolle bei der fünften Ausgabe der Skulptur Projekte mit entschiedenen Worten: „Es ist mein Job als künstlerischer Leiter dafür zu sorgen, dass es kein Festival wird, sondern eine Ausstellung bleibt, die man physisch, haptisch und emotional wahrnimmt. Ich bin hier, um die Autonomie der Skulptur Projekte zu verteidigen – und um von den jüngeren Generationen zulernen.“

CAMP (Shaina Anand und Ashok Sukumaran), Matrix, © Skulptur Projekte 2017, Foto/photo: Henning Rogge

 

Die Ausstellung entsteht mit und von den Projektvorschlägen der eingeladenen Künstler. Die Ansprüche von kuratorischer Seite sind hoch, aber gleichzeitig relativ frei von Nebenbedingungen. „Das Einzige, was es 2017 für ein breites Publikum in Münster wirklich unter Beweis zu stellen gilt, ist die politische und gesellschaftliche Relevanz von ästhetisch scharfgestellten Positionen. Das birgt das Risiko zu scheitern, aber ich denke, wir können sehr froh sein, wie gut alles zusammengekommen ist. Die Arbeiten bieten sehr unterschiedliche Anknüpfungspunkte und korrespondieren lebhaft miteinander, es lassen sich immer wieder neue Stränge und Querverbindungen ausmachen.“ so erläutert Britta Peters die Grundbedingungen des Projekts.

 

Hervé Youmbi, Les masques célèstes, © Skulptur Projekte 2017, Foto/photo: Henning Rogge

 

Die Skulptur Projekte sind ein Testfeld, auf dem künstlerische und gesellschaftsrelevante Fragen zur Diskussion stehen, aber auch individuelle Positionierungen zur Kunst immer wieder kritisch debattiert werden können. Sich mit dem öffentlichen Raum auseinanderzusetzen heißt immer auch, diesen zu verhandeln – das zeigt sich in der Realisierungsphase der Ausstellung in der Zusammenarbeit mit den Künstlern und einer Vielzahl von Akteuren in der Stadt. Und das schlägt sich auch im Archiv nieder, das die Entwicklung der letzten 40 Jahre aufzeichnet und so selbst zu einem Bezugsort wird.
Cerith Wyn Evans, A Modified Threshold… (for Münster) , Existing church bells made to ring at a (slightly) higher pitch, © Skulptur Projekte 2017, Foto/photo: Henning Rogge

 

Zeit speichern und aus der Zeit fallen

Seit 1977 laden die Skulptur Projekte Münster alle zehn Jahre zu einer besonderen Ausstellungserfahrung ein: Künstler entwickeln ortsbezogene Arbeiten für Münster – bildhauerische, genauso wie Video-Installationen oder Performances. Die realisierten Projekte schreiben sich in den baulichen, historischen und gesellschaftlichen Kontext der Stadt ein, gleichzeitig weisen sie weit darüber hinaus: Themen der globalen Gegenwart und Reflexionen über den Begriff Skulptur fließen 2017 in die künstlerischen Auseinandersetzungen ebenso ein wie Fragen zum Verhältnis von öffentlichem und privatem Raum in Zeiten zunehmender Digitalisierung.
 
Ein konzeptioneller Strang der Ausstellung gilt dem Verhältnis von Skulptur und Zeit. Seit 1977 sind 35 Skulpturen in der Stadt verblieben. Unter dem Titel Öffentliche Sammlung finden sich alle wichtigen Daten zu diesen Skulpturen Fragile Installationen, etwa Dan Grahams Pavillon Oktogon für Münster (1997) und Rebecca Horns Installation Das gegenläufige Konzert (1987/1997), werden erneut aufgestellt oder leichter zugänglich gemacht.
Der Diskurs um Dauerhaftigkeit und Veränderung spiegelt sich auch in vielen aktuellen Arbeiten wider: Lara Favaretto setzt in Münster ihre Serie Momentary Monuments (2009 – fortlaufend) fort, zu der nach der Ausstellung die Zerstörung der gezeigten, monolithischen Steinskulptur gehört. Im Rahmen des gemeinsam mit den Henry Moore Institute veranstalteten Symposiums Nothing Permanent: Sculptures and Cities. Hier wird vom 13. bis 15. September 2017 – unter anderem die Frage reflektiert, ob und unter welchen Bedingungen Skulpturen, Mahnmale und Denkmäler im öffentlichen Raum ihre Berechtigung verlieren.
Eine sehenswerte Zusammenfassung der vergangenen vier Skulptur Projekte findet sich auf der Internetseite des Kunstmagazins art.
Thomas Schütte, Nuclear Temple, © Skulptur Projekte 2017, Foto/photo: Henning Rogge

 

Cosima von Bonin / Tom Burr, Benz Bonin Burr, © Skulptur Projekte 2017, Foto/photo: Henning Rogge
 
