Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Ein Kritiker wird ausgestellt

Interview: Architektur mit Wolfgang Pehnt: er wird 80 und erhält eine Ausstellung im DAM

Der Architekturkritiker und -historiker Wolfgang Pehnt feiert am 3. September seinen achtzigsten Geburtstag. Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt widmet ihm die Ausstellung „Die Regel und die Ausnahme“, in der neben Schriften und Korrespondenz auch Stücke aus seiner privaten Sammlung zu sehen sind, u. a. Zeichnungen von Gottfried Böhm, Rudolf Schwarz, Le Corbusier, Hermann Finsterlin und Fotografien von Klaus Kinold oder Bernd und Hilla Becher. koelnarchitektur.de sprach mit Wolfgang Pehnt, der seine Bücher nicht unter Kontrolle hat.

Herr Professor Dr. Pehnt, Sie haben Ausstellungen zu Rudolf Schwarz und Hans Poelzig kuratiert, unzählige Vorträge gehalten, Bücher und Katalogbeiträge geschrieben. Ist es ein merkwürdiges Gefühl, sich nun selbst quasi als Exponat im Museum zu begegnen?

Wolfgang Pehnt: Ja, ist es. Aber wer ist von Eitelkeit frei? Ich genieße es.

Wie kam es zu der Idee? Wie entstand das Projekt?

Wolfgang Pehnt: Die Frankfurter Kollegen, in deren Museum ich mich zu Hause fühle, wollten mir zum Achtzigsten etwas Gutes tun. Da dachte ich, vielleicht wäre es interessant, wenn einmal jemand, der schreibt und nicht baut, in einer Ausstellung zeigte, wie dieser aufregende Stoff Architektur verarbeitet, gesichtet und zu Büchern werden kann. Und auch oftmals kuriose Lebensspuren hinterlässt.

Regeln und Ausnahmen, wie lautet die Regel wofür und was ist die Ausnahme? Erklären Sie uns den Titel der Ausstellung?

Wolfgang Pehnt: Bauen funktioniert nur, wenn viele Regeln erfüllt werden, konstruktive, baurechtliche, versicherungstechnische, finanzielle. Aber viele, oft ungeschriebene Regeln haben sich auch eingebürgert, nach denen man kritisch fragen sollte. Ein bewohnerfreundliches, bürgernahes, vernunftgesteuertes Bauen und Planen bildet ja fast schon die Ausnahme. Als Ausnahmen treten auch die sensationellen Großbauten der Architekturstars auf, die das Image ihres Standortes aufwerten sollen. Wie viel davon verträgt eine Stadt? Wir brauchen eine Kultur der Normalität. Sie sollte aber offen genug sein, auch das Ungewöhnliche zuzulassen, wo es angemessen und sinnvoll ist.

Sie haben Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie studiert. Was war das Thema Ihrer Promotion? Und wie richteten Sie den Fokus später auf die Architektur?

Wolfgang Pehnt: Promoviert habe ich über ein literaturgeschichtliches Thema. Aber mein erster Job führte mich schon in einen Verlag für Kunst und Architektur, zu Hatje in Stuttgart. Wie das Leben so spielt, ist das jüngste Buch zur Ausstellung auch wieder bei Hatje – jetzt Hatje Cantz – erschienen. Architektur lag schon früh in meinem „Fokus“. Ich erinnere mich an Schulaufsätze zum damals heiß umstrittenen Wiederaufbau des Frankfurter Goethehauses (natürlich war ich dagegen) oder zu einer expressionistischen Kirche in Limburg, der Pallotiner-Kirche. Die bietet übrigens noch heute ein lohnendes Ausflugsziel.

Über dreißig Jahre haben Sie beim Deutschlandfunk gearbeitet, von 1974 und 1995 die Abteilung Literatur und Kunst geleitet. Was Architekturthemen angeht, bedienen Sie ein breites Themenspektrum, doch zu „Architektur und Arbeit“ habe ich bei Ihnen nichts gefunden. Grund dafür war vielleicht ein andauernder Schockzustand?

Wolfgang Pehnt: Dreißig Jahre Schock hielte niemand aus, man gewöhnt sich ein. Immerhin hatte ich aus meinem Büro in der 13. Etage einen wunderbaren Blick auf die City, auf die Breitseite des Doms. Der Südturm verdeckt in dieser Perspektive den Nordturm. Der Dom sieht von dort aus wie das Ulmer Münster mit seinem einzigen Turm.

Vermutlich haben die Arbeitsplatz-Umstände Sie nach Köln gebracht. Lieben Sie Ihre Stadt?

Wolfgang Pehnt: Ich weiß nicht, ob Köln „meine“ Stadt ist. Ich habe auch gern in Frankfurt und Stuttgart gelebt. Die Stadt meiner Kindheit war Kassel: zwei wunderbare historische Parks, Wälder ringsum, die fünfziger Jahre in Reinkultur, die ersten Theatererlebnisse, die erste Liebe (unerfüllt), die ersten Architekturerfahrungen. Als Kind habe ich in den Bombennächten erlebt, wie hinfällig, wie vergänglich diese scheinbar so solide Sache Architektur ist. Eben noch ein stattliches fünfstöckiges Haus, zwei Stunden später eine ausgebrannte Fassade. So etwas prägt. Köln finde ich vital, sympathisch unordentlich, mit grandioser Vergangenheit. Ich lebe gern hier – aber Liebe?

