Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Lärm, Schmutz und echte Häuser

Interview: Architektur im Gespräch mit Tim Rieniets, seit dem 1. März 2013 Leiter der Geschäftsstelle StadtBauKultur NRW

Seit acht Monaten ist Tim Rieniets im Amt. Diese Zeit hat er genutzt, die Stadtbaukultur NRW für ihre zweite Dekade aufzustellen. koelnarchitektur sprach mit ihm natürlich über Baukultur, aber auch über seinen Hintergrund, seine Ideen und Ziele, über Geld und über Köln.

Herr Rieniets, was reizte Sie an der Stelle als neuer Geschäftsführer der StadtBauKultur NRW?

Tim Rieniets: Ich bin ich im Ruhrgebiet aufgewachsen. Diese Stelle bietet mir die Möglichkeit, Erfahrungen, die ich 18 Jahre lang anderswo in Studium und Beruf gesammelt habe, wieder in meiner Region einzubringen. Außerdem stellte sich mir irgendwann die Frage nach der Nachhaltigkeit meiner Tätigkeit, wenn ich, wie ich es bisher gemacht habe, als Kurator mal hier, mal da ein Projekt mache. Jetzt empfinde ich es als sehr befriedigend, dass ich mich mit meiner Arbeit langfristig in einer Region einbringen kann.

Liest man Ihre Vita, taucht immer wieder der Begriff „Stadtforscher“ auf. Was bedeutet Stadt für Sie?

TR: Damit könnte man Bücher füllen … Die kürzeste Definition von Stadt ist für mich, dass es sich um eine besondere Art des Zusammenlebens von Menschen im Raum handelt. Daran lassen sich dann strukturelle, räumliche und architektonische Fragen ableiten. Die Suche nach der bestmöglichsten Form für diese besondere Art des Zusammenlebens ist der Antrieb meiner Arbeit. Auch wenn wir es hier in NRW zum Teil mit schrumpfenden Städten zu tun haben, halte ich die Stadt an sich nach wie vor für sehr zukunftsträchtig. Denn alle unmittelbar anstehenden Probleme – Klimawandel, demografischer Wandel, Umweltschutz – können wir hier am besten lösen.

Aus städtebaulicher Perspektive betrachtet ist NRW von den gegensätzlichen Entwicklungen der strukturschwachen und der prosperierenden Regionen gekennzeichnet. Wo kann bzw. wo möchte die StadtBauKultur NRW ansetzen?

TR: Wir haben nicht den Anspruch, das gesamte Spektrum abzudecken, dafür sind wir als Institution schlichtweg zu klein. Aber die Vielfalt des Landes konfrontiert uns mit einer großen Bandbreite stadtbaukultureller Fragen. Dass wir dadurch an allen aktuellen Trends arbeiten können, macht unsere Initiative im bundesweiten und internationalen Vergleich besonders interessant.

Es gibt die Architekten, die Bauherren und Investoren, die Städte und die Bürger. Wo steht die Landesinitiative?

TR: Es gibt natürlich eine Wunschvorstellung und eine Realität, die davon abweicht. Ich sehe unsere Aufgabe darin, Schnittstellen zu bedienen und Interdisziplinarität attraktiv zu machen. In unserem Programm haben wir vier Themenfelder festgelegt, drei davon (UmBauKultur, Wir-Urbanismus, LebensRäume) sprechen diejenigen an, die aktiv Projekte machen, ob das ein Architekt oder ein Laie ist, macht keinen Unterschied, solange baukulturelle Ziele im Vordergrund stehen. Wir haben aber auch ein Themenfeld (StadtGespräche), mit dem wir gezielt auf Städte und Bürger zugehen, um dort den baukulturellen Diskurs zu fördern. Natürlich können wir nicht alle zufriedenstellen, weder alle Bewerber, noch alle Kommunen. Darum müssen wir unsere Aktivitäten sehr gezielt und strategisch auswählen.

Aber im Prinzip haben wir den Anspruch, alle ins Boot zu holen und überall präsent zu sein. Einfach ist es bei den Architekten, die eine Art Gewohnheitsrecht für sich in Anspruch nehmen, schwierig wird es bei denen, die noch nichts von ihrem Glück wissen.

Wohin gehört die Baukultur? Auf die Straße, ins Museum, in die Köpfe der Planer …

TR: Ob wir im Museum oder auf der Straße arbeiten wollen, davon habe ich relativ klare Vorstellungen. Die meisten Leute haben da eher wenig Phantasie und denken schnell an Museen oder Bücher. Ich möchte jedoch eine neue Projektkultur mit deutlichem Praxisschwerpunkt etablieren. Die klassischen Formate wie Publikation, Symposium und Ausstellung interessieren mich weniger, davon bietet NRW ohnehin ein breites und gutes Angebot. Die erste Dekade StadtBauKultur hat gute Arbeit geleistet, den Diskurs zu befeuern. Wir möchten mehr Projekte mit Praxisperspektive machen und dahin gehen, wo es brennt.

