In großen Neonlettern steht es an der Wand der Bundeskunsthalle: „I LIKE FASHION TO BE … OF DAILY LIFE“. Das „PART“ war kurz vor der Ausstellungseröffnung noch kaputt gegangen, doch Lagerfelds Botschaft ist auch so deutlich genug. Die Mode zum Teil eures täglichen Lebens machen, das würden wir ja gerne, hätten wir ein Leben, das den 126 in der Retrospektive gezeigten Looks (ich möchte eigentlich lieber Roben schreiben) in irgendeiner Weise angemessen wäre. So großartig, glamourös und kostbar sind sie, dass sie nur noch wenig mit dem gros unserer Kleidung zu tun haben scheinen.
Doch wir sind (und bleiben!) ein Architektur-Blog und leider taucht die Haute Couture in unserem Themenspektrum planmäßig nicht auf. Weil diese Ausstellung aber ganz außergewöhnlich schön ist, brechen wir gleich zwei unserer Regeln, indem wir nicht nur die Stadtgrenze überschreiten, sondern auch noch fachfremd schwelgen, um uns der Huldigung des großen Monsieur Karl anzuschließen.

Seit über 60 Jahren prägt Karl Lagerfeld mit seiner „Modemethode“ die Modewelt. Nicht nur die Couture, deren Roben so viel kosten wie ein kleines Haus, sondern auch die Kleidungsstücke, die in unseren ganz gewöhnlichen Schränken hängen – seien sie nun kopiert oder bloß inspiriert. Denn Lagerfeld ist eines dieser wenigen rastlosen Genies, denen es gelingt, klassische Formen zeitgemäß zu erneuern und ihnen frische Impulse zu geben. Denken wir hier noch einmal architektonisch, bietet das kleine Chanel-Jäckchen eine ähnlich solide Ausgangsbasis wie eine Corbusier-Villa. Doch Lagerfelds Sucht/Suche nach Neuem beschränkt sich nicht nur auf die Produkte seiner Arbeit, sondern auch auf sich. So wurde er mit seinem langem Hals, dem steifen Kragen, den fingerlosen Handschuhen und unzähligen Ringen zu einer Ikone. Allerdings nicht nur auf einer Bildebene, sondern auch im Bezug auf seine Haltung, die durchaus polarisiert.

Lagerfelds Schreibtisch ist das erste Objekt, das den Besuchern der Bonner Ausstellung präsentiert wird. Dort soll er sitzen unter einem Lichthimmel auf einem unbequemen Edelstahlhocker und zeichnen. Auf Papier, feinstem, teuersten Papier, das er nebenan in der ältesten Pariser Papeterie holen lässt. Kein Computer also auf seinem Tisch – vielleicht ist dies das Geheimnis seiner unerschöpflichen Kreativität? Was ihm nicht gefällt, wird zerknüllt und landet unter dem Tisch neben den zig Taschen, in denen er seine Bücher griffbereit aufbewahrt. Seltsam, dass ihn diese Unordnung nicht stört, kein rechter Winkel, kein Kaffee – ich kenne keinen Architekten, der so arbeiten könnte … aber vielleicht übertreiben wir an dieser Stelle auch notorisch.

Das Papier sei in der Ausstellung das zentrale Thema, erläutert Rein Wolfs, der Intendant der Bundeskunsthalle, der die Ausstellung mit Lagerfelds Muse Lady Amanda Halrech kuratiert hat. Nicht Stoff, was nahe liegen würde. Und doch ist Stoff in solcher Vielfalt vorhanden, dass Lagerfelds schöpferischer Umgang damit bis an die Grenzen der Zerstörung geht. Dann wiederum entwirft er Gewebe aus reinem Gold, aus Federn, Pelz und Leder, die mit einer fast unvorstellbaren handwerklichen Fertigkeit zu unbezahlbaren Kostbarkeiten werden. Aber auch Wolle wird in seinem Händen zu etwas Außergewöhnlichem.

Das erste Kleidungsstück, ein gelber Mantel (in eine Farbe zwischen Zitrone und Narzisse, sagt man) mit tiefem Rücken-Dekolleté und einer Gürtelschließe am Kragen, war seine Eintrittskarte in den Modezirkus, als er 1954 – damals siebzehnjährig – den Woolmarkpreis gewann und Pierre Balmain ihn sofort zu seinem Assistenten machte.
Sechzig Jahre lang war sein Erfolg ungebrochen. Lagerfeld arbeitete bei den wichtigsten Modehäusern. 126 „Looks“ präsentiert die „Modemethode“ und gliedert dass umfängliche Oeuvre in Kapitel mit großen Namen: Fendi, Chloé, Karl Lagerfeld, und Chanel. Dabei ist es fast unerhelbich, was aus den 60er Jahren und was aus dem letzten Jahrzehnt stammt. Exzentrisch und unvergleichlich sind sie alle.

Die Kulisse (entworfen von Gerhard Steidl, der seit über 20 Jahren mit Lagerfeld zusammenarbeitet) in der dieses Modespektakel stattfindet ist dem Museum entrückt, und orientiert sich, so Wolfs „an der Ästhetik der Straße“. Statt weißer Wände Sichtbeton (ähh …-Fototapete) und Regale aus Bewehrungsmatten. Cool und krude, aber die fashion-crowd mag halt auch nicht immer nur Zuckerguss.

Ein Vorhang aus hunderten von Skizzen trennt den Haute Couture-Bereich ab, in dem die teuersten und ebenso unbezahlbaren wie einzigartigen Roben unter einem Papierhimmel ausgestellt sind, den das kolumbianisch-katalanische Künstlertrio WANDA BARCELONA geschaffen hat. Unzählige mit Lasertechnik ausgebrannte Blüten scheinen sich aus dicken Stapeln von Papier zu erheben und bilden überkopf ein Gewölbe aus, das an 10.000 unsichtbaren Fäden über der Ausstellung schwebt. Es ist ein Palast aus Papier, der an das Grand Palais in Paris erinnert, an den Ort, an dem Lagerfeld seine unvergesslichen Chanel-Shows inszeniert.

Vieles in dieser Ausstellung ist außergewöhnlich und inspirierend. So sehr sogar, dass Monsieur Karls unbändige Gestaltungswille und seine unerschütterliche Stilsicherheit auch uns Architekten beeindrucken können.
Nur bei diesem Kult um seine puschelige Katze bin ich mir nicht so sicher …
Uta Winterhager
Die Ausstellung in der Bundeskunsthalle Bonn läuft noch bis zum 13. September 2015
Das VOGUE Katalogmagazin wird zum Preis von 8 Euro verkauft.