Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Blick in die Zukunft

Am ersten Tag der ‚Steelcase Conference‘ sprachen der Technik- und Design-Berater Chris Luebkeman, die Designerin Patricia Urquiola und der Architekt Dietmar Leyk über ihre zukun…

Eine lange Menschenschlange bildet sich vor dem kleinen Zelt am Rheinufer direkt an der Messe. Und beim Blick auf das dort anlegende Schiff fragt sich der in Schiffsdimensionen ungeübte Architekt, wie wohl die 600 angemeldeten Gäste darauf Platz finden sollen. Von der großen Zahl der Anmeldungen überrascht, haben die Organisatoren die diesjährige „Steelcase Conference“ am 27. und 28. Oktober kurzerhand auf das Eventschiff verlegt, das eigentlich nur für die Abendveranstaltung vorgesehen war. Doch auch auf dem Schiff ist das Gedränge so groß, dass die Vorträge erst mit einer halbstündigen Verspätung beginnen können. Das Warten aber lohnt, drei internationale Vordenker beleuchten den globalen Wandel, denken über die Zukunft nach und zeigen auf, welche Konsequenzen sie für sich daraus ziehen.

Wandel global

Direkt aus China reist der Amerikaner Chris Luebkeman an, der das Publikum zunächst auf Schweizerdeutsch begrüßt. So global setzt sich sein Vortrag fort, mit Fotos aus aller Welt und zahlreichen Anekdoten, denn Luebkeman ist Leiter des Teams für Global Foresight & Innovation bei Arup, einem Unternehmen für Technik- und Design-Beratung. Deshalb ist er 50 Prozent seiner Zeit unterwegs. Auf seinen Reisen sammelt er Ideen und Beispiele für Innovationen und dokumentiert so, wie sich die Welt verändert. Seine drei Grundthesen sind dabei: „Der Wandel ist konstant“, „Zukunft ist Fiktion“ und „Partizipation verändert die Welt“.

In einem mitreißenden Feuerwerk von Vortrag zeigt er die Varianten des Wandels. In Schanghai hat er gerade in einem Hotel übernachtet, das vor zwei Jahren noch nicht gebaut war und auf eine Stadt voller Hochhäuser geblickt, die so vor 25 Jahren noch nicht existierte, Giraffen in Tansania gehen jetzt auf von Menschen gebauten Straßen und im Nordatlantik brechen Eisflächen aufgrund des Klimawandels auf. Um diesen Wandel zu sehen, müsse man aber zunächst definieren, was „normal“ sei – oder vielmehr, wie Luebkeman, feststellen, dass „es so etwas wie Normalität gar nicht gibt.“ Für seinen Sohn zum Beispiel sei es völlig normal, dass Luebkeman selten da ist, sie aber dafür jederzeit über Skype in Kontakt stehen können. Luebkemans Vater hingegen war immer da, begann sogar extra jeden Tag so früh mit der Arbeit, dass er den Nachmittag mit den Kindern verbringen konnte. Wie zwischen den Generationen gibt es solche Unterschiede auch weltweit. Als Beispiel führt Luebkeman die Mobilität an. So beschäftige seine Firma in Simbabwe wegen der Benzinknappheit und der langen Schlangen an den Tankstellen eigens zwei Angestellte zum Tanken. In Venedig hingegen bewege man sich fast ausschließlich mit Booten fort, in Amsterdam seien Fahrräder sehr populär – und in vielen Städten der USA stehe man mit dem Auto permanent im Stau.

Was also normal ist, kann auch Luebkeman nicht beantworten. Vielmehr kommt er zu dem Schluss: „Wandel ist das neue Normal“. Und er ist sich sicher: „Partizipation verändert die Welt!“ So hat eine blinde Frau in Melbourne ihrem Blindenhund eine Plastiktüte umgebunden, weil sie, wie alle anderen, seine Hinterlassenschaften beseitigen möchte. Als Gegenbeispiel zeigt Luebkeman ein Foto eines Mülleimers in London, der laut Beschriftung ausschließlich für Zeitungen sein soll, in den jedoch alles Mögliche hineingeworfen wurde. Am Ende des Vortrags ruft Luebkeman noch dazu auf, einmal innezuhalten und zu reflektieren – mit einem Zitat aus „Pu der Bär“: „Hier kommt nun Eduard Bär die Treppe herunter, rumpel-di-pumpel, auf dem Hinterkopf, hinter Christopher Robin. Es ist dies, soweit er weiß, die einzige Art, treppab zu gehen, aber manchmal hat er das Gefühl, als gäbe es in Wirklichkeit noch eine andere Art, wenn er nur mal einen Augenblick lang mit dem Gerumpel aufhören und darüber nachdenken könnte.“

