Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Vision und Wirklichkeit

‚Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen‘ hat Helmut Schmidt dereinst gesagt. Würde man dem folgen, müssten alle Protagonisten der Videoinstallation ‚Tagfish‘ auf die Couch – auc…

„I would like to have all partners on one table“, sagt der Planungsdezernent der Stadt Essen, Hans-Jürgen Best in seinem Deutsche-Bahn-Englisch und gibt so das Motiv für die Videoinstallation „Tagfish“ der Antwerpener Performance-Gruppe „Berlin“ vor. Sieben Stühle stehen am Konferenztisch, an ihr kommen alle Partner zusammen. Alle Partner? Nein, ein Stuhl bleibt leer. Es ist der des Scheichs, auf den alle warten.

Die Millionen des Scheichs

Im Jahr 2006 kam Scheich Hani Yamani zu einer Besichtigung auf das Gelände der ehemaligen Zeche Zollverein – seitdem träumt man dort von den Millionen aus Saudi-Arabien. Ein Hotel und ein Gebäude für die Folkwang-Universität soll der Scheich auf Zollverein bauen. Doch passiert ist nicht viel, es gibt ein Bebauungskonzept, entwickelt vom Kölner Architekten Kaspar Kraemer und es fanden viele Gespräche und Verhandlungen mit einzelnen Beteiligten statt. Nur so richtig zusammen gekommen sind die Verhandlungspartner noch nicht.

Illusion einer Konferenz

Das übernimmt jetzt „Tagfish“. Bart Baele und Yves Degryse haben getrennte Interviews geführt, zum Beispiel mit Rolf Heyer, dem Geschäftsführer der LEG Stadtentwicklung, der das Gelände gehörte, mit dem Journalisten Wolfgang Kintscher oder eben mit Kaspar Kraemer. In ihrer Installation schaffen sie die Illusion einer Konferenz. Die Videos werden auf Flachbildschirmen in den hohen Lehnen der sechs Stühle eingespielt, dabei scheinen die Protagonisten aufeinander einzugehen, fallen sich sogar ins Wort. Und sie spinnen gemeinsam ihre Vision des Großprojektes: Eine Designstadt mit unterirdischem Luxushotel könnte es werden, wenn, ja wenn nur endlich die notwendigen Genehmigungen erteilt würden, wenn die Verträge unterschrieben werden könnten, wenn der Scheich käme, wenn die Gelder fließen würden.

Große Bauprojekte und kleine Fische

„Wie oft muss sich eine bestimmte Hoffnung nicht erfüllen, bis sie diese Hoffnung aufgeben?“ heißt es in der Performance. Sie geben nicht auf, sie reden immer weiter, nur läuft das Gespräch ins Leere, es wird niemals konkreter, weil nichts passiert. Man wartet gelähmt und stellt fest: „In dieser großen Verwirrung ist allein eine Sache klar: Wir warten auf den Scheich.“ Exemplarisch zeichnet diese kurzweilige, durchaus alberne aber auch sehr kluge Videoinstallation auf, wie Stadtentwicklungsprozesse oft ablaufen, welche Voraussetzungen es gibt und mit welchen Hürden die Protagonisten kämpfen. Über die Protagonisten macht sich das Stück auch zu einem guten Teil lustig, wie schon der Titel aufzeigt: „Tagfish“ nennt man einen Spieler beim Poker, der die Regeln beherrscht, sich aber allein darauf verlässt und sein Spiel nicht den Gegebenheiten anpasst, so dass er für seine aggressiveren Gegner eine leichte Beute ist. Nur sind die Regeln beim Poker dann doch andere als bei großen Bauprojekten.

Neue Entwicklungen

Inzwischen haben die Planungen die Produktion überholt, die für das Festival „Theater der Welt“ im Jahr 2010 entstand. Zumindest hat der nordrhein-westfälische Landtag dem Verkauf des Geländes Ende 2010 zugestimmt und im Juni wurden ein Miet- und ein Kaufvertrag unterzeichnet. Mitte Juli wollen Investor und Land der Öffentlichkeit den Projektrahmen vorstellen. Das alles ändert jedoch nichts an der universellen Darstellung von Planungsprozessen. Und: Es bietet Stoff für eine Fortsetzung. Vielleicht mit Scheich.

Vera Lisakowski

„Tagfish“ läuft im Rahmen des Theaterfestivals Impulse:

7. Juli 2011, 20 Uhr, Bochum, prinz regent theater

8. Juli 2011, 20 Uhr, Köln, studiobühne

9. Juli 2011, 15 Uhr und 20 Uhr, Köln, studiobühne

Weitere Informationen:

Informationen des Theaterfestivals Impulse zu „Tagfish“

Homepage der Performance-Gruppe „Berlin“

tagfish

Der Architekt Kaspar Kraemer; Thomas Rempen, Professor für Integriertes Kommunikationsdesign an der Folkwang Hochschule Essen und Rolf Heyer, Geschäftsführer der LEG Stadtentwicklung GmbH & Co. KG am Tisch der Videoinstallation ‚Tagfish‘.

Sechs Männer warten auf den Scheich – doch der kommt nicht.

Am 08. und 9. Juli ist die Videoinstallation ‚Tagfish‘ in der Kölner studiobühne zu sehen.