Die Titel Ihrer Arbeiten haben alle so verlockende, regelrecht poetisch anmutende Titel. Einer Ihrer Essays heißt „Der wahre Reichtum offenbart sich innen. Jedes Zeitalter hat seine architektonischen Weltwunder.“ Wo sind unsere?

Wolfgang Pehnt: Manchmal waren Zeitschriftenredakteure die Poeten und erfanden die Überschriften, wie in diesem Fall. Architektonische Weltwunder heute? Aber ja. Die Herde phantastischer Wolkenkratzer auf der Dreiviertelinsel Manhattan. Die sozialen Wohnsiedlungen der zwanziger Jahre in Berlin, Frankfurt und, bitte sehr, auch in Köln. Die Opernhäuser von Sidney und Oslo. Die wunderbar gespannten Hänge- und Spannseilbrücken unserer Tage… Ich könnte lange weitermachen.

Wissen Architekten zu wenig über Architekturgeschichte? Oder braucht man kein Geschichtsbewusstsein, um Weltwunder zu bauen?

Wolfgang Pehnt: „Um seinen Weg in die Zukunft zu finden, muss man wissen, wo man herkommt“, hat ein weiser Architekt und Theoretiker gesagt. Ich habe Geschichte immer als einen faszinierenden Stoff und gleichzeitig als Lektion empfunden. Oft zeigt sie uns, was wir schon gewusst und gemeistert hatten, und wie viel wir inzwischen vergessen oder verdrängt haben.

Eines Ihrer Schwerpunktthemen ist der gebaute Expressionismus. Nicht nur in der Epoche selbst, auch heute, sagen Sie, gibt es expressionistische Architektur. Wie charakterisieren Sie diese? Könnten Sie uns mit ein paar Beispielen helfen?

Wolfgang Pehnt: Der historische Expressionismus, kurz vor und kurz nach dem Ersten Weltkrieg, war einer der seltenen historischen Momente, zu dem die Menschen ihre ganze Courage und ihre ganze Vorstellungskraft zusammennehmen, um sich für ein anderes, besseres, mitmenschliches Leben einzusetzen. So etwas kommt so schnell nicht wieder. Was wiedergekommen ist, ist eine Architektur der interessanten Formen, der Brüche, der Dynamik, der Subjektivität. Digitale Entwurfstechniken haben Designern wie Gehry, Zaha Hadid, Libeskind, Coop Himmelblau dabei sehr geholfen. Aber ich habe mir immer Mühe gegeben, deutlich zu machen, was die jetzigen Ausdruckskünstler von den originalen Expressionisten unterscheidet. Der Glaube an eine schöpferische Menschengemeinschaft fehlt, die großen Allgefühle, die innere Notwendigkeit. Fast jeder kann so, aber auch anders.

Vom Umgang mit alter Bausubstanz haben Sie auch geschrieben. Ganz so alt sind die Bauten am Offenbachplatz noch nicht, die der Stadt im Pflichtenheft stehen. Den Aufruf von „Mut zur Kultur“ haben Sie nicht unterzeichnet. Wäre Ihnen der Neubau lieber gewesen?

Wolfgang Pehnt: Riphahns Schauspielhaus mit seinem unendlich langen Schlauch von Zuschauersaal hat mir nie gefallen. Das Opernhaus anfangs auch nicht, ich fand die Außenansicht viel zu wuchtig und auftrumpfend. Aber man sollte Bauten nicht nur erhalten, wenn man sie schön findet, sondern auch, wenn sie charakteristisch sind und einen Teil des kollektiven Gedächtnisses bilden. Auch hässliche Bauten können zur Identität einer Stadt beitragen. Das Opernhaus ist eine Ikone, die zum Stadtbild gehört. Und sein großer Saal mit den Schubladen-Logen ist fulminant.

Ändert Kritik langfristig etwas?

Wolfgang Pehnt: Manchmal ja, auch wenn es schwer nachzuweisen ist. Die Abkehr von den Totalsanierungen und dem Verkehrsfetischismus der fünfziger bis siebziger Jahre ging sicherlich auch auf die massive Kritik von Autoren wie Jane Jacobs, Alexander Mitscherlich, Wolf Jobst Siedler zurück. Aber im großen Monopoly der Immobilienhändler, der Bauindustrie, der Banker und Wirtschaftsentwickler sind wir Schreiber kleine, störende Randfiguren. Nur manchmal sind unsereinem bescheidene Erfolge vergönnt.

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Was zum Beispiel zählen Sie in Köln dazu?