Visionärer Eigensinn

Zum Innehalten allerdings ist auch der nächste Vortrag nicht geeignet. Die in Mailand lebende Spanierin Patricia Urquiola ist ausgebildete Architektin und hat ein international erfolgreiches Designstudio. Auch die leichte Seekrankheit, die sie – wie sie zu Beginn gesteht – auf dem Eventschiff befallen hat, bremst ihre typisch spanische Sprechgeschwindigkeit nicht. „Meine Arbeit ist, ein Ambiente zu schaffen“, erzählt sie zu einem Hotelprojekt in Puerto Rico. Für die Inneneinrichtung hat sie vor Ort produzierte Gegenstände mit Designerstücken gemischt und auch einige Stücke entwickelt, die danach auf den Markt gebracht wurden. Außerdem gab sie ihrem Team Anweisung, alle alten Materialien weiterzuverwenden, die ihr gefielen. So wurden aus den alten Dielenbrettern die Eingangstür und die Rezeption des Hotels, schlicht und intim. „Ich mag diese großen Hotellobbys nicht, die toll aussehen und dann kommt alles aus China“, bekennt sie. Nach dieser Prämisse hat sie auch das Luxushotel Mandarin Oriental in Barcelona eingerichtet, in das jeder kommen kann und das viele abgetrennte Bereiche bietet. „Ich zeige Luxus so, wie ich ihn mir vorstelle“, sagt sie über das Projekt – wie sie überhaupt bei ihren Auftraggebern immer durchzusetzen scheint, dass sie machen kann, was sie möchte. So entwarf sie eine Innenraumstudie für einen BMW oder ein Bühnenbild für die Barockoper „Die Krönung der Poppea“ wo man ihr jeweils freie Hand gelassen hat. „Ich arbeite schon gerne mit meinen Auftraggebern zusammen“, erläutert sie die Grundlage ihrer Arbeit, „aber sie müssen den Designer respektieren.“

Wohnen und Arbeiten der Zukunft

Der Architekt Dietmar Leyk hat es schwer mit seinem letzten Vortrag des ersten Tages. Die Konzentration der Zuhörer lässt merklich nach und aufgrund der Zeitverzögerung treffen bereits Gäste der Abendveranstaltung ein. Leyk leitet das von Steelcase unterstützte „Metropolitan Imprints Project“ in Berlin. Es knüpft inhaltlich an Chris Luebkemans These vom ständigen Wandel an: Das Leben hat sich gewandelt, unsere Tage sind nicht mehr strikt aufgeteilt in Arbeit und Freizeit, wir sind mobil, müssen lange Wege zur Arbeitsstelle zurücklegen oder arbeiten auch schon mal für Monate an einem ganz anderen Ort. Dieser Entwicklung sollte auch die Stadtplanung Rechnung tragen, in der aber, wie Leyk sagt, in solch großen Dimensionen nicht mehr gedacht werde. In dem Postgraduiertenprogramm des Berlage Instituts entwickeln die Teilnehmer verschiedene zukunftstaugliche Entwürfe für ein großes Berliner Grundstück. Ihnen allen ist gemein, dass sie Wohnen und Arbeiten auf äußerst flexible Weise zusammenführen. Es gibt Arbeitsräume, in die man sich auf Zeit einmieten kann, nur für eine Besprechung oder auch für ein ganzes Projekt. Teilweise sollen sie sogar so variabel organisiert werden, dass sich der Nutzer jeden Tag oder alle paar Stunden eine andere Arbeitsumgebung aussuchen kann. Auch die geplanten Wohnungen sollen sich durch Wachsen und Schrumpfen den unterschiedlichen Nutzergruppen anpassen können. Nicht zuletzt entspricht auch die direkte Umgebung den heutigen Anforderungen von Personen, die nicht mehr körperlich arbeiten: Sport kann im Park oder sogar Schwimmbad direkt neben dem Arbeitsplatz getrieben werden.

Vera Lisakowski

Der zweite Tag der „Steelcase Conference“ bot Vorträge des Autodesigners Chris Bangle, des Hirnforschers Joachim Bauer und des Professors für Technologie- und Innovationsmanagement Frank Piller.

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Die Steelcase Conference 2010 fand auf einem Eventschiff statt.

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Der erste Sprecher: Chris Luebkeman.

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Rund 600 Gäste interessieren sich für die Vorträge.

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Die spanische Designerin Patricia Urquiola.

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Rezeption des von Patricia Urquiola entworfenen Hotels in Puerto Rico.

Rechte: Patricia Urquiola

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Die Design-Installation ‚The Dwelling Lab‘ zu einem BMW-Innenraum.

Rechte: BMW AG

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Am Abend findet eine Party auf dem Eventschiff statt.