Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Pilgerstätte der Architektur

Schwärmerei über den Mariendom in Neviges

Dieser Parkplatz ist eindeutig überdimensioniert. Mindestens 50 Busse finden hier Platz – am Eingang eines winzigen Ortes im Bergisch…

Schwärmerei über den Mariendom in Neviges

Dieser Parkplatz ist eindeutig überdimensioniert. Mindestens 50 Busse finden hier Platz – am Eingang eines winzigen Ortes im Bergischen Land. Auf der großen Schotterfläche stehen jetzt nur wenige Autos, eines davon gehört zwei Rentnerinnen, die zu Fuß den Hinweisschildern „Mariendom“ mit dem merkwürdig gezackten Fleck daneben folgen. Erstaunlich viele Trödelläden sind in den schindelverkleideten Häusern untergebracht, die die Straßen Neviges‘ säumen. Der Ort scheint außerdem ein Zentrum des deutschen Devotionalienhandels zu sein: Kerzen, Kreuze und Krippen sind selbst im Schaufenster der Bäckerei ausgestellt – und natürlich Marienfiguren.

Nach fünf Minuten Fußweg durchbricht ein Fremdkörper aus Beton das einheitliche Bild der putzigen bergischen Häuschen: Der Kindergarten des Ortes, aus dem schrilles Kinderlachen erklingt – neben Vogelgezwitscher das einzige Geräusch in der Mittagsruhe. Dem Kindergarten gegenüber beginnt der letzte Teil des Wallfahrtsweges zum Marienbild in Neviges.

Kristall aus Beton

Die beiden Rentnerinnen steigen langsam die flachen Stufen des breiten Ziegelweges hinauf. Blattlose Platanen säumen den Weg, der in sanftem Bogen um die Rundungen des Pilgerhauses herumführt. Nach wenigen Schritten ist das gezackte Gebilde des Hinweisschildes wieder zu sehen: Wie ein dunkler Kristall zeichnet sich das Dach des Mariendoms gegen den hellblauen Novemberhimmel ab. Bedrohlich erscheint das Betongebilde, das doch „Maria, Königin des Friedens“ heißt und die „Stadt Gottes auf dem Berge“ abbilden soll – oder aber die Hügel des Bergischen Landes, wie der Kölner Architekt des Doms, Gottfried Böhm, es sieht.

Kühles Schwarz

Zwei schattige Nischen leiten ins Innere des gewaltigen Gebäudes, zunächst allerdings in einen bedrückend niedrigen Vorraum. Glastüren führen von hier in den Innenraum der Kirche – nichts als Schwarz ist dahinter zu sehen. Kühl und frisch ist die Luft, die Schuhsohlen knirschen leise auf dem Ziegelboden. Der Außenraum setzt sich hier innen fort – nur viel dunkler. Nach einigen Minuten hat sich das Auge an die Dunkelheit gewöhnt, sofort irrt der Blick unruhig durch den riesigen Raum, auf der Suche nach Fixpunkten. Er folgt automatisch der gekonnten Linienführung bis hinauf in die Spitzen des Daches. Wie magnetisch angezogen legt sich der Kopf in den Nacken um in die mit 34 Metern höchste Spitze zu blicken. Sie liegt nicht zentral über dem Gemeinderaum der Kirche, auch nicht über dem Altar. Irgendwo dazwischen hat Gottfried Böhm sie platziert, so fasst sie Altar- und Gemeinderaum zusammen. Im Jahr 1965 forderte das II. Vatikanische Konzil eine aktivere Rolle der Gemeinde am Gottesdienst. Dieser Forderung kam der Architekt bereits in der 1968 geweihten Kirche mit der zusammenfassenden Dachspitze nach.

Karger Versammlungsraum

Ein Lichtstrahl in 50 Metern Entfernung konkurriert mit dem Dach um Aufmerksamkeit. Durch ein hohes Fenster fällt das Licht von der Seite auf den Altar, der fast verloren zwischen den Reihen schwarzer Plastikstühle steht. An drei Seiten umschließen die Stühle den Altar mit den durchbrochenen Ecken. Eine Anordnung, die eher zu einer Diskussion einzuladen scheint als zur Verehrung. Wie in einem Versammlungsraum sieht es aus, nicht wie in einer Kirche mit ihrer traditionell axialen Ausrichtung.

Zugegeben, ein mächtiger, aber sehr karger Versammlungsraum. Nur einige Kerzenleuchter schmücken die Wände aus grauem, kahlem Beton. Nicht einmal ein Kreuz hängt hinter dem Altar. Die beiden Rentnerinnen scheint das zu irritieren, sie diskutieren. Ihr Flüstern wird gedämpft vom Betonfaltwerk des Innenraums, der bis zu 6000 Menschen Platz bietet. Schlanke, eckige Stützen, um den Hauptraum gruppiert, tragen die Last des Daches. Ein Pfeiler sticht deutlich hervor, wuchtig und gewunden wie eine Schlange scheint auf ihm die Hauptlast zu ruhen. Erst bei näherem Hinsehen fällt auf, dass in den Pfeiler die Kanzel integriert ist, schmucklos und klar.

Rotes Licht

Rotes Licht modelliert die Säule, es lässt die Auskragungen besonders deutlich hervortreten. Quelle des Lichts ist eine filigran gestaltete Rose in flammendem Rot – ein weiteres Fenster – als Symbol für Maria, der die Kirche geweiht ist. Mit schlurfenden Schritten trägt ein grauhaariger Mann einen Kerzenleuchter aus dem Licht diagonal durch den Innenraum. Er scheint vor eine schwarze Wand zu laufen, nur einige schwach schimmernde weiße Rechtecke lassen Fenster erahnen. Kurz nachdem das Dunkel den Mann verschluckt hat, erscheint sein Schattenriss vor einem der höher gelegenen Fenster. Eine zweigeschossige Empore ist der Außenwand vorgelagert, folgt ihrer Form mit den Vor- und Rücksprüngen. Oben auf der Empore legen Betonbrüstung, Säulen und Unterzüge Rahmen um immer wieder neue Ausschnitte des Innenraums. Von jedem Sitzplatz hier hat der Gläubige seinen eigenen, ganz persönlichen Eindruck der Kathedrale. Mit jedem Schritt bietet sich eine andere Perspektive, ein neues Bild.

Winzige Maria

Eines dieser Bilder ist mystisch: Eine dunkle Höhle, in der schwaches Licht flackert. Die Marienkapelle wird fast ausschließlich von Kerzen beleuchtet. Vor einem Fenster mit gelben Fackeln stehen Teelichte in einer Nische. In dunklen Holzbänken sind schemenhaft zwei Personen zu erkennen, in tiefe Andacht versunken. Sie gilt der blumengeschmückten Säule im Zentrum der Kapelle. In die Säule eingelassen, so dass sich selbst die beiden Rentnerinnen leicht herunterbeugen müssen, um es zu sehen und zu berühren, ist das Ziel der Wallfahrt: Das Hardenberger Gnadenbild aus dem Jahr 1661. Die Darstellung der strahlenumkränzten Maria ist nicht größer als eine Handfläche, wird aber so verehrt, dass eigens für sie dieser gewaltige Kristall aus Beton modelliert wurde.

Vera Lisakowski

Homepage des Mariendoms in Neviges

boehm neviges aussen

Der sanft ansteigende Pilgerweg zum Mariendom in Neviges.

Foto: Vera Lisakowski

boehm neviges innen

Auf den schlichten Altar fällt das Licht von einem seitlichen Fenster.

Foto: Vera Lisakowski

boehm neviges fenster

Fenster mit einer Rose als Zeichen für Maria, der die Kirche geweiht ist.

Foto: Vera Lisakowski

boehm neviges kanzel

Die in eine Säule integrierte Kanzel.

Foto: Vera Lisakowski