Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Pilotprojekt am Sülzgürtel

Aus dem ehemaligen Geländes der Kinderheime wird ein lebendiges Stück Stadt

Gut sechs Jahre nach der Entscheidung des Plangutachtes „Sülzgürtel“ im Oktober 2006 ist ein großer Teil der auf dem Gelände des ehemaligen städtischen Kinderheims entstandenen Wohnungen bezogen. Vor den Haustüren stehen Gummistiefel in allen Größen und Fahrräder mit und ohne Anhänger ordentlich in den Unterständen, obwohl es auf dem Gelände noch sehr nach Baustelle aussieht. Alle Baumaßnahmen, Erschließungen sowie die Anlage der Frei- und Grünflächen sollen im kommenden Jahr sukzessive abgeschlossen werden.

1914 wurde auf diesem 4,1 ha großen Gelände das „Waisenhaus der Stadt Köln“ erbaut. Doch die Kinder- und Jugendpädagogische Einrichtung der Stadt Köln (KidS) hat sich für ein zeitgemäßes pädagogisches Konzept entschieden, und betreut die 120 bislang dort lebenden Kinder nun in kleinen familienähnlichen Wohngruppen. Das dadurch frei gewordene Grundstück konnte verkauft und, da es im Besitz einer Stiftung war, der Erlös von den KidS zweckgebunden reinvestiert werden.

Die Bebauung des Grundstücks zwischen Sülzgürtel und Beethovenpark erfolgte auf Grundlage des städtebaulichen Entwurfs von Luczak Architekten (Köln) in Zusammenarbeit mit FSW Landschaftsarchitekten (Düsseldorf), der bei dem im Oktober 2006 entschiedenen Plangutachten „Sülzgürtel“ den ersten Platz belegt hat. Die Architekten schlugen vor, dieses mitten im dichten urbanen Gefüge von Sülz seiner damaligen Funktion entsprechend völlig isolierte Grundstück in sieben Baufelder einzuteilen und diese mit unterschiedlichen Strukturen und Bautypologien zu bebauen. Dieses eindeutige „Bekenntnis zu den charakteristischen Elementen einer vitalen Kernstadt, in der Enge und Weite, Handel und Kultur, Arbeiten und Wohnen einen Platz haben“ wurde 2009 in einen rechtskräftigen Bebauungsplan umgesetzt. Mit etwa 300 Wohneinheiten versprach der Entwurf nicht nur ein dichtes städtisches Wohnquartier zu werden, sondern durch die offen und heterogen angelegte Struktur gute Bedingungen für eine funktionierende Verquickung mit dem gewachsenen Sülzer Umfeld zu schaffen. Die geplanten Gebäudetypologien vom Reihenhaus über das introvertierte Hofhaus bis zum gemeinschaftsorientierten Kombihaus sollten die Grundlage für die gewünschte Vielfalt der Sozialstruktur bilden. Dementsprechend wurde der Verkauf der sieben Baufelder mit drei unterschiedlichen Verfahren durchgeführt.

Haus und Hof oder Wohnen am Park

Die zwei westlichen Baufelder 6 und 7 an der Neuenhöfer Allee liegen direkt am Beethovenpark. Sie wurden entsprechend der damaligen Rechtslage als Baukonzession mit vorgeschaltetem Qualitätssicherungsverfahren EU-weit ausgeschrieben. Baufeld 6 konnte ein Düsseldorfer Investor mit einem Entwurf von Schilling Architekten erwerben, Baufeld 7 ein Kölner Investor mit einem Entwurf von Schulte Architekten. Hier werden im „SÜLZPARC“ 39 überdurchschnittlich gut ausgestattete Mietwohnungen sowie eine Kindertagesstätte bzw. im „AllegroSülz“ 40 hochpreisige Eigentumswohnungen entstehen.

Das Herzstück des Areals bildet Baufeld 4. Die von dem Delmenhorster Investor nachgeschaltete Mehrfachbeauftragung für den „Il Castello“ gewann das Büro Molestina Architekten mit FSW Landschaftsarchitekten. In zwei Baukörpern mit privaten Innenhöfen befinden sich hier 33 Eigentumswohnungen sowie 7 Stadthäuser. Der öffentliche Raum, insbesondere der in der Mittelachse liegende Quartiersplatz, soll die sieben verschiedenen Veedel miteinander verknüpfen. Eine gute Grundlage ist, dass das gesamte Gebiet autofrei angelegt wurde und der ruhende Verkehr eine eigene Tiefgaragen nutzt.

