Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Die Planer und der Hippokratische Eid

Der Kongress Stadt:Mensch:Heimat des Ministeriums für Bauen und Verkehr des Landes NRW diskutierte am 25. Januar 2010 die Zukunft unserer Städte.

Vor neun Jahren fand der letzte NRW-Städtebaukongress in Essen statt. „Stadt Machen!“ hieß es damals sehr resolut. Am 25. Januar tagten rund 500 Städtebauer und Politiker im Bundeshaus Bonn. Der Titel Stadt:Mensch:Heimat kündigt davon, dass man sich vom Aktionismus verabschiedet hat, um die Zukunft unserer Städte nun nach humanistischer Weltanschauung zu gestalten.

Der Kongress, dessen Organisation der StadtBauKultur NRW oblag, reagierte auf die zunehmend komplexeren Anforderungen im Städtebau mit einem interdisziplinären Dialog aus Wissenschaft und Praxis. Stadt:Machen war hier neben Stadt:Baukultur, Stadt:Klima und Stadt:Leben nur noch einer von vier Themenblöcken der Veranstaltung.

Stadt:Klima

Der Verfahrenstechniker Michael Narodoslawsky von der TU Graz machte in seinem Vortrag deutlich, dass Städte als Klima-Hotspots zwar bei weitem zuviel CO2 ausstoßen, als Lebensraum des modernen Menschen allerdings unverzichtbar seien. Nachhaltigkeit bedeute für ihn nicht weg mit den Städten!, sondern die Übernahme neuer Funktion und die Nutzung eigener Ressourcen wie Hausmüll oder Altpapier oder der reichlich vorhandenen Sonnenenergie durch die Städte. Die Wissenschaft, so zeigte es die anschließende Diskussion, ist hier der Politik viele Schritte voraus, denn nur ein Bruchteil dessen, was wissenschaftlich belegbar und technisch möglich ist, ist auch in der Praxis durchführbar. Möchte eine Stadt weg von der ineffizienten Energiespeicherung, setzt dies das Vorhandensein intelligenter Stromnetze und neuer Technik voraus, unabdingbar verbunden mit der Bereitschaft der Bürger ihren Lebensstil dem nachhaltigen Umgang mit Ressourcen anzupassen. Viele städtische Haushalte erlauben jedoch keine Investitionen, auch nicht in den Klimaschutz.

Doch einzelne in der Diskussionsrunde vorgestellte Projekte zeugen, dass es Möglichkeiten zum Handeln gibt: 2009 wurde in NRW das Netzwerk Klimakommune gegründet um Handlungskonzepte zum Klimaschutz zu entwickeln und in Münster schließt jeder einzelne mit der Stadt den Bürgerpakt zum Klimaschutz ab. Abschließend zur Klimarunde wurde noch einmal nachdrücklich gefordert, dass die Städte und Kommunen zukünftig auch im Klimaschutz (und nicht nur in der Wirtschaftsförderung) regional denken und funktionale Netzwerke bilden müssen – Köln könne ohne das Umland nie Null-Emissionsstadt werden.

Stadt:Baukultur

Ob die Stadt:Baukultur zu einem Luxusgut geworden sei, beantwortete Volkwin Marg als Referent mit der Erinnerung an die kulturelle Nachhaltigkeit unseres Tuns. Konservativ, bewahrend und tradiert sei die Baukultur, doch der Wissenszuwachs und die Umsetzung in Technik ständen ihr dynamisch und kaum aufzuhalten gegenüber. Nun gehe es darum, in ständiger Rückkopplung der Zukunft eine Stadtlandschaft zu schaffen und diese als einen manifesten Kompromiss unserer kulturellen Demokratie zu erkennen. Und weil es ein demokratischer Prozess sei, gebe es die andauernde Möglichkeit zur Selbstkorrektur. In der anschließenden Runde beherrschte ein unaufgeregter Konsens das Gespräch. Ja, die Baukultur brauche eine stärkere Lobby, und müsse sich gleichermaßen mit Tradition und Fortschritt auseinandersetzen.

Stadt:Machen

Claus Leggewie, der Leiter des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen forderte in seinem Vortrag zum Themenblock Stadt:Machen eine soziale Agenda für die Stadtplanung und einen „Hippokratischen Eid“ für Planer auf Nachhaltigkeit.

Konkret forderte er, die Pfadabhängigkeit von Stadtplanung und Wachstumsdenken aufzulösen und dichter, experimentell und ephemer zu bauen – stilistische Fragen sollten dabei erstmal in den Hintergrund treten. So nonchalant kann das aber nur ein Kulturwissenschaftler fordern. Durch Leggewies Thesen angestoßen, wurde in der anschießenden Debatte die Frage nach dem richtigen Maß an Demokratie im Städtebau zum Reibungspunkt.

Stadt:Leben

Walter Siebel von der Universität Oldenburg griff in seinem Beitrag zum Themenblock Stadt:Leben das Stichwort Heimat auf. Klaus Töpfer hatte Heimat zu Beginn des Kongresses als ein Widerlager zur Globalisierung bewertet. Siebel sieht Heimat als eine Funktion von Stadt neben der Funktion der Stadt als Maschine. Die Stadt als Heimat biete Identität und Vertrautheit, die Stadt als Maschine ermögliche den Bewohnern ein berufszentriertes Leben, indem, sie ein dienstleistungsorientiertes System biete, das den einzelnen von Arbeit und Verantwortung entlaste. Stadtkultur ist für den Soziologen Siebel ein Zustand der Differenz in zwei Erscheinungsformen: Mosaik und Verinselung. Als Mosaik bezeichnet er das positive Nebeneinander verschiedener kleiner Lebenswelten, auch ethnischer Kolonien. Den Zustand der Verinselung dagegen bewertet er als das negative Szenario als Folge einer erzwungenen oder passiven Segregation. Siebel gab zu, dass Urbanität anstrengend sei, da die Stadt einen ständig mit Spannungssituationen konfrontiere: Trotz der großen physischen Nähe gebe es eine große soziale Distanz, Geschichte und Gegenwart ringen miteinander genau wie Anonymität mit Heimat und Ordnung mit Chaos. Seinem Fazit Urbanität könne man nicht planen, folgte der Aufruf der Urbanität Raum zur Entwicklung zu lassen.

Doch die Zeichen stehen keineswegs auf Entspannung für die Städtebauer. Denn der interdisziplinäre Diskurs über die Zukunft unsere Städte zeigte den enormen Bedarf neuer Netzwerke in der Stadt- und Regionalplanung auf. Erst wenn diese geknüpft sind, kann die Arbeit im Sinne der Nachhaltigkeit wieder aufgenommen werden.

Uta Winterhager

Weiterführende links:

Zur Internetseite der StadtBauKultur/Stadt:Mensch:Heimat

Am 25. Januar fand der Kongress Stadt:Mensch:Heimat im Bundeshaus Bonn statt

Foto: StadtBauKultur NRW

Hartmud Miksch, Sabine Süß, Karl Jasper und Mathias Heyden diskutierten im Themenblock Stadt:Leben

Foto: StadtBauKultur NRW

Volkwin Marg referierte über das Luxusgut Baukultur

Foto: StadtBauKultur NRW