Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Blick in die Zukunft – Teil II

Der zweite Tag der ‚Steelcase Conference‘ bot Vorträge des Autodesigners Chris Bangle, des Hirnforschers Joachim Bauer und des Professors für Technologie- und Innovationsmanageme…

Der zweite Tag der „Steelcase Conference“ bot Vorträge des Autodesigners Chris Bangle, des Hirnforschers Joachim Bauer und des Professors für Technologie- und Innovationsmanagement Frank Piller.

Auch der zweite Tag der „Steelcase Conference“ beginnt mit Gedankenspielen zur Zukunft die in einem Postgraduiertenprogramm entwickelt wurden, am MIT in Cambridge. „PiNk!“ heißt das „Lebensänderungsprogramm“ das der Autodesigner Chris Bangle vorstellt. Zunächst aber behandelt er die Grundlagen des Designprozesses. Für ihn besteht er aus „Muss“, „Kann“, „Wollen“ und „Sollte“. „Muss“ sei dabei die Grundlage, für die niemand bezahle, weil der Kunde sie erwarte. „Kann“ sei alles, was theoretisch möglich sei, wobei man nicht alles machen müsse, was man auch könne. „Wollen“ bezeichne das, was der Designer gerne möchte – „ein bisschen davon ist OK“, führt er dazu aus. Das Wichtigste aber sei „Sollte“, das was die Leute wirklich wollen, wofür sie bereit seien, Geld auszugeben. Die oft gehörten Gegenargumente hat Bangle sofort parat: „Das hab ich noch nie vorher gesehen“, „das wird nicht funktionieren“ oder „das ist nicht unsere Marke“. Ihnen hält er entgegen: „Man gestaltet die Welt von der Konzeptseite, nicht von der Dogma-Seite.“ Nur so komme man zu Entwürfen, wie das von ihm entwickelte Konzeptfahrzeug „Gina“, dessen Karosse aus Stoff besteht. Ähnlich utopisch, aber weit weniger konkret, sind die Inhalte von „PiNk!“: Der Grundgedanke des Projektes ist es, die Dinge, die in der digitalen Welt normal sind, in die reale Welt zu übersetzen, alles soll mit allem kommunizieren können und alles kann sich ändern. Letzter Schritt soll dabei „Materialität on Demand“ sein, so wie man im in der virtuellen Welt auch alle Informationen sofort bekommt, wenn man sie nur abruft. „Meinen Studenten erschien das absolut plausibel“, erzählt Bangle, „sie denken, dass die Welt so werden wird.“

Botenstoffe für die Zusammenarbeit

Deutlich konkreter wird Joachim Bauer in seinem Vortrag – wenngleich er ein überaus abstraktes Thema behandelt: Der Hirnforscher erläutert, welche Ereignisse welche chemischen Prozesse in unserem Gehirn auslösen und wie sich diese dann auf unser Verhalten auswirken. Dabei gelingt es ihm, die Bedeutung für Arbeitsprozesse aufzuzeigen – und mindestens so unterhaltsam wie Eckart von Hirschhausen zu sein. Zunächst erläutert Bauer dass die Motivation ein eigenes Nervenzellensystem mit drei Botenstoffen habe: Dopamin, Opioide und Oxytocin. Die Opioide sorgen dabei für Wohlgefühl und das Dopamin für Energie. „Die Wissenschaft hat also gezeigt, dass Energie und Wohlgefühl zusammenhängen“, erläutert Bauer, „auch wenn es eine kleine Region gibt, die Schwaben heißt, wo es zum guten Ton gehört, dass man zeigt wie man leidet, wenn man arbeitet.“ Das Oxytocin sei für Vertrauen zuständig: Experimente mit anvertrautem Geld hätten gezeigt, dass wenn einem vertraut wird, mehr Oxytocin ausgeschüttet werde und man dann auch selbst mehr Vertrauen habe. „Das ist der Grund, warum Finanzwissenschaftler großes Interesse an dem Molekül haben“, schiebt er nicht ganz ernst gemeint ein.

Sport und Musik lösen körpereigene Motivationssysteme aus, genauso wie Anerkennung. Und wenn im Büro Mitarbeiter nicht genügend Beachtung erfahren, geschehe das genaue Gegenteil: Es würden die gleichen Hirnareale wie bei Schmerz aktiviert, Stresssysteme ausgelöst, was zu Angst, Aggression und Depression führen könne. Ausführlich erläutert Bauer den Trierer Stresstest, mit dem Stress gemessen wird. Die Probanden müssen dabei nach kurzer Vorbereitung einen Vortrag halten. Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern. „Frauen sind stressresistenter, aber das wissen alle, die mal mit Frauen zusammengearbeitet haben“, erläutert Bauer. Interessant sei aber, was passiert, wenn die Forscher versuchen, den Stress zu mindern, indem sie den Versuch vom jeweiligen Partner der Probanden begleiten lassen: Während sich der Stress der Männer bei Begleitung durch die Ehefrau in etwa halbieren lässt, verdoppelt sich der Stress der Frauen, wenn ihre Männer dabei sind. „Unser Job ist es eben nicht, andere zu unterstützen“, kommentiert der Wissenschaftler lakonisch die Verhaltensweise seiner Geschlechtsgenossen, „sondern ihnen zu sagen, egal wie gut sie es machen, dass es noch nicht gut genug ist.“

