Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Individualität in Serie

Es ist der natürliche Feind des kreativen Architekten: das Reihenhaus. Eine Ausstellung will jetzt das Image des seriellen Familienheims verbessern.

Wojtek hat eine Prothese, Rajindir ist 20 Jahre älter als seine Frau und Familie C. Lebt mit sieben Personen in ihrem Haus. Es ist ein bisschen wie eine Reality-Show im Privatfernsehen. In der Ausstellung „In deutschen Reihenhäusern“ im Museum für Angewandte Kunst fühlt man sich als Voyeur beim Blick in die fremden Wohnzimmer, liest neugierig die kurzen Beschreibungen mit Informationen zu den Familien und ihrer Vorstellung vom Eigenheim.

Gefühl von Sicherheit

„Ein Mensch braucht dieses Gefühl von Sicherheit. Seine eigenen vier Wände, in denen er ganz bei sich ist“, sagt Tuncer G. über das Haus in dem er mit seiner Familie lebt. Und genau dieses kleinbürgerliche Image hat diese Wohnform. Unweigerlich taucht bei dem Gedanken an ein Reihenhaus vor dem inneren Auge ein Mittfünfziger mit Halbglatze auf, der voller Stolz auf seinen eigenen Grund und Boden von der Größe eines besseren Badehandtuches blickt – natürlich Auge in Auge mit einem Gartenzwerg. Für ein freistehendes Einfamilienhaus hat es nicht gereicht, aber ein eigenes Haus muss es schon sein, erst dann hat man es geschafft.

Mit dieser Vorstellung versuchen die Familienportraits von Albrecht Fuchs aufzuräumen, sie zeigen, dass keinesfalls alle Reihenhäuser von innen gleich aussehen und dass völlig unterschiedliche Menschen in ihnen wohnen: Baseballfans und Leichtathleten, IT-Fachleute und Fabrikarbeiter, Nippes-Liebhaber und Design-Fetischisten. Genau das sollen sie auch zeigen, entstanden sie doch im Auftrag der Deutschen Reihenhaus AG, die ihre Reihenhäuser auch an junge Individualisten verkaufen möchte.

Kleinbürgerliche Reihenhauswelt

Ob diese Fotos jedoch als Verkaufsargument funktionieren? Die Bewohner werden in gestellten Posen in ihren picobello-sauberen IKEA-Welten gezeigt, höhenverstellbare Couchtische und Glasfaserlampen entlarven die Spießer – und in den chaotisch-überladenen Wohnzimmern der Unkonventionellen möchte man auch nicht leben. Auch die Außenaufnahmen der Siedlungen von Marc Räder zeigen keine Individualität, ganz im Gegenteil. Bewusst hat er die Häuserreihen aus der Vogelperspektive fotografiert, mit Unschärfen gespielt und die Farben überzeichnet. Entstanden sind detailreiche Märklin-Landschaften mit Jägerzäunen, gestreiften Markisen und deutscher Fahne im Vordergrund. Da können Soziologen ergänzend zur Schau noch so viel über das moderne Wohnen im Reihenhaus erzählen: Ideal sei es, gerade für junge Familien in denen beide Elternteile berufstätig sind, man könne stadtnah wohnen und doch irgendwie im Grünen, nachbarschaftlicher Kontakt sei garantiert, aber man habe trotzdem sein eigenes Reich – spießig bleibt es doch.

Und so bietet diese Schau die Gelegenheit, noch einmal so richtig über die kleinbürgerliche Reihenhauswelt abzulästern – bevor man dann selbst in ein serielles Eigenheim zieht: Die schicke Stadtwohnung wird zu klein, die Kinder sollen einen Garten zum Spielen haben und für ein freistehendes Einfamilienhaus hat es eben nicht gereicht …

Vera Lisakowski

Bis 1. März 2009, Öffnungszeiten: Di. – So. 11-17 Uhr

Museum für Angewandte Kunst

An der Rechtschule

50667 Köln

Deutsche Reihenhaus AG



Die Sendung titel thesen temperamente zum Thema

reihenhaus 1

Familie C. aus Angola lebt mit sieben Personen in ihrem Reihenhaus in Bonn.

Rechte: Albrecht Fuchs/Deutsche Reihenhaus AG

reihenhaus 2

Wojtek C. gewann bei den Paralympics Gold. Mit seinem Vater Jan wohnt er in einem Reihenhaus in Kaiserslautern.

Rechte: Albrecht Fuchs/Deutsche Reihenhaus AG

reihenhaus 4

Elmer und Heike P. mit ihrem Sohn René in ihrem Reihenhaus in Frankfurt am Main.

Rechte: Albrecht Fuchs/Deutsche Reihenhaus AG

reihenhaus 5

Reihenhaussiedlung mit Deutschlandfahne in Mainz.

Rechte: Marc Räder/Deutsche Reihenhaus AG

reihenhaus 6

Reihenhäuser in Frankfurt am Main.

Rechte: Marc Räder/Deutsche Reihenhaus AG

4 Kommentare

Verehrte Frau Lisakowski, es tut mir leid, aber Sie liefern gerade wieder den Beweis dafür, daß Architekten (die natürlichen Feinde der Reihenhäuser) die Welt mit Ihrem eindimensionalen, überheblichen Blick sehen.

S. Panoglu, Architekt

Sehr geehrter Herr Panoglu,
was ich eigentlich zu schildern versuche, ist, wie gespalten die „jungen Individualisten“ zu Reihenhäusern stehen – mich selbst eingeschlossen. Alle Neu-Reihenhausbewohner in meinem Umfeld (Architekten und Nicht-Architekten) betrachten sich mit einer gewissen Selbstironie bei diesem „Schritt in die Spießigkeit“. Letztlich handelt es sich hier aber um eine Ausstellungsbesprechung, die wenig mit der Weltsicht der Architekten zu tun hat.
Vera Lisakowski, Journalistin (aufgewachsen in einer Doppelhaushälfte)

…vielleicht hätte es doch für das freistehende Einfamilienhaus gereicht – und trotzdem wird ihm das Reihenhaus vorgezogen. Das freist. Einfamilienhaus wird insbes. im Bezug auf ressourcenschonendes Bauen früher oder später aussterben müssen. Ist nur die Frage, wann der Architekt, für den nur die Gründerzeitwohnung, das Loft oder eben die freistehende Individualisten-Kiste zählt, das versteht!

Es handelt sich um eine Ausstellungsbesprechung, die leider sehr viel mit der Weltsicht der Architekten zu tun hat! Ein paar Worte über die Art und Weise der Präsentation des Gezeigten hätten gut getan an Stelle von hohlen und unreflektierten Phrasen. Oder war es doch keine Ausstellungsbesprechung?