Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

„Der Raum hat beim Erzählen geholfen“

Der Maler, Bühnenbildner und Filmausstatter Henning von Gierke redete in der von BOS und Steelcase initiierten Veranstaltungsreihe WISSENS WERTE über sein Schaffen.

Die seit September 2009 laufende Veranstaltungsreihe soll Architekten und Planer kreative Impulse für ihre Arbeit bieten. Nach Gunter Henn mit der These „Architektur ist unsichtbar, aber denkbar“ und Dietrich Dörner über „Die Logik des Misslingens“ ging es diesmal um Bildkonzepte auf der Bühne, im Film und in der Malerei. Henning von Gierke hielt im Odeon mit Bildern, Filmausschnitten und Opernaufnahmen ein Rückblick auf sein Schaffen.

Der Abend begann allerdings etwas irritierend. Ein Lichtbildvortrag mit unbekleideten jungen Menschen, meist weiblich, auf Leinwand. Henning von Gierke klickte sich durch die Bilder und schien die Impulse von seinem Publikum zu erwarten. Schon schlich sich Einem etwas Bangigkeit ins Herz, hatten sich die mutigen Veranstalter diesmal etwas zu weit ins Interdisziplinäre hinaus gewagt?

Dann kamen die Impulse

Nach einer Reihe zeitloser Nackter war man dankbar für eine norwegische Landschaft, atmosphärisch durchaus getroffen. Wagner hatte sich für den „Fliegenden Holländer“ von nordischen Fjorden inspirieren lassen, und von Gierke wollte es ihm für das Bühnenbild zum Stück nachtun. Und hier nun sprang der Funke über: in 16 mal 14 Meter Format auf die Bühne gebeamt und in der am Boden ausgelegten Glanzfolie gespiegelt wurde aus dem braven Leinwandstück eine hochdramatische Handlungskulisse für die Wagner-Oper.

„Jeder für sich und Gott gegen alle“ hieß der Kaspar-Hauser-Film von Werner Herzog von 1974. Von Gierke war damals in seinen Zwanzigern und kam mehr aus Zufall an den Auftrag, den Film auszustatten – auf die Idee, dass man dafür auch ein Honorar fordern könnte, ist er nicht gekommen. Immerhin den Bundesfilmpreis in Gold hat er dann doch noch ein Jahr später für seine Arbeit eingeheimst.

Filmset war das Biedermeier-Haus eines Zahnarztes, das von Gierke nicht einfach als Kulisse behandelte, vielmehr schuf er von den Wandfarben über Möbel und Dekor bis zu eigentlich unsichtbaren Details wie die Zeitung von Annodazumal in der Tischschublade eine Rundum-Illusion von Biedermeier. Ja, er reiste sogar im Jahr zuvor an, um eigenhändig den Garten umzugraben und mit biedermeierlichen Gemüse- und Blumensorten zu bepflanzen. Den Mitwirkenden steckte er Steine in die Hosentaschen, die Kaspar Hauser selbst auch aufgesammelt hätte, um seine Geschichte für sie spürbarer zu machen. Ein Drehbuch klassischer Machart gab es nicht, Herzog setzte sich jeden Morgen in die Räume uns schrieb die Dialoge: „Der Raum hat beim Erzählen geholfen, so wie die Steine in seine Hosentaschen.“

Von Patina, Isabelle Adjani und dem Twinkeln

So fing es an. Burg Pernstejn in Mähren wählte von Gierke für Herzogs Nosferatu aus, weil ihr heruntergekommener Zustand sich prachtvoll als Schauplatz für den Vampirfilm eignete. Was für eine Enttäuschung, dass die Tschechoslowakei sich ihres nationalen Heiligtums besonnen und den Komplex pünktlich zum Drehbeginn ohne Kosten zu scheuen generalsaniert hatte! Die schöne Patina! Das aufdringliche neue Weiß wurde nun bis in zwei Meter Höhe mit Dreckpulver wieder in den vorherigen Zustand zurückversetzt, nur die Decken blieben sauber.

Man hätte noch lange zuhören mögen, wie Kinski sich an die falschen Körperteile der schönen Isabelle Adjani verirrte oder wie ein simpler Schwimmstöpsel verhinderte, dass das Gurgelgeräusch des ablaufenden Wassers die Elsa-Arie im Bayreuther Lohengrin ruinierte oder wie man die Sterne über der Königin der Nacht nicht nur zum Leuchten, sondern zum „Twinkeln“ bringt, damit sie echt wirken.

Auf den von Gierke gestalteten Bühnen schwappt echtes Wasser, die Säulen sehen auch von hinten für die Schauspieler genau so aus wie von vorn für den Zuschauer und Fitzcarraldos Schiff war kein Studiomodell, sondern wurde in Schlamm und Schweiß einen echten peruanischen Hügel hochgezogen. Von Gierke schafft für die Bühne und den Film nicht einfach nur Bilder, sondern Räume, die Organismen mit einem Eigenleben sind und von sich aus kreative Prozesse in den in ihnen agierenden Personen auslösen. Wie gerne würde man das auch von seinem eigenen Arbeitsplatz behaupten. Leider hat aber nun mal nicht jeder Architekt und Büroraumausstatter einen Film- und Bühnenkünstler an seiner Seite, dank des Vortrags nun aber zumindest einen Eindruck von dessen Arbeit.

Ira Scheibe

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Drei Jahre dauerten die Dreharbeiten von Werner Herzogs Film ‚Fitzcarraldo‘, hier Klaus Kinski in der Titelrolle auf von Gierkes Schiff im Amazonas.

Foto: Eric Schneider, BOS

Im Odeon gab Henning von Gierke mit Bildern, Filmausschnitten und Opernaufnahmen einen Einblick in sein Schaffen.

Foto: Eric Schneider, BOS

1 Kommentar

Ein etwas schwieriger Anfang, der wundervoll in
Szenarien endete.
Weiter so – Vorträge ohne unseren Alltag