Wolfgang Pehnt: Für den jetzigen Standort des Wallraf-Richartz-Museums in Nachbarschaft des Rathauses habe ich mich eingesetzt, als die großen Wortführer in der Stadt den Neubau noch um den Domchor wickeln wollten. Dass bei der Sanierung des Gürzenich einer der schönsten Räume der fünfziger Jahre, der Garderobensaal, erhalten blieb, darf ich mir zuschreiben. Der Lastenaufzug, der in ihn eingebrochen werden sollte, wurde nach außen gelegt. Allerdings hatte ich mir den gläsernen Außenturm, der so entstand, anders vorgestellt, als Stadtzeichen, filigran, als konstruktives Meisterwerk, und viel höher. Jetzt steht da halt ein simpler Lastenaufzug.

Sie wollen einen Kulturpfad durch Müngersdorf begründen. Worum geht es Ihnen dabei?

Wolfgang Pehnt: Ich möchte, dass man Architektur in ihren Qualitäten dort wahrnimmt, wo welche sind. Und auch die Lebensgeschichten, die mit ihr verbunden sind. In Müngersdorf gibt es eine größere Zahl von Bauten, die Aufmerksamkeit verdienten; aber natürlich auch in anderen Stadtteilen wie in der Marienburg. Köln war und ist eine Stadt bedeutender Architekten. Auch dem historischen Zentrum könnten solche Wege gut tun. Sie könnten die Nachbarschaft aufwerten und als städtebaulicher Impuls wirken. Deswegen habe ich vor ein paar Jahren die „Via Sacra“ ins Gespräch gebracht, ursprünglich eine Planungsidee von Rudolf Schwarz. Sie könnte von St. Severin zu St. Kunibert bzw. umgekehrt führen und das ganze weite, bogenförmige Areal zwischen römischer Kernstadt und staufischer Mauer erschließen.

„Den Ort suchen, den Ort setzen.“ – ein weiterer sprechender Titel, diesmal für Ihr Gespräch mit Günter Behnisch und Oswald Mathias Ungers. In Müngersdorf setzten mehrere Architekten sich selbst Orte: Ungers, Riphahn und Schwarz. Ist für Sie die Künstlerselbstbehausung ein besonderes Thema? Welchen Ort setzen Sie sich als Architekturkritiker und –historiker?

Wolfgang Pehnt: Das Thema Künstlerhaus ist dabei nur ein Aspekt, obwohl ein interessanter, wenn man etwa die Häuser Schwarz und Ungers vergleicht. Bei Schwarz, immerhin der Stadtplaner Kölns nach dem Kriege, ein bescheidener Flachbau aus Ziegelstein, bei Ungers fast eine kleine Stadt, international damals weithin beachtet. Das Schicksal dieser und anderer Häuser und ihrer Inhalte steht jetzt, in der ersten oder zweiten Generation nach ihren Erbauern, auf der Agenda. Manche müssen saniert werden, bei manchen steht Verkauf an. Nicht einmal Ehrengräber für die Künstler, die dort gewohnt haben, hat die Stadt übernommen.

Aber vielleicht meinten Sie meinen eigenen „gesetzten Ort“? Ich bewohne ein Haus, das in den frühen siebziger Jahren von einem bemerkenswerten Architekten gebaut wurde, Wolfgang Meisenheimer. Es ist klein, aber fast noch zu groß für mich – allerdings nicht für meine Büchersammlung. Ich wehre alle neuen Bücher ab, aber sie vermehren sich von selbst. Offensichtlich treiben sie es nachts miteinander. Am nächsten Morgen sind schon wieder neue da.

Mit Professor Dr. Pehnt sprach Ira Scheibe

Klicken und Hören

* Damit Sie die Antworten nicht nur lesen sondern auch hören können, haben wir einige Aussagen als O-Ton für Sie aufgezeichnet. Klicken Sie jeweils auf um die Aufnahme abzuspielen.

Die Ausstellung im DAM geht bis zum bis 25. September 2011 (Di, Do-Sa 11-18 Uhr, Mi 11-20 Uhr, So 11-19 Uhr). Das begleitende Buch trägt den Titel „Die Regel und die Ausnahme. Essays zu Bauen, Planen und Ähnlichem“ (Verlag Hatje Cantz) und kostet 35 Euro.

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Foto Magazinseite: DAM \\ © dpa Picture Alliance

 

Wolfgang Pehnt schreibt seit vier Jahrzehnten über Architektur, für die Fachleute ebenso wie für das interessierte Publikum, mit Stil und Sprachgefühl, verhaltener Ironie, großem Wissenshintergrund und nie nachlassender Neugier. Das DAM ehrt den Essayisten, Kritiker und Architekturhistoriker Wolfgang Pehnt anlässlich seines 80. Geburtstags mit einer Ausstellung. Gezeigt werden seine Bücher und Korrespondenzen mit bedeutenden Zeitgenossen sowie Sammlungsstücke und Zeichnungen zu Pehnts architekturgeschichtlichen Themen.

Vom 20. August bis 25. September 2011, DAM Frankfurt