Um ein Beispiel zu geben: mit der Stadt Gelsenkirchen versuchen wir ein Pilotprojekt zur Sanierung sogenannter Schrottimmobilien aufzubauen. Das Konzept dafür stammt aus Rotterdam, auch dort gibt es Immobilien in Quartieren, in denen die Mieten so niedrig sind, dass eine konventionelle Sanierung sich nicht lohnen würde. Deshalb hat die Stadt diese Schrottimmobilien selbst gekauft und dann unter Marktwert an private Bauherren veräußert, die sich verpflichten mussten, das Haus in Eigenleistung zu sanieren und selbst drei bis fünf Jahre darin zu leben. Damit soll Spekulation ausgeschlossen und persönliches commitment gefordert werden. Auch Gelsenkirchen hat ein großes Portfolio an Schrottimmobilien und sehr aufgeschlossene Menschen in der Kommune, die das Experiment unterstützen würden. An diesem Vorhaben reizt mich besonders, dass es hier um echte Häuser geht und dass es laut und schmutzig wird. Ich will auf jeden Fall verhindern, dass die StadtBauKultur NRW als ein „netter Kulturclub“ missverstanden wird.

Wenn Sie verstärkt Projekte dieser Art realisieren möchten, verschiebt sich Ihr Aufgabenfeld vom Katalysator und Sponsor hin zum Initiator und Entwickler, der eine ganz bestimmte Richtung vorgibt?

TR: So ist es. Wir wollen thematische Schwerpunkte setzen, um unsere Ziele besser kommunizieren zu können. Ja, und wenn wir auf Themen stoßen, die uns wichtig erscheinen, werden wir auch selber Projekte initiieren. Wir können Projekte jedoch nur anschieben und müssen die Durchführung anderen überlassen, weil wir selbst keine ausreichenden Mittel haben.

Sagen Sie uns, wie groß ist der Betrag ist, den das Land jährlich für die Landesinitiative StadtBauKultur bereitstellt?

TR: Das ist kein Geheimnis. Für die Geschäftsstelle der Landesinitiative StadtBauKuktur NRW ist pro Jahr ein globales Budget von 877.000 Euro vorgesehen, davon kann etwas mehr als die Hälfte für Projekte verwendet werden.

Welche Kriterien muss ein Projekt erfüllen, um von der StadtBauKultur NRW unterstützt zu werden?

TR: Es muss in unseren Katalog passen, es muss gemeinnützig sein, es muss innovativ sein und einen gewissen qualitativen Standard erreichen. Und eine Praxisperspektive wäre wünschenswert. Ich schließe zwar kein Projektformat aus, aber ich habe schon das Anliegen, aus den Hörsälen und Ausstellungsräumen hinaus zu gehen.

Wie unabhängig sind Sie in Ihren Entscheidungen? Wem müssen Sie Rechenschaft über geförderte Projekte ablegen?

TR: Indirekt muss ich natürlich der Öffentlichkeit Rechenschaft ablegen, weil uns öffentliche Mittel zur Verfügung gestellt werden. Ganz konkret gibt es in der Landesinitiative einen Vorstand und einen Beirat. Trotzdem habe ich noch einen relativ großen Gestaltungsspielraum, denn der Begriff Geschäftsführung ist insofern etwas missverständlich, als dass es hier nicht nur um das operative Geschäft, sondern auch um die Entwicklung von Inhalten geht.

Stadtbaukulturell passiert in Köln vieles auf ganz unterschiedlichen Ebenen – wo möchten Sie sich gerne einmischen?

TR: Köln ist die größte Stadt in der Region und bietet die größte urbane Vielfalt. Darum sind hier alle vier Themenfelder der Landesinitiative StadtBauKultur NRW relevant. Wir hoffen auf viele gute Projektvorschläge aus Köln! Ganz besonderes interessiert mich aber, dass die urbane Vielfalt Kölns nicht unter der momentanen Dynamik des Immobilienmarktes leidet. Das Wachstum der Stadt darf nicht dazu führen, dass urbane Vielfalt und soziale Diversität darunter leiden. Hier gilt es Lösungen zu finden. Auch das ist StadtBauKultur!

Die Fragen stellten Barbara Schlei und Uta Winterhager

 

Tim Rieniets

Foto: StadtBauKultur NRW/Fotograf: Cristóbal Márquez