Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Die Ausnahme und die Regel

Neue Projekte haben in letzter Zeit die Rheinansicht der Südstadt verändert – weitere werden in den nächsten Jahren folgen. Eine Zwischenbilanz.

Seit Ende der 1960er Jahre werden Rheinauhafen und Agrippinawerft in Köln nicht mehr wie ursprünglich genutzt. 1987 entdeckten Künstler das Gebiet im Süden der Kölner Innenstadt. Das war das Startsignal: Bald schon wollte auch Köln die prestigeträchtige Lage am Wasser nutzen; allerdings dauerte es acht Jahre vom städtebaulichen Wettbewerb 1992 bis zum Bebauungsplanbeschluss. Weitere acht Jahre später ist aus dem Hafenareal ein sehenswertes Quartier geworden, in dem sich Arbeitsplätze, Wohnungen und Kultur mischen. Ein bisschen Architektenzoo ist auch dabei, das schadet aber nicht. So gut wie nicht. Denn eine Ausnahme gibt es schon. Eine nicht ganz nebensächliche.

Es hat lange gedauert, bis der Rheinauhafen neu bebaut und die alten Hafengebäude umgenutzt werden konnten. Auf der Basis der siegreichen Entwürfe (von Bothe Richter Teherani und Alfons Linster) im städtebaulichen Ideenwettbewerb von 1992 war ein städtebauliches Konzept erarbeitet, dann aber erst einmal lange diskutiert worden. Signet des Konzepts waren von Anfang an drei die übrige Bebauung überragende, etwa 60 Meter hohe Kranhäuser. Sie erinnerten nicht von ungefähr an El Lissitzkys Wolkenbügel – eine Ikone der Moderne. Der Form eines Krans nachempfunden, wurde mit ihnen zudem an die Geschichte des Ortes als Umschlaghafen angeknüpft. Ein cleverer Schachzug, denn damit hatte das Gebiet sofort neben einem eigentlichen städtebaulichen Plan ein modernes Image, ein Erkennungszeichen, das die Vermarktung zu erleichtern versprach. Der städtebauliche Plan selbst nahm die Gebäudestruktur und längsgerichteten Kontor- und Lagerhäuser auf und kombinierte innerhalb dieser Struktur Bestand und Neubau.

Konkurrenz für die Rheinsilhouette

Proteste der Anwohner verzögerten das Verfahren, vor allem standen auch die Kranhäuser zur Debatte, da deren Höhe als unverträglich mit der Maßstäblichkeit der bestehenden Stadtansicht erachtet wurde. Aber auch die Gegenseite benutzte die Kranhäuser als Argument, sie wurden als Stellvertreter für das Neue und Moderne verteidigt. Ein Rheinauhafen ohne das Zeichen, mit dem der Entwurf das Areal bekannt gemacht hatte, und das versprach, ihn zu einer unverwechselbaren und damit gut zu vermarktenden Adresse zu machen, war für die Gebietsentwickler nicht akzeptabel. Damit diese Gebäude wirklich den Anspruch einlösen, den man sich von ihnen versprach, sollte auch nicht in Frage gestellt werden, dass BRT selbst die Kranhäuser plant. Das stand 1999 endlich fest, der Bebauungsplan wurde schließlich 2000 beschlossen.

Wer heute mit dem Zug von Osten in den Hauptbahnhof fährt, sieht bereits zwei der geplanten drei Kranhäuser, sie stehen kurz vor der Fertigstellung. Auch wenn das Gesamtprojekt erst 2011 abgeschlossen sein soll, so lohnt heute schon ein Besuch. Bereits 1993 hatte an der Nordspitze des Areals das Schokoladenmuseum seine Tore geöffnet und viele Besucher auf die Brache gelockt. Nach dem Bebauungsplanbeschluss war zunächst der Südteil, das Agrippinaufer in Angriff genommen worden, der Rahmen für die Gesamtentwicklung war gesteckt.

Gemeinsames im Heterogenen

Hier seien einige der wichtigen Meilensteine erwähnt: 2004 eröffnete an der Südseite das Bürogebäude mit Bistro und Veranstaltungsräumen KAP am Südkai (KSP Engel und Zimmermann), 2005 wurde die „Wohnwerft 18.20“ von Oxen + Römer und Partner mit großzügigen, offenen (und entsprechend teuren) Wohnungen und mit direktem Blick auf den Rhein fertig gestellt. Kister Scheithauer Gross bauten das als Getreidespeicher errichtete „Siebengebirge“ um, das seinen Namen von den vielen ausgeprägten Giebeln erhielt. Auch hier werden neben Gewerbenutzung im Erdgeschoss Wohnungen im oberen Segment angeboten. Gatermann Schossig entwarfen ein Bürogebäude mit einer Fassade aus eloxiertem und geätzten Aluminiumpaneelen, die gut mit dem benachbarten Bestand harmoniert. Weitere Neu- und Umbauten fügen sich trotz eigener Architektursprache gut ins Gesamte und widerlegen die Befürchtung, der Raum für architektonische Freiheit ohne restriktive Fassadenregelung müsse zu einer Ansammlung von lauten und aufgeregten Fassaden führen. Die festgelegte Kubatur und die sorgfältige Kontrolle der Architektur durch den Projektentwickler, die Gesellschaft modernes köln, zahlt sich aus.

