Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

„Lich, Luff un Bäumcher” waren nur der Anfang

Interview: Architektur im Gespräch mit Kathrin Möller, Vorstandsmitglied der GAG, über die Ansprueche, Aufgaben und Ideen im Wohnungsbau heute.

Zur Person: Nach ihrem Architekturdiplom 1988 in Berlin arbeitete Kathrin Möller als Architektin, Stadtplanerin und in der Lehre. Unter anderem bei der Bremischen Gesellschaft für Stadterneuerung, Stadtentwicklung und Wohnungsbau mbH, deren Technische Leiterin sie 2002 wurde. Als daraus 2006 die Gesellschaft für Stadtentwicklung mbH wurde, übernahm Kathrin Möller für zwei Jahre die Geschäftsführung und verschob damit ihren Tätigkeitsbereich deutlich Richtung Bauherrenseite. In den Vorstand der GAG Immobilien AG Köln kam sie 2009 und leitet dort seitdem das Ressort Technik mit den Bereichen Planen und Bauen, Instandhaltung, Vertrieb und Einkauf. Darüber hinaus ist Kathrin Möller in zahlreichen Gremien aktiv, unter anderem im Vorstand der Landesinitiative StadtBauKultur NRW und seit Mai 2012 als Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Kölner Wohnungsunternehmen.

Zum Unternehmen: Vor 100 Jahren initiierte Konrad Adenauer, damals stellvertretender Oberbürgermeister der Stadt Köln, die Gründung der Gemeinnützigen AG für Wohnungsbau, um die prekären Wohnverhältnisse der ärmeren Bevölkerungsschichten umfassend zu verbessern. Gerne beteiligten sich die großen Kölner Industriellen an der Wohnungsbaugesellschaft, übernahm sie doch einen Teil ihrer Fürsorgepflicht. Die andere Hälfte der Aktienanteile erwarb die Stadt. Unter dem Motto „Lich, Luff un Bäumcher” betrieb die GAG jahrzehntelang einen beispielhaftem Siedlungsbau, der sich an der Gartenstadtbewegung orientierte. Um die Jahrtausendwende scheiterte der Verkauf der städtischen Anteile knapp im Stadtrat. Inzwischen besitzt die Stadt rund 88% der Aktienanteile, und an dem satzungsgemäßen Zweck, breiten Bevölkerungsschichten erschwinglichen Wohnraum zu sozial angemessenen Bedingungen anzubieten, hat sich seit der Gründung wenig geändert, denn auch heute ist der Bedarf immens: 2013 wohnte jeder zehnte Kölner in einer der 40.000 GAG-Wohnungen.

Frau Möller, jeder zehnte Kölner wohnt in einer Wohnung der GAG. Wer sind Ihre Mieter?

Kathrin Möller: Dass es jeder zehnte ist, zeigt schon, dass es eine bunte Mischung der Kölner Gesellschaft sein muss: Da gibt es die pensionierte Postbeamtin, die seit 50 Jahren bei der GAG wohnt, oder die Migrantenfamilie, die auf der Suche nach einer neuen Bleibe bei der GAG ihre erste Wohnung findet, genauso wie die Studenten. Gut die Hälfte unserer Wohnungen ist öffentlich gefördert, so dass wir viele Mieter aus den unteren Einkommensschichten haben. Aber auch die klassische Familie mit zwei Kindern, bei der beide Eltern berufstätig sind, findet bei der GAG ein Zuhause.

Handeln Sie denn als städtisches oder als privatwirtschaftliches Unternehmen?

KM: Die GAG ist eine börsennotierte Aktiengesellschaft. Als Konrad Adenauer vor 100 Jahren die Idee zur Gründung hatte, hielt die Stadt 52 % der Aktien. Noch heute ist die Stadt mit inzwischen 88,21 % unser Mehrheitsgesellschafter. Das Besondere an der Gründungsidee war damals, neben der Stadt auch Kölner Industrielle und wohlhabende Familien mit in den Aktionärsbestand aufzunehmen, aber auch einen relativ großen Bestand an Mieteraktien auszugeben. Nur ein kleiner Teilbestand von knapp 5 % ist im Free Float an der Börse und wird dort frei gehandelt.

