Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Die Kirche im Dorf

Status quo und Rückblick zum ehemaligen Kinderheimgelände am Sülzgürtel

Es war das erste Baugruppenprojekt in NRW. Aus dem riesigen, 4,6 Hektar großen Grundstück des Waisenhauses sollte ein Stück Stadt für alle werden. Ein Gutachten-Verfahren fand 2006 statt, was ist seitdem passiert am Sülzgürtel und was steht noch aus?

Hohe Mauern, Schlafsäle und Großküche: Das 1914 erbaute Waisenhaus am Beethovenpark folgte den erzieherischen Prinzipien seiner Zeit. Bis zu 1000 Kinder lebten in dem Heim, insgesamt 22.500 Kinder in 95 Jahren. Es war eine große Anlage, manchmal liest man, die größte in Europa. Die Pädagogik wandelte sich tiefgreifend, die Gebäude waren nur bedingt anpassungsfähig. Eingezogene Trennwände ermöglichten die Unterbringung in Einzelzimmern, die jetzt allerdings wirkten wie hochkant gestellte Schuhschachteln. Heute werden die Kinder in kleinen, familienähnlichen Wohngruppen betreut. Die Kinder- und Jugendpädagogischen Einrichtungen der Stadt verkauften das Gelände.

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Die direkt am Sülzgürtel gelegenen Baufelder 1 und 2 mit Altbaubestand und Kirche verkaufte die Stadt an die GWG Köln-Sülz eG. Luftbild von 2014, © Raimond Spekking / CC-BY-SA-4.0 (via Wikimedia Commons)

 

Beim 2006 gesetzten Plangutachten „Sülzgürtel“ belegten Luczak Architekten in Zusammenarbeit mit FSW Landschaftsarchitekten den ersten Rang. Sie schlugen vor, das vormals fast kasernenartig abgeschottete Grundstück in sieben Baufelder aufzuteilen und mit einer neuen Wegführung in den Grundriss der Stadt einzugliedern. Sie variieren die für Sülz typische Blockrandbebauung mit unterschiedlichen Gebäudetypen wie Reihenhaus und Etagenwohnungen. Geschosshöhen und Sichtachsen der benachbarten Quartiere werden aufgenommen. Vor der Kirche zum Sülzgürtel hin und auch vor dem Kirchturm mittig im Quartier liegen öffentliche Plätze.

 

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Die sieben Baufelder wurden zur Qualitätssicherung auf drei verschiedene Weisen vermarktet. Das Kinderheimgelände war ehemals eine Barriere zwischen Sülzgürtel und Beethovenpark, nun sind die Wege offen, aber autofrei. Als Freiraumarchitekten waren FSWLA Landschaftsarchitektur GmbH tätig, von ihnen stammt auch die Abbildung.

 

Die Felder 3 und 5 gingen als Teilgrundstücke an sechs Baugruppen. In NRW war dies ein noch neues Verfahren, entsprechend groß war das Medieninteresse. Die restlichen fünf Baufelder wurden als Baukonzession vergeben, die Käufer zur Durchführung eines Architektenwettbewerbs verpflichtet. Die Gebäude in den Feldern 3 bis 7 wurden 2012, bzw. 2013 bezogen. Die direkt am Sülzgürtel gelegenen Baufelder 1 und 2 mit Altbaubestand und Kirche verkaufte die Stadt an die GWG Köln-Sülz eG.

 

 

Nutzungsmischung

Den Architekturwettbewerb der GWG gewannen nebel pössl architekten GmbH im Jahr 2014. Mittlerweile sind die Arbeiten angelaufen, im Frühjahr 2018 soll alles fertig sein. Knapp 15.000 qm Nutzfläche entstehen, ein Drittel davon als Wohnungen mit 80 geförderten Einheiten (davon 47 Apartments in Wohngruppen für ältere Menschen) und 67 freifinanzierten, jeweils zwischen 35 und 140 qm groß.

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Die direkt am Sülzgürtel gelegenen Baufelder 1 und 2 mit Altbaubestand und Kirche planen nebel pössl architekten für die GWG Köln-Sülz eG. Abbildung: nebel pössl architekten GmbH

 

„Die Nutzungsmischung rund um den ‚Dorf‘-Platz bietet vielfältige Lebensinhalte in unmittelbarer Nähe zu den Wohnungen. Durch ihre Inanspruchnahme werden sich die Bewohner schnell ihr neues kleines Viertel aneignen,“ sagt Architekt Thomas Nebel. Rund um den Kirchenvorplatz liegen Arztpraxen, Therapieräume, ein Eiscafé und ein Restaurant, eine Altentagespflege, ein Supermarkt und Kitas.

Die profanierte Kirche „Zur Heiligen Familie“ bleibt mitsamt ihrer Ausstattung erhalten und wird als Kulturraum genutzt. Von der neobarocken Kirche, die zum Waisenhaus gehörte, war nach dem Krieg nur der Turm übrig geblieben, der von Dominikus und Gottfried Böhm Ende der 50er Jahre mit einem aufgeständertem Kirchenschiff ergänzt wurde. Der darunterliegende, erdgeschossige Festsaal wird zum Büro umgebaut.