Kind und Kegel oder Jung und Alt

Da in Köln nicht nur ein enormer Bedarf an bezahlbarem innerstädtischen Wohnraum insbesondere für Familien besteht, sondern auch ein großes Interesse an besonderen und neuen Wohnformen, setzte sich die Leiterin der KidS Lie Selter dafür ein, zwei der sieben Baufelder an Baugruppen zu verkaufen. Was in Süddeutschland längst gängige Praxis ist, war für Nordrhein-Westfalen damals noch ein Novum, weshalb der gesamte Prozess mit großem Interesse seitens der Medien und der Bevölkerung begleitet wurde. Doch aus einer Gruppe gleichgesinnte Bauherren wird nicht gleich eine Baugruppe – um Interessierte zu informieren und um konkrete Hilfestellung im Planungs- und Findungsprozess zu leisten gründeten die Architektinnen Almut Skriver und Regina Stottrop im Sommer 2008 das Netzwerk|Baugemeinschaften im haus der architektur köln. Dieses öffentliche und ehrenamtlich betriebene Angebot wurde zunächst von der Stadt finanziell unterstützt. Inzwischen gibt es jedoch keine städtischen Gelder mehr für das Netzwerk, da die Stadt interessierten Baugruppen derzeit keine attraktiven Grundstücke anbieten kann – schon die 2009 pro-forma angebotenen Grundstücke in Dellbrück, Godorf und Porz fanden keine Käufer.

In einem eigens entwickelten dreistufigen Verkaufsverfahren konnten sich interessierte Baugruppen um den Kauf eines der Teilgrundstücke der Baufelder drei und fünf auf dem ehemaligen Kinderheimgelände bewerben. Auf die Teilnahmephase, in der die Belegung der einzelnen Baufelder festgelegt wurde, folgte ein anonymisiertes Auswahlverfahren, in dem ein Gremium aus Mitgliedern der städtischen Verwaltung und Architekten neben der Finanzierungssicherheit und der Qualität der architektonischen und freiraumplanerischen Gestaltung auch die interne Organisation und vertragliche Bindung innerhalb der Baugruppen bewertet hat. Die Baugruppen, die sich hier qualifizieren konnten, wurden in der Optionsphase aufgefordert, ihre Planungen bis zur Einreichung des Bauantrags zu konkretisieren, sowie die Konstellation der Gruppe und die Teilung des Gesamteigentums festzulegen.

Um den Kauf der sechs Teilgrundstücke bewarben sich zehn Baugruppen. Nicht nur die inzwischen realisierten, sondern alle eingereichten Projekte zeichnete eine hohe gestalterische Qualität der Wohn- und Freiräume aus, und dies sogar, obwohl die bauliche Dichte es erforderte, sich über die Grenzen des eigenen Grundstücks mit den anderen Gruppen abzustimmen, um das Funktionieren des gesamten Areals zu sichern. Im Einzelnen werden wir über die folgenden Projekte berichten:

  • Baufeld 3.1, Baugruppe Sülzterrassen, Krämer + Weiß Architekten

 

  • Baufeld 3.2, Baugruppe KEGA, Pannhausen Architektur

 

 

  • Baufeld 3.3, Baugruppe EBS Erste Baugruppe Sülz, Luczak Architekten

 

 

  • Baufeld 3.4, Baugruppe Es lebe Sülz, Dewey Muller Architekten

 

 

  • Baufeld 5.1, Baugruppe Baufreunde, Office 03 Architekten (link zum Landespreis)

 

 

  • Baufeld 5.2, Baugruppe Sülzer Freunde, Architekturbüro Zeller

 

 

