Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

„Am I Still A House?“

Erwin Wurm im Skulpturenpark Waldfrieden, Wuppertal

Schwer sitzt das fette Haus auf der Wiese unter der blühenden Magnolie, seine Ansicht erschreckend menschlich, erschreckend entstellt. Die schiere Masse des Materials ist überall zuviel, die Fenster zugequollen zu winzigen Äuglein, die Tür ein zahnloser Mund, der sich nach noch mehr Futter zu sehnen scheint. Obendrauf sitzt ein rotes Satteldach fast unberührt von dem Drama, das sich darunter abspielt – ein trauriges Souvenir besserer Zeiten, als alles noch im Lot war.

Der Skulpturenpark Waldfrieden ist ein Idyll am Stadtrand von Wuppertal. Hier zeigt der Bildhauer Tony Cragg neben seinen eigenen Werken auch die von geschätzten Kollegen, so wie derzeit Erwin Wurms Ausstellung „Am I Still A House?“.

Das „Melting House III (Parents‘ House)“ (2010) von Erwin Wurm in Skulpturenpark Waldfrieden, Wuppertal. © Foto Süleyman Kayaalp

 

Ob ein Haus immer noch ein Haus ist, wenn es fett oder zerdrückt, zerschossen oder angeschmolzen ist und nur noch entfernt an seine eigentliche Gestalt erinnert, ist eine durchaus berechtigte Frage. Doch Erwin Wurm ist Künstler, kein Architekt. Seine Häuser sind seine Opfer und seine Medien, und das unterscheidet ihn von den Architekten, deren Häuser funktionieren müssen. Als Künstler sieht Erwin Wurm seine Aufgabe darin, der Welt den Sinn zu entziehen. Das tut er, wenn er Gegenständen ihre Funktion vorenthält und – wie hier – das Haus zur Skulptur macht. Aus der Form geraten und somit unbewohnbar werden seine Häuser zu einem Instrument für etwas ganz anderes. Sie berühren uns mit einem Schicksal, das nicht ihr eigenes sein kann. Ein Haus wird nicht fett wie ein Mensch, es schmilzt nicht wie ein Stück Butter. Und dennoch muss der Besucher sich ansehen, wie leicht zu irritieren, zu verletzen und zu manipulieren das ist, was ihn doch schützen soll.

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Erwin Wurm „Zorro“ (2012), Modell des Staatsgefängnisses St. Quentin aus patinierter Bronze © Foto: Süleyman Kayaalp

 

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Erwin Wurm „Diverge“ (2012), Modell des Wiener Narrenturms aus patinierter Bronze © Foto: Süleyman Kayaalp

 

Es sind also durchaus erste Gedanken, die diese eigentlich absurden und komischen Skulpturen transportieren, von denen man den Blick kaum lösen kann. Einige von ihnen, darunter die Serie „Samurai & Zorro“, sind Modelle realer Bauten: der Wiener „Narrenturm“, das Staatsgefängnis St. Quentin („Zorro“) oder das Hochsicherheitsgefängnis „Stammheim“. Modelle, nicht nur weil sie in verkleinerter Form, in Bronze oder Acryl die äußere Form wiedergeben, sondern weil Wurm die Baukörper als Aufbegehren gegen die darin praktizierte Konformität und Normierung deformiert und zerstört hat. Mal war mehr, mal weniger Gewalt dabei, nicht nur die Spuren, die seine Füße, Knie, Ellbogen und sein Gesäß hinterlassen haben, zeugen von seinem Körpereinsatz, kleine Videosequenzen dokumentieren den Akt.

Noch einmal zurück zum „Fat House“. Das hadert nicht mit der Welt, sondern mit seiner eigenen Existenz. Fast schmerzhaft endet der lange Monolog der in seinem Inneren gezeigten Videoprojektion mit der Frage: „Is this art or dogshit?“. Natürlich bist du Kunst, möchte man rufen, sonst hätten wir dich nicht so liebgewonnen!

 

Uta Winterhager

 

 

Die Ausstellung „Am I Still A House“ von Erwin Wurm ist noch bis zum 12. Juni 2015 dienstags bis sonntags von 10 – 19 Uhr zu sehen.

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Weitere Informationen zum Skulpturenpark Waldfrieden