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Visualisierung des Blocks nördlich der Kirche: Die überdurchschnittlich hohen Kellerbereiche der denkmalgeschützten Altbauten (hier rechts im Bild) werden durch zwei abgesenkte Innenhöfe erschlossen. Abbildung: nebel pössl architekten GmbH

 

Thomas Nebel würdigt die beiden Altbauten aus den späten 50er Jahren: „Sie spiegeln in ihrer zurückhaltenden Ehrenhaftigkeit sowohl die Nachkriegsbaukultur als auch die Vergangenheit des Grundstücks als ehemaliges Zentrum des Kinderheimgeländes.“ Hier entstehen Wohnungen für Studenten und Familien und Senioren-Wohngemeinschaften – als großstädtische Alternative zur Kleinwohnung oder zum Haus in der Vorstadt.

 

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In den Neubautrakten entstehen u.a. Stadthäuser, in den Altbauten Wohnungen für Gruppen und Familien, auf Straßenniveau sind gewerbliche Nutzungen vorgesehen. Abbildung: nebel pössl architekten GmbH

 

Die ersten Baugruppen in NRW

Schon im städtebaulichen Entwurf angelegt war die Idee, auch besondere und neue Wohnformen auf dem Gelände zu realisieren. Der Rat der Stadt sprach sich dafür aus, ein Teil des Areals an Baugruppen zu vergeben – ein Pilotprojekt für NRW. In einem anonymisierten Auswahlverfahren bewertete ein Gremium aus Mitgliedern der Stadtverwaltung und Architekten neben der Finanzierungssicherheit und der Qualität der architektonischen und freiraumplanerischen Gestaltung auch die interne Organisation und vertragliche Bindung der Baugruppen. Eine Bewertungsmatrix, die den Bewerbern bekannt war, bündelte alle diese Kriterien. Für die sechs Teilgrundstücke gab es 10 Bewerber. Beim Baustart auf dem Gelände hatten die Baugruppen sogar die Nase vorn.

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Links Baufeld 3.2, Baugruppe KEGA, Pannhausen Architektur, daneben Baufeld 3.4, Baugruppe Es lebe Sülz und rechts die Schmalseite von Baufeld 3.3; Abbildung: Luczak Architekten

 

Klaus Zeller, Architekt in Baufeld 5.2, hält heute Rückschau: „Es ist sinnvoll, direkt für die Nutzer zu planen. So entsteht aus unserer Warte mehr Qualität, als wenn für einen diffusen Käufer- oder Mieterkreis geplant wird. Die Nachbarschaften funktionieren, es gibt eine hohe Identifikation und Verantwortung für die Objekte und die Umgebung. Die Gemeinschaftsflächen sind großartige Zonen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit. Es gab sicher einige atmosphärisch heikle Situationen, die im Spannungsfeld zwischen Einzel- und Gruppeninteressen entstanden sind. Aber das gehört zum Leben und hilft, bestenfalls im Planungsprozess schon zu klären, was sonst beim Zusammenwohnen an Konflikten entstünde.“

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Links Baufeld 5.2, Baugruppe Sülzer Freunde, Architekturbüro Zeller; Mitte Baufeld 5.1, Baugruppe Baufreunde, Office 03 Architekten / waldmann & jungblut und rechts Baufeld 4, Molestina Architekten; Abbildung: Luczak Architekten

 

 

Parklagen

Den Wettbewerb für das in der Mittelachse zum Beethovenpark gelegene Baufeld 4 gewannen Molestina Architekten mit FSWLA Landschaftsarchitektur. Investor ist die DIH Deutsche Wohnbau GmbH. Vierzig Einheiten, davon 33 Eigentumswohnungen und sieben Stadthäuser, liegen in zwei Baukörpern mit privaten Innenhöfen.

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Blick durch die südliche Achse in östlicher Richtung mit Baufeld 4 von Molestina Architekten; Abbildung: Luczak Architekten

 

Im Gegensatz zu diesen intimen Hofhäusern zeigen die Baufeld 6 und 7 eine offene Blockbebauung mit deutlich abgestuften Gebäudehöhen. Baufeld 6 bebauten Schilling Architekten. Hier entstanden 39 überdurchschnittlich gut ausgestattete Mietwohnungen sowie eine Kindertagesstätte. Mit vollständig in das Gebäudevolumen eingelassenen Loggien – keine Balkone kragen in den öffentlichen Raum – zeigt das Gebäude vornehme Zurückhaltung und bietet doch den Bewohner eine großzügige Orientierung zum Park hin. Baufeld 7 wurde von schultearchitekten geplant, mit 40 hochpreisigen Eigentumswohnungen für Corpus Sireo.

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Schilling Architekten bebauten die nordwestliche Ecke am Beethovenpark. Abbildung Schilling Architekten

 

 

Das Resümee von Thomas Luczak und Almut Skriver zur Entwicklung des Geländes fällt positiv aus, sie sehen die städtebaulichen Grundidee von Vielfalt und Gemeinwohl in dem planerischen Ansatz ideal umgesetzt: „Die Leitidee, auf sieben Baufeldern ein dichtes, urbanes Quartier zu realisieren, eingebettet in einen großzügig bemessenen öffentlichen Raum, dient den Bewohnern und dem Stadtteil. So entstand eine Bühne für vielfältige Wohnkonzepte, Nutzungen, Investoren und Architekturen. Mit dem Ensemble am zentralen Platz wurde erstmalig in Köln die Vergabe an sechs Baugruppen sehr erfolgreich umgesetzt und ist Vorbild nicht nur für Kölner Quartiersplanungen. Es wäre zu wünschen, dass in Zukunft darüber hinaus auch genossenschaftlich organisierte Wohnprojekte eine Chance erhielten.“

 

Ira Scheibe