Handel und Wandel oder Einzeln und Gemeinsam

Auf den Baufeldern 1 und 2 entlang des Sülzgürtels ist seit der Räumung und Rodung nichts geschehen. Angesichts der Größe der nur gemeinsam verkauften Grundstücke, ihrer Bedeutung für das gesamte Quartier und des Bestands an Denkmälern wurde länger nach einem geeigneten Investor gesucht, so dass bislang auch noch kein konkreter Entwurf vorliegt. Fest steht jedoch, dass der denkmalgeschützte Teil der Büro- und Wohngebäude sowie die Kirche „Zur Heiligen Familie“, an deren neobarocken Turm Dominikus und Gottfried Böhm Ende der 50er Jahre ein aufgeständertes Kirchenschiff angebaut haben, erhalten bleiben und um eine Blockrandbebauung ergänzt werden sollen. Das Kirchenensemble so wie seine Annexbauten sollen in Zukunft nicht mehr als Barriere zwischen Sülzgürtel und Beethovenpark liegen, sondern im umgekehrten Sinne zur Identität stiftenden Mitte des neuen Quartiers werden. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf die Gestaltung des Kirchvorplatzes wie auch auf die Nutzungen der Gebäude zu richten sein. Da die Grundstücke als Mischgebiete ausgewiesen wurden, sind hier neben Handel und Kultur auch Arbeiten und Wohnen (u.a. 80 geförderte Wohnungen und eine Kindertagesstätte) zu planen.

Der damalige Baudezernent Bernd Streitberger sagte bei einer Veranstaltung 2007: „Wir erhoffen uns guten Erlös, guten Städtebau und eine gute Sozialstruktur, in diesem Spannungsfeld bewegen wir uns.“. Durch die verschiedenartigen Verfahren bei der Vermarktung und die zentrale Steuerung scheint das Pilotprojekt am Sülzgürtel auf einem guten Weg zu sein, Streitbergers Hoffnungen zu erfüllen. Die häufig gehörte Forderung „verschiedene Lebensstile und Lebensformen einer sich wandelnden Gesellschaft“ möglich zu machen, kann, so scheint es hier, erfüllt werden. Doch der Aufwand ein „normales“ Stück Stadt zu planen, das Familien nicht ins Umland vertreibt, in dem Studenten Senioren begegnen und Autos den Fußgängern und Radfahrern den Weg frei machen, ist enorm und nur mit dem großen Engagement vieler einzelner zu bewältigen.

Uta Winterhager

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Rechts und links flankieren die Baugruppen den Quartiersplatz. Im Laufe des nächsten Jahres sollen die Autos in den Tiefggaragen verschwinden und Bäume gepflanzt werden.

Foto: Uta Winterhager

Die Bebauung des Areals zwischen Sülzgürtel und Beethovenpark erfolgte auf Grundlage des städtebaulichen Entwurfs von Luczak Architekten (Köln). Die Architekten schlugen vor, das Grundstück in sieben Baufelder einzuteilen und diese mit unterschiedlichen Strukturen und Bautypologien zu bebauen.

Übersicht: Luczak Architekten

Blick von der Münstereifeler Straße in das neue Quartier. Im Vordergrund die Baugruppe ‚Sülz-Terrassen‘ von Krämer + Weiß Architekten. Noch ist der Blick auf die Kirche frei, doch auch hier sind Neubauten beabsichtigt.

Foto: Uta Winterhager

Lochfassaden alt und neu. Das Relief auf der Chorwand der Kirche zählt 126 Schafe, einen Hirten und einen Hütehund – Sinnbild für die Aufgabe des Kinderheims. Rechts die Baugruppe ‚KEGA‘ von Pannhausen Architektur.

Foto: Uta Winterhager

An vielen Stellen finden sich unerwartete Durchblicke und Durchgänge. Die beiden Hofhäuser ‚Il Castello‘ von Molestina Architekten trennt ein schmaler Fußweg, damit der Block nicht als Barriere wirkt.

Foto: Uta Winterhager

Auf gute Nachbarschaft: die Baugruppen ‚EBS‘ von Luczak Architekten und ‚Sülz Terrassen‘ von Krämer Weiß Architekten. Zur Identitätsbildung wurden in Anlehnung an den denkmalgeschützten Bestand Klinker, Putz oder Sichtbeton als Fassadenmaterial für das ganze Quartier vorgegeben.

Foto: Uta Winterhager

Über den Quartiersplatz auf ‚Il Castello‘ geschaut. Links die Baugruppe ‚Baufreunde‘ von office 03 Architekten, rechts die Baugruppe ‚Es lebe Sülz‘ von Dewey Muller Architekten. Allen Planungen lag ein hoher gestalterische Anspruch zugrunde, unabhängig davon, ob es nur einer oder 15 Bauherren waren.

Foto: Uta Winterhager

Die sieben Baufelder wurden zur Qualitätssicherung auf drei verschiedene Weisen vermarktet.

Grafik: Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH