Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Von Giebelhäusern und Hobbits

Baustile im Stadtbild, Folge 12: die kleinteilige Struktur der 70er-Jahre-Architektur.

Die Architektur der 70er-Jahre hat noch immer einen schweren Stand. Flower Power schaffte es zwar in die Inneneinrichtung, im Bauwesen überwog eine beton- und metalllastige Sperrigkeit, die man sich heute zumeist wegwünscht. Doch gerade im Wohnbau entstand auch Wohlfühlarchitektur. In den 60er-Jahren hatte das Architektenpaar Joachim und Magret Schürmann bereits den Wiederaufbau von Groß St. Martin geleitet.

In den 70ern machten sich die beiden an die Rekonstruktion der Bebauung rund um die Kirche. Sie entwarfen drei zu einem U angeordnete Flügel, die dem Verlauf des ehemaligen Kreuzgangs der Martinsabtei folgten. Sechsgeschossige Blöcke nahmen das Vorbild schmaler Giebelhäuser mit steilen, schiefergedeckten Walmdächern auf. Durch die vertikale Unterteilung der Fassaden entstand optisch eine Folge von Einzelhäusern. Somit integrierten sich die Gebäude gut in die Altstadtszenerie.

Die stark hervortretenden Balkone, erkerartige Vor- und Aufbauten, die fest montierten Rank- und Sonnenschutzgitter sowie die betonten Fugen zwischen den Fertigbetonplatten lösten die massive Wand gewissermaßen in mehrere Schichten und in eine kleinteilige Struktur auf – ein typisches Verfahren der 70er-Jahre. Zusammen mit der üppigen Begrünung entstand so trotz der beträchtlichen Masse der Blöcke eine angenehme Wohnatmosphäre, unterstützt auch durch sensible Platzgestaltung. Die 96 Wohnungen und 40 Gewerbeeinheiten konnten innerhalb eines Tages verkauft werden. Nicht umsonst wurde die Anlage 1981 mit dem Deutschen Architekturpreis ausgezeichnet.

Das Projekt gilt noch heute als Glücksfall. Die beiden Jahrzehnte davor hatten neue städtebauliche Probleme geschaffen, die gelöst werden mussten. Dafür holten sich die Architekten der 70er innovative Impulse aus Bereichen, die eigentlich eher architekturfremd sind: Raumfahrt, Science Fiction und Hochtechnologie.

Diese Themen beeinflussten dann auch besonders Großprojekte. Überdimensionierten Raumschiffen gleich standen die Gebäude mit ihren gestaffelten baulichen Einheiten, getönten Scheibenfronten und technisch anmutenden Metallaccessoires wie fremd in ihrer Umgebung. Dies lässt sich an der Musikhochschule in der Dagobertstraße erkennen, am Kommerzhotel am Hauptbahnhof und am alten DKV-Gebäude in der Aachener Straße. Lieblinge der 70er-Jahre waren auch kompakte Großstrukturen, die wie gigantische Maschinen alle Funktionen unter einem Dach versammeln, wie etwa die Zentralmensa, das Bettenhaus der Uni-Klinik und das Uni Center. Das beste Beispiel dafür ist allerdings das Klinikum in Aachen.

Ein typisches Wohnhaus der Zeit mit seinen massigen, schwungvoll auskragenden Betongesimsen und der üppigen Fassadenbegrünung baute Erich Schneider Wessling in der Südstadt, in der Josefstraße 32. Haus Obu in Hahnwald von Erwin H. Zander sieht aus wie eine Höhle der Hobbits in den Erdhügeln des Auenlands und ist damit ein seltener Vertreter experimenteller, archaisch-naturverbundener Architektur der 70er.

Ira Scheibe

Die 70er-Jahre

Durch Brüstungen, Auskragungen und Balkone in Schichten unterteilte Außenwände lösten in den 70er-Jahren die Rasterfassaden der 60er mit ihren davor gehängten „curtain walls“ ab. Die Großformen bauten sich ­typischerweise aus gestaffelten ­baulichen Einheiten auf. Die Baukörper hatten oft keine rechteckigen Grundrisse mehr, sondern geschwungene Außenkanten. Wichtige Gestaltungsmotive waren abgeschrägte Gebäudekanten, getönte Spiegelfenster, farbige, konstruktiv eingesetzte Metallelemente und sichtbar ­gelassene, betonte Fugen.

Erschienen in der Sonderbeilage „Wohnen & Leben“ der Kölner Zeitungsgruppe (Kölner Stadt-Anzeiger, Kölnische Rundschau) am Wochenende des 8./9. August 2009.

Alle bisher in der Serie „Baustile im Stadtbild“ erschienen Beiträge:

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Das Wohnquartier von Joachim und Margot Schürmann liegt an Groß St. Martin.

Foto: Stefanie Biel