Besonders, aber nicht nur, für Architekten loht der Besuch des 2014 wiedereröffnete Westfälische Landesmuseum, heute LWL-Museum für Kunst und Kultur, es ist traditionell als Veranstalter eng mit den Skulptur Projekten verknüpft.
Der Neubau des Museums, von Staab Architekten, Berlin, schließt an den Neorenaissance-Altbau am Domplatz an und ist in die öffentlichen Wege der Stadt eingebunden. Um die Grenzen zwischen Stadt und Museum fließend ineinander übergehen zu lassen, wurde eine Reihe von vier öffentlichen Räumen entwickelt, die in ihrem Charakter zwischen Vorplatz, Eingangshof, Patio und überdachtem Foyer variieren.
Das Verhältnis zwischen Institution und städtischem Außenraum wurde seit 1977 in jeder Ausstellung etwas anders gewichtet, aktuell stellt der Neubau des Museums für die Skulptur Projekte eine zusätzliche Herausforderung dar. Denn der Bau betont den öffentlichen Charakter der Institution mit einem ebenerdigen Foyer, das nicht nur als Eingang zur Sammlung angelegt ist, sondern auch Domplatz und Innenstadt miteinander verbindet. Gleichzeitig heben das hohe, lichtdurchflutete Foyer sowie die Besucherführung in die oberen Stockwerke die repräsentativen Funktionen des Gebäudes hervor. Diese Situation wirft Fragen zum Selbstverständnis des Museums auf: Handelt es sich tatsächlich um einen öffentlichen Ort? Welche Art von Öffentlichkeit wird hergestellt? Welcher Stellenwert wird den traditionellen Museumsaufgaben des Sammelns und Forschens beigemessen und welche Rolle spielt Kunst als Ausdruck eines bestimmten Lifestyles? Mit dem Lichthof im Altbau, dem Foyer des Neubaus und einem Teil der oberen Ausstellungsräume dienen drei ausgewählte Situationen als Projektstandorte.
Die Künstler, die im Museum arbeiten, schreiben sich mit ihren Installationen
in die genannten Räume ein und reflektieren ihre strukturellen Gegebenheiten: Gregor Schneider verwandelt den Wechselausstellungsbereich in eine Privatwohnung, die
nur über den Notausgang zu betreten ist; Nora Schultz dimmt im Foyer das Licht und
durchbricht mithilfe von ungelenken Drohnenaufnahmen die in der Architektur angelegten Wahrnehmungsperspektiven.

 

Emeka Ogboh komponiert, mit Bezugnahme auf den in Münster beerdigten Musiker Moondog, eine ortsbezogene Soundarbeit. Zu hören sind urbane Geräusche, Gedichte und Musik des US – Musikers. Passage through Moondog / Quiet Storm, © Skulptur Projekte 2017, Foto/photo: Henning Rogge

 

Mit dem Theater im Pumpenhaus kooperiert die Münster Skulptur Projekte bewusst mit einer Institution aus dem Bereich der darstellenden Künste, die durch die Skulptur Projekte jedoch gänzlich anders genutzt wird. Statt wechselnder Gastspiele steht die Bühne für die Dauer der Ausstellung ausschließlich der Gruppe Gintersdorfer/Klaßen zur Verfügung, die dort regelmäßig Performances zeigen und gleichzeitig mit Kabuki Noir, Münster eine neue Aufführung entwickelt hat wird.
Der Vorplatz der unter der Leitung von Ludger Schnieder bereits gut in das Münsteraner Kulturleben eingeführten Spielstätte dient darüber hinaus als Standort für ein großes Feuer des Künstlers Aram Bartholl, an dem sich mithilfe einer „Stockbrot-Technik“ Handys aufladen lassen.
Neben einem Gastronomiebereich, bieten Studierende der Kunstakademie Münster aus der Klasse von Aernout Mik ein performativ-absurdes Kunstvermittlungsprogramm an. Mit diesen „Services“ ausgestattet, fungiert das Pumpenhaus wie ein alternatives Gegenüber zum Museum.
Die Geschichte der Skulptur Projekte ist eng mit der Idee verknüpft, nicht nur mit Kunst, sondern auch für Kunst eine Öffentlichkeit zu schaffen – im Gegensatz zu vielen Projekten im öffentlichen Raum seit den späten 1990er Jahren, in denen häufig Fragen der sozialen und wirtschaftlichen Stadtentwicklung im Vordergrund stehen. Klaus Bußmann, der damalige Kustos und spätere Direktor des Westfälischen Landesmuseums, initiierte die Ausstellung 1977 gemeinsam mit Kasper König, der seitdem als Kurator jede Ausgabe in unterschiedlichen Teamkonstellationen mitverantwortet hat.
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Medien
Zur Ausstellung erscheint ein 480-seitiger Katalog (DE/EN). Gemeinsam mit den Schweizer Gestaltern Lex Trüb und Urs Lehni wurde ein Katalogkonzept entwickelt, das der Ausstellung als Gesamtzusammenhang genauso gerecht zu werden versucht wie den einzelnen Projekten. Neben eigens mit den Künstlern entwickelten Projektseiten beinhaltet er eine ausführliche Bildstrecke der aktuellen Werke. Und in sieben Essays werden pointierte Thesen formuliert.
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Der WDR hat eine lohnende interaktive Liste der Standorte der neuen Installationen der Skulptur Projekte Münster 2017.
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Kunstvermittlungsmedien bieten weitere Zugänge zur Ausstellung:
Über die App der Skulptur Projekte und auf der Seite mit unserem blick
auf  zeigen Jugendliche ihre Perspektiven auf die Skulptur
Projekte.
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Die alternativen Stadtpläne, die im Projekt MAPPING SKULPTUR PROJEKTE
entstanden sind, sind online und im Infopoint am LWL-Museum für Kunst und Kultur gebührenfrei erhältlich.
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In Münster fährt man Fahrrad. Ein gutes Radwegnetz zieht sich über die Stadt und die meisten Skulpturenorte sind gut per Rad zu erreichen. Räder können für einen Tag oder ein paar Stunden direkt bei den Skulptur-Projekten geliehen werden. www.skulptur-projekte-bybike.de.
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red|bs