Stresstest 2.0

Vom Stresstest 2.0, den er nun absolvieren müsse, spricht der letzte Vortragende der „Steelcase Conference“, Frank Piller: „Nach zwei mitreißenden Vorträgen, mit Zeitverzögerung – und Alkohol gibt es erst nach meinem Vortrag“, knüpft er an Joachim Bauer an. Diesen Stresstest 2.0 absolviert der Professor für Technologie- und Innovationsmanagement an der RWTH Aachen mit Bravour, wird sogar am Ende seines Vortrages zu einer „Zugabe“ animiert. Piller spricht über Open Innovation, was für ihn „keine Methode, sondern eine Geisteshaltung“ ist. Zwei Probleme sieht er beim Hervorbringen neuer Ideen: Die Information über Kundenbedürfnisse – immerhin scheitern im Konsumgüterbereich 50 Prozent aller neu eingeführten Produkte, im Supermarkt sogar 90 Prozent – und dass man in eigenen Paradigmen verfangen sei. An genau diesen beiden Problemen setzt Open Innovation an, wo eine Community die Neuerungen entwickelt. Für diese Vorgehensweise gebe es schon einige Beispiele. Sehr erfolgreich ist Threadless, eine Community, deren Mitglieder online T-Shirt-Entwürfe einreichen. Nach einer Abstimmung werden die besten Designs gedruckt – und gekauft. Die Mitglieder sind durchschnittlich zwölf Monate in der Community und kaufen in dieser Zeit elf T-Shirts. Was aber noch erstaunlicher ist: 25 Prozent der Personen, die ein Design einreichen sind professionelle Designer und Threadless hat sich zur wichtigsten Website in den USA entwickelt, um Designtalente zu finden. Das sei nicht verwunderlich, erklärt Piller, denn wenn man beim Crowdsourcing ein Problem in die Welt hinausschreie würden sich zwei Personengruppen melden, einerseits die Experten und andererseits die Personen, die mit besonders viel Elan an die Sache gingen.

Andere Plattformen machen sich zusätzlich noch Interdisziplinarität zunutze. Auf Innocentive werden Forschungsprobleme aus verschiedenen Wissensgebieten ausgeschrieben. Wer sie erfolgreich löst, erhält eine Belohnung, die auch schon mal 50.000 Dollar betragen kann. Die Firmen lösen so 30 Prozent der Probleme, die vorher intern nicht gelöst wurden. Auf die Anfragen kommen durchschnittlich zehn Lösungsvorschläge, die in der erstaunlich kurzen Zeit von im Schnitt 74 Stunden erarbeitet wurden. Das läge daran, dass die Lösung zumeist schon bekannt war, nur eben nicht in dem Bereich, in dem das ausschreibende Unternehmen selbst forsche, erklärt Piller. Er zeigt aber auch die Probleme auf, die Open Innovation mit sich bringt. Grundsätzlich müsse sich jede Firma überlegen, welche Probleme sie auf diese Weise auslagern möchte, denn „immer wenn man etwas mit der Community teilt, teilt man es auch mit der Konkurrenz“. Auch wie man die Community bei der Stange hält und was der Anreiz sein kann, um überhaupt mitzumachen müsse gründlich überlegt werden, eventuell könne dies auch über ein System der Gewinnbeteiligung gehen. Besonders wichtig sei aber, die Resonanz richtig zu kalkulieren, denn die Ergebnisse müssen ausgewertet werden und wer eine Idee liefert könne keinesfalls mit einer Standard-E-Mail abgespeist werden. „Aber selbst wenn man keine guten Ideen bekommt“, hebt Frank Piller noch einen wichtigen Aspekt hervor, „ist es immer ein super Marketing.“

Vera Lisakowski

Homepage der Firma Steelcase

Homepage der Firma Arup

Informationen über Patricia Urquiola bei Wikipedia

Informationen zum Metropolitan Imprints Project

Homepage von Chris Bangle

Homepage von Joachim Bauer

Homepage von Frank Piller

Veranstaltungsort der Steelcase Conference 2010: Ein Eventschiff.

Der Autodesigner Chris Bangle.

steelcase 2010 gina

Das Konzeptfahrzeug Gina ist mit Stoff bespannt.

Rechte: BMW AG

steelcase 2010 innen 1

Die Vorträge locken auch am zweiten Tag viele Zuhörer.

steelcase 2010 piller

Frank Piller spricht zu Open Innovation.