Wie möchten Sie das Leitbild für die Führung der GAG weiterentwickeln?

KM: Im Satzungszweck der GAG ist die Versorgung von breiten Schichten der Bevölkerung mit preiswertem Wohnraum verankert. Dahinter stand das 1913 im Namen der Gemeinnützigen AG für Wohnungsbau festgeschriebene Leitbild der Gemeinnützigkeit. Seit den Neunziger Jahren gibt es die Gemeinnützigkeit in der Wohnungswirtschaft aber nicht mehr, folglich wurde „GAG“ ist zu einer Wortmarke, die nicht mehr ausgeschrieben wird. Aus diesem sehr alten, aber dennoch modernen Satzungszweck haben wir mit unserem Aufsichtsrat ein gutes Leitbild für eine nachhaltig agierende kommunale Gesellschaft entwickelt. Auch wenn wir nicht zur Renditemaximierung verpflichtet sind, müssen wir als Unternehmen vernünftig wirtschaften und positive Ergebnisse erzielen – allein mit preisgebundenem Wohnraum gelingt das nicht. Wir fühlen uns verpflichtet, ein ausgewogenes Verhältnis von Investition, Ergebnis und sozialer Verantwortung herzustellen.

Sie nehmen Ihre soziale Verantwortung ernst und tun vieles, das Sie eigentlich nicht tun müssten, Mieterfeste, Ferienprogramm, Seniorengymnastik … rechnet sich das?

KM: Ja, vielleicht nicht unmittelbar in Zahlen aufzuaddieren, aber im Sinne einer nachhaltigen Bestandsbewirtschaftung rechnet sich auch ein Mieterfest oder eine Gewaltpräventionsmaßnahme in einem sozial benachteiligten Umfeld, weil eine stabile Mieterschaft und ein gutes soziales Miteinander weniger Fluktuation, weniger Vandalismus, weniger Instandhaltungsaufwand und weniger Bewirtschaftungsaufwand bedeuten. Eine zufriedene Mieterschaft, die eine gute Nachbarschaft pflegt, ist der beste Garant für regelmäßige Mietzahlungen. Insofern hat auch eine Wohnungsbaugesellschaft ein so großes Interesse an Sozialmanagement und Quartiersentwicklung, dass wir dies zum Bestandteil unserer Arbeit gemacht haben. Wir helfen Menschen, die in Not geraten sind oder Mietschulden haben, finanziell wieder auf die Füße zu kommen. Genauso möchten wir aber auch jungen Menschen vermitteln, dass die Zerstörung des Spielplatzes und der Hauseingangstür nicht unbedingt dazu führt, dass man sich besser fühlt. Denn auch solche kleinen Sachen zahlen sich irgendwann aus. Daneben sind wir natürlich in den unterschiedlichsten kulturellen, sozialen und auch sportlichen Bereichen als Sponsor aktiv, denn als Kölner Unternehmen sind wir Teil der Stadtgesellschaft und erfüllen diese Pflichten gerne.

An welcher Schnittstelle müssen Sie am meisten kämpfen?

KM: Unsere Hausmeister berichten, dass die Ansprüche der Mieter an die GAG deutlich gewachsen sind. Früher war die Gesellschaft homogener und damit die Betreuung der Mieter deutlich einfacher. Heute müssen wir uns auf die unterschiedlichsten Ansprüche, Kulturen und Familienkonstellationen einstellen. Daneben sind die Menschen inzwischen eine 24-Stunden Dienstleistungsgesellschaft gewohnt, in der sie permanent informiert und sofort versorgt werden – und diesen Anspruch stellen sie auch an ihren Vermieter. Wir sind natürlich bestrebt, diesem Serviceanspruch, den wir im Sinne der Kundenzufriedenheit formuliert haben, gerecht zu werden. Aber das ist für eine Wohnungsbaugesellschaft ein bisschen schwieriger als für einen Internetseller.

Und wie setzen Sie sich mit der Stadt auseinander?

KM: Wir möchten eine eigenständige Unternehmenspolitik machen, die städtische Interessen im Kopf hat, aber selbstbewusst handelt. Deshalb müssen wir mit der Stadt ständig einen kleinen, aber konstruktiven Konflikt austragen. Einerseits möchte die Stadt eine Wohnungsbaugesellschaft, die langfristig stabil ist, die Geld verdient und sich aus ihrem wirtschaftlichen Ertrag weiter entwickelt. Andererseits hat sie natürlich auch den Wunsch an ihre Wohnungsbaugesellschaft, eine möglichst hohe Zahl an Neubauten zu erreichten, um dem Wohnungsmangel zu begegnen.

Um die Jahrtausendwende hatte sich die Stadt Köln sogar mit dem Verkauf der GAG beschäftigt. Zum Glück scheiterte das Vorhaben im Stadtrat an zwei Stimmen. Heute ist, glaube ich, jede Ratsfraktion froh, dass die Stadt die GAG nicht verkauft hat.

Und wenn Sie anfangen zu bauen?

KM:Dann befinden wir uns schnell in einem Konflikt, denn in einer Stadt wie Köln, die ja quasi fertig gebaut ist, innerstädtisch bauen zu wollen, bedeutet immer Umbau, Abriss und Eingriff in eine bestehende Struktur. Gewerbetreibende beobachten die heranrückende Wohnbebauung mit Sorge, und Nachbarn protestieren, weil sich der Blick aus ihrem Fenster verändern wird. Allerdings ist es uns mit Hilfe frühzeitiger Dialogverfahren bislang immer gelungen, unsere Projekte im Einvernehmen mit allen Beteiligten umzusetzen.

Das erste große Bauprojekt der GAG war die Siedlung Bickendorf I mit 578 Wohnungen (Architekten Caspar Maria Grod, Leo Kaminski und Wilhelm Riphahn). Der fortschrittliche (preisgekrönte) Entwurf stand unter dem Motto „Lich, Luff un Bäumcher“. Was bieten Sie Ihren Mietern heute?

KM: In gewisser Weise passt das Motto noch immer, denn wir möchten unseren Mietern ein gesundes, lichtes Wohnumfeld bieten, das im Stadtgefüge integriert ist und einen möglichst kleinen CO2-Footprint hinterlässt.

Ein großer Teil der frühen Siedlungen steht unter Denkmalschutz. Betrachten Sie das als Ballast oder Prädikat?

KM: Es ist toll, dass wir Kölns größter Denkmalhalter sind. Für mich als Architektin ohnehin, aber auch, weil ein Wohnungsbestand, der dieses Prädikat trägt, ein Alleinstellungsmerkmal ist. Dass es eine wirtschaftliche Last ist, muss man nicht verschweigen. Denn wenn man eine Siedlung wie die denkmalgeschützte Naumann-Siedlung modernisieren möchte und dort eine Bausubstanz vorfinden, die schon seit der Erbauung in den 1920er Jahren Baumängel hat, sind die Investitionskosten der Modernisierung deutlich über Neubaukosten. Das kann man nur mit einem großen Bestand wirtschaftlich stemmen und mit moderaten Mieterhöhungen quer finanzieren. Was uns dort letztendlich geholfen hat, war unsere gute Kooperation mit der Denkmalpflege, die uns gestattete, in Dachgeschossen und Souterrains Wohnungen auszubauen. Mit diesem Mehr an Mietfläche konnten wir den extremen Aufwand, den wir dort getrieben haben, ein wenig auffangen.

Sie arbeiten sowohl bei der Sanierung von Bestandsimmobilien als auch bei der Entwicklung neuer Projekte mit privaten Kölner Planungsbüros zusammen. Welchen Mehrwert bringt der Mehraufwand im geförderten Wohnungsbau?

KM: Wir arbeiten traditionell mit örtlichen Planungsbüros, bei größeren Bauvorhaben in der Regel im Ergebnis einer Mehrfachbeauftragung. Weil wir entsprechende Qualitätssicherungsverfahren vorgeschaltet haben, spiegelt sich das in einer guten Architekturqualität wider. Grade sind wir dabei, wieder so etwas wie einen GAG-Standard zu prägen. Riphahn hatte das schon in den 20er Jahren getan, und es zeichnet diese Siedlungen bis heute aus. Um bei einigen Bauvorhaben die Leistungsphasen selbst erbringen zu können, bauen wir uns ein eigenes Planungs-Knowhow auf. Denn einen guten Bauherren zeichnet aus, dass er qualifiziert über die Planungsinhalte reden kann.

Wie vermitteln Sie Ihren Mietern und Kollegen die baukulturellen Werte?

KM: Es hat bei der GAG eine lange Tradition, gute Architektur zu bauen, damit prägen wir auch ein Stück unserer Identität.

Ein Punkt, der mir große Sorgen macht, und den ich in den verschiedensten Gremien immer wieder zur Diskussion stelle, ist, dass es in der Bundesrepublik inzwischen nur noch wenige qualifizierte Wohnungsbaulehrstühle gibt, so dass es – bei aller Wertschätzung der Architektur, die unsere Kollegen liefern – mittlerweile doch ein wenig mühevoll ist, einen guten Wohnungsgrundriss zu entwerfen. Dafür wäre es eben doch gut, eine eigene Planungskompetenz im Haus zu haben. Einen guten Wohnungsbau zu entwerfen ist das eine, das andere ist es, einen guten Wohnungsbau im Rahmen des geförderten Wohnungsbaus zu entwerfen. Wir merken es schon, wenn sich Büros intensiv damit auseinander gesetzt haben. Gutes Entwerfen im geförderten Wohnungsbau ist eine Fertigkeit, die leider nicht jeder Kollege, jede Kollegin beherrscht.

Es ist ja nicht unbedingt das spannendste Thema … auch Studenten entwerfen lieber eine Kirche oder ein Museum.

KM: Deshalb kooperieren wir jetzt eng mit der Fachhochschule Köln. Dort möchten wir den jungen Studierenden schon an der Hochschule vermitteln, dass es eben doch eine spannende Entwurfsaufgabe ist, wenn man sich mit dem Leben der Menschen auseinandersetzt.

Die Fragen stellte Uta Winterhager für ein Interview, das ursprünglich in der Bauwelt Heft 1-2.14 >>“Bauherren“ erschienen ist.

 

Ausführliche Informationen und Bilder zu allen Siedlungen und Projekten finden sich auf der homepage der >>GAG

 

Kathrin Möller

Foto: GAG

GAG-Siedlung in Stammheim, Felder Architekten

Foto: GAG

GAG-Siedlung in Stammheim, Felder Architekten

Foto: GAG

Die 1121 Wohnungen der Rosenhofsiedlung der GAG (auch Bickendorf II genannt) wurden zwischen 1923 und 1938 von Wilhelm Riphahn und Caspar Maria Grod mit einem für die damalige Zeit ungewöhnlich hohen Qualitätsstandard gebaut.

Foto: GAG

Die Rosenhofsiedlung der GAG (auch Bickendorf II genannt)nach der 2012 abgeschlossenen Sanierung.

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Die Naumannsiedlung wurde 1927 – 1929 nach Entwürfen der Architekten Fritz Fuß, Otto Scheib und Manfred Faber errichtet. Sie bot sie mit 450 Wohnungen den damals dringend benötigten Wohnraum für die Arbeiter der Industriebetriebe im Norden Kölns.

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Die Modernisierung der denkmalgeschützten Naumann-Siedlung wird noch bis 2017 andauern.

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Die zwischen 2006 und 2010 auf dem ehemaligen Siemensgelände an der Amsterdamer Straße erbaute GAG-Siedlung in Köln-Niehl ist mit 50 Eigenheimen, 89 Eigentumswohnungen und 235 Wohnungen eines der größten Erdwärmeprojekte in Europa.

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Die Geothermie-Siedlung der GAG in Niehl

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