Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Mit Burhan im Veedel

Flüchtlingsgeschichten führen bei einem Audio-Rundgang durch Kalk.

Das fängt ja gut an! „Außer Betrieb“ steht am Aufzug des Parkhauses, auf dessen oberstem Parkdeck man sich zum Audio-Spaziergang „Dorthin wo Milch und Honig fließen“ der beiden Theatermacherinnen Charlott Dahmen und Karin Frommhagen einfinden soll. Gehört das schon zur Inszenierung? So die Anstrengungen der Flucht zu symbolisieren, wäre dann doch ein bisschen banal. Also wohl Zufall. Oder Dauerzustand?

Burhan übernimmt die Führung

Oben angekommen gibt es Kopfhörer auf die Ohren und ein Audiogerät um den Hals. Verschiedenfarbige Bänder zeigen an, mit welchem der vier Flüchtlinge man die nächsten zweieinhalb Stunden durch Kalk unterwegs sein wird. Grün ist Burhan aus Afghanistan, 20 Jahre alt und seit vier Jahren in Deutschland. Er spricht allerdings nicht selbst, das übernimmt ein professioneller Sprecher für ihn, vielleicht eine Spur zu betont und zu lyrisch.

Menschengruppen auf dem obersten Deck eines Parkhauses. Foto: Vera Lisakowski
Das oberste Parkdeck als Startpunkt des Rundgangs. Foto: Vera Lisakowski

Burhan leitet die Rampe herunter wieder aus dem Parkhaus heraus, in einem Zickzack-Kurs durchs Viertel, auch an Orte, die mit ihm in Verbindung stehen. Zum Beispiel die Abenteuerhallen Kalk, eine Kletterhalle, in der es laut Burhan auch eine Schule für Flüchtlinge geben soll, in der er sich mit seinen Freunden trifft. „Krass, was man hier als Jugendlicher so alles machen kann“, bemerkt er mit Blick auf seine Heimat, wo er nicht mal zur Schule gehen konnte. Im Laufe des Rundgangs erfährt man so einiges über Burhan, wie er nach Deutschland gekommen ist, aber auch seine gesamte Familiengeschichte.

Leichenwaschung in der Moschee

So auch, dass sein Vater von den Taliban ermordet wurde, als Burhan noch keine 15 war. Für ihn betet er oft in der Kuba-Moschee, die auch der Rundgang-Teilnehmer jetzt betreten soll. Eine Leichenwaschung findet dort gerade statt – demonstriert an einer Puppe. Der Imam erklärt, eine junge Frau übersetzt ins Deutsche. Ein interessanter Einblick, denn welcher Durchschnittsdeutsche hat schon mal eine dieser kleinen Moscheen betreten, die sich in jedem Stadtteil finden?

Drei Personen demonstrieren an einer Puppe die muslimische Leichenwaschung. Foto: Vera Lisakowski
Leichenwaschung in der Moschee. Foto: Vera Lisakowski

Es gibt mehrere dieser Begegnungen im Laufe des Rundgangs, teils unterschiedlich, je nachdem, welchen Flüchtling man begleitet. Immer wird einem eine „Gute Reise“ zum Abschied gewünscht. Nicht alle Begegnungen, alle Orte sind so eindrücklich und stehen in einem klaren Zusammenhang zur Geschichte. Was sich vielleicht auch dadurch erklärt, dass dieses Theaterprojekt im vergangenen Jahr schon in Düsseldorf lief.

Dort fand der Boxkampf kurz vor Ende tatsächlich in einem Box-Studio statt. In Kalk wird ein provisorischer Boxring im Amt für Öffentliche Ordnung installiert, in dem auch „Ausländerangelegenheiten“ verhandelt werden. Passt auch, denn hier kommen die vier Fluchtgeschichten zusammen, die Flüchtlinge werden befragt, in reinstem Behördendeutsch, dabei bedrängt, müssen sich auch körperlich wehren gegen die verbalen Angriffe, die sich auf Faustschläge übertragen.

Drei Personen spielen einen Boxkampf im Amt für öffentliche Ordnung. Foto: Vera Lisakowski
Boxkampf im Amt für öffentliche Ordnung. Foto: Vera Lisakowski

Fakten statt Gefühle

Die Hilflosigkeit der Flüchtlinge vermittelt sich gut in dieser Szene, die – durchaus ein wenig rätselhaft – mal ohne weitere Erklärung auskommt. Oft aber verlässt sich der inszenierte Rundgang nicht auf die Umgebung, lässt zu wenig Zeit zum Wirken. Technisch ist es perfekt, den richtigen Weg kann man gar nicht verpassen. Jedoch: Gerne hätte man noch vor der zum Flüchtlingsheim umfunktionierten Turnhalle gestanden und überlegt, ob die Musiker davor dorthin oder zur Kneipe gegenüber gehören. Doch der Sprecher treibt weiter – darf man einfach so auf Pause drücken? Sätzen wie „Schau dich um, wem würdest du trauen?“ bleibt keine Zeit, sofort gibt es die nächsten Informationen zum Lebenslauf. Ja, man lernt Burhan gut kennen auf dem zweieinhalbstündigen Spaziergang, seine Daten werden sogar abgefragt. Wir wissen jetzt, welche Möglichkeiten er hat, eine Ausbildung zu machen oder seinen Aufenthaltsstatus zu verändern. Wir lernen vor allem: Flüchtlinge sind Menschen wie du und ich, offenbar das didaktische Ziel des Rundgangs. Die Möglichkeiten, die eine solch ortsspezifische Inszenierung bietet, mit den Flüchtlingen zu fühlen, sich zu verlieren, unsicher zu sein was als nächstes zu tun ist, verspielt sie in dem Ehrgeiz, wirklich alle Fakten vermitteln zu wollen.

Vera Lisakowski