Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Mit der Kamera am Gartenzaun

Nachbarn sind da. Niemand kann sie sich aussuchen. Was also ist Nachbarschaft? Ein Podiumsgespräch zur Vorstellung eines Bildbandes widmete sich dem spannenden Thema.

„Du sollst nicht lärmen“, zitiert der Literaturkritiker Denis Scheck „Das Elfte Gebot“ des Lyrikers Robert Gernhardt. So beschreibt er das Verhältnis zu seinen Nachbarn – und konkretisiert: „Ich mag sie nicht sehen, ich mag sie nicht riechen, aber vor allen Dingen mag ich sie nicht hören.“ Das ist sehr ehrlich, aber eben auch sehr unhöflich. Seine Nachbarn muss man doch mögen, oder?

Nachbar mit der Kamera

Scheck äußert sich in einem Interview für den Bildband „Nachbarschaft“, herausgegeben von der Deutschen Reihenhaus AG, der sich dem Thema in einer interessanten Herangehensweise nähert: Der Fotograf Andreas Herzau hat sich für drei Monate in einer neu errichteten Reihenhaussiedlung in Kaiserslautern einquartiert und seine Nachbarn auf Zeit fotografiert. „Ich habe mich vorgestellt und vorher grundsätzlich gefragt, ob ich fotografieren darf“, beschreibt Herzau seine Vorgehensweise, „es sind keine Glanzfotos, aber die Menschen haben sich wohlgefühlt.“ Zu sehen sind Schnappschüsse von spielenden Kindern, grillenden Männern und Frauen am Gartenzaun, genau wie es das Klischee will. Die Bilder sind ungewöhnlich, aber nicht schön, wirken wie aus einem Familienalbum – allerdings von Menschen die man nicht kennt. Als Bildband bringt das Buch keinen Mehrwert, doch es kann anregen, darüber nachzudenken, was Nachbarschaft eigentlich ist. Ein Thema, das auch das knappe Podiumsgespräch zur Buchvorstellung beleuchten will.

Aufmerksam oder neugierig?

„Der Auftrag war einfach: Welche Leute ziehen neben mir ein? Gesehen habe ich die Bilder erst, nachdem es komplett fertig war“, erzählt Daniel Arnold, Vorstand der Deutschen Reihenhaus, der gerade selbst vom Reihenhaus in eine Stadtwohnung zieht. Der Löwenzahn in seinem Garten, über den sich die Nachbarn beschwert haben, sei aber nicht der Grund dafür. Vielmehr wolle er zentraler in der Stadt wohnen. Und negative wie positive Erfahrungen mit der Nachbarschaft gibt es in der Stadt sicher genauso wie auf dem Land. „Nachbarschaft ist die ständige Suche zwischen Hinsehen und Wegsehen, zwischen Nähe und Distanz“, analysiert die Kulturjournalistin Christiane Florin, die einen lesenswerten Essay für das Buch verfasst hat, „dabei ist allerdings die Grenze zur Denunziation schnell überschritten.“

Interesse am Umfeld

Diese Gratwanderung thematisieren alle Beteiligten des Gespräches und interpretieren sie jeweils auf ihre eigene Weise. Der Kölner Baudezernent Bernd Streitberger, wohnhaft in einer rechtsrheinischen Doppelhaushälfte, sieht „das größte Problem darin, dass sich niemand mehr für nichts interessiert.“ Eine rein bauliche Lösung, für die er sich anscheinend verantwortlich fühlt, bringe allerdings nicht das gewünschte Ergebnis, sie müsse noch mit anderen Maßnahmen verbunden werden. Während Streitberger hiermit sicherlich soziale Projekte meint, sieht Daniel Arnold berufsbedingt eine andere Lösung: Die Förderung von Wohneigentum. „Es ist ein großer Unterschied, ob jemand Eigentum hat oder zur Miete wohnt“, sagt Arnold, „jemand der Eigentum hat, hat ein Interesse am Umfeld.“

Das moderne Dorf

Die Reihenhaussiedlung scheint hier die Ideallösung zu sein. Mit Grillplätzen und Tischtennisplatten können bauliche Lösungen zur Gemeinschaftsbildung geschaffen werden. „Es hat etwas von der Verbindlichkeit des Dorfes, man wird gesehen“, stellt Fotograf Herzau fest, „in der Siedlung in Kaiserslautern war der Wunsch nach Nachbarschaft da.“ Auch Christiane Florin, die in einem Bonner Vorort zwischen einem Mehrfamilienhaus und einem Mädchenwohnheim wohnt und ihre Nachbarn kaum kennt, entdeckt sozialen Mehrwert: „Es gibt ja die allgemeine Tendenz, dass die Haustür zu einer richtigen Schwelle geworden ist, man schaut nicht mehr so einfach vorbei. Da ist die Reihenhaussiedlung noch eher wie früher.“ So richtig und veranstalterkonform dieser Schluss ist, insgesamt hätte das Podiumsgespräch tiefer gehen können. Die Idee, über Nachbarschaft nachzudenken, war spannend.

So bleibt als Kurzzusammenfassung des Themas der allgemeingültige Satz des Fotografen Andreas Herzau hängen: „Probleme bekommt man ja nur, weil jemandem langweilig ist, weil die Leute nichts Besseres zu tun haben.“ Und wie auch Denis Scheck sicher weiß, konnte selbst Robert Gernhardt der Nachbarschaft dann durchaus positive Aspekte abgewinnen. Man lese nur „Sorge dich nicht, borge“.

Vera Lisakowski

In deutschen Reihenhäusern

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Nachbarn in einer Reihenhaussiedlung in Kaiserslautern. Fotos aus dem Bildband ‚Nachbarschaft‘, herausgegeben von Daniel Arnold, Deutsche Reihenhaus.

Foto: Andreas Herzau

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Foto: Andreas Herzau

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Foto: Andreas Herzau

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Foto: Andreas Herzau

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Foto: Andreas Herzau