Die an der Längsausdehnung und dem Bestand orientierten Bauten, die Mischung neuer Häuser mit umgenutztem Bestand, erhaltene und integrierte Artefakte der alten Hafennutzung und ein durchgängiges Konzept für den öffentlichen Raum zeigen hier im südlichen Abschnitt, dass der Spagat zwischen Gesamtkonzept und unverwechselbaren Einzelbausteinen gelingen kann. Maßgeblich trägt dazu das Konzept der Parkierung sowie die Freiraumplanung von FSW Landschaftsarchitekten bei, die den Charakter der vormaligen industriellen Nutzung aufnimmt. Die durchgehende 1,6 Kilometer lange Tiefgarage ist Teil des (nicht unumstrittenen) Hochwasserschutzes; im Falle von Hochwasser wird sie ab der Marke von 11,30 Metern geflutet. Weil sie von der dem Areal vorgelagerten Bundesstraße erschlossen wird, ist der öffentliche Raum im Areal selbst fast durchgehend autofrei, besonders wichtig ist dies für die großzügige Rheinpromenade. Sie schließt an die im Süden liegenden und als Erholungs- und Freizeitfläche beliebten Rheinauen an.

Wohnen im gehobenen Preissegment

Durch das Hochwasserschutzkonzept, das eine Aufschüttung verlangte, entstanden Gebäudesockel, die tiefer als die Gebäude selbst sind. Sie gestatten zum Rhein hin eine Differenzierung des öffentlichen Raums. So ist es möglich, für die Außengastronomie der in den Erdgeschossen untergebrachten Restaurantbetriebe Flächen anzubieten, ohne dass der durchgehende Raum entlang der Kaimauer selbst davon gestört werden muss. Mit großformatigen Betonplatten, Cortenstahl, Pflaster wird der rauhe Charme des Industriellen erhalten. Es ist gelungen, eine gut durchdachte und hier offensichtlich auch funktionierende Mischung aus Wohnen, Kultur und Arbeiten zu verwirklichen. Die soziale Mischung im Wohnen kann man an einem solchen Standort kaum erwarten, doch ist ja das Areal als attraktiver Freiraum immerhin allen zugänglich. Verbessert werden könnte allerdings die Durchlässigkeit zur direkt angrenzenden Stadt, nur an wenigen Stellen ist der Zugang möglich.

Fällt das Urteil über den weitgehend fertig gestellten Südteil positiv aus, so muss für den Abschnitt zwischen Schokoladenmuseum und dem südlichsten der drei Kranhäuser mit einer Bewertung noch abgewartet werden. Auch hier werden sich Neu- und Altbauten abwechseln, zum hochwertigen und hochpreisigen Wohnungsbau wird die „Halle 11“ umgebaut. In diesem Teil trennt ein Binnenbecken die Hafenhalbinsel von der Stadt, entlang der der Stadt zugewandten Seite ist das einzige bislang wirklich als Missgriff zu bezeichnende Gebäude – das Haus für Microsoft – verwirklicht worden, aber auch das muss ein städtebauliches Konzept verkraften können.

Die „perfekte“ Aussicht

Das gilt freilich nicht für die Gebäude, die sich qua Konzept nicht in die städtebauliche Struktur einordnen. Es zeichnet sich deutlich ab, dass ausgerechnet die markantesten Gebäude, die zwei fast fertigen Kranhäuser, den Anspruch nicht einlösen, den ihre zeichenhafte Form und ihre Größe stellen. Sie repräsentieren das Gebiet. Dass sie nicht, wie ursprünglich vorgesehen, über die Wasserkante auskragen und nicht zum Teil im Wasser stehen, ist dabei weniger ein Problem als dass man ihre Proportionen gegenüber der ursprünglich vorgeschlagenen Form verändert hat. Der waagerechte Teil wurde höher und kürzer, die Kranhäuser wirken dadurch wuchtig und plump. Man hätte sich zudem eine raffiniertere und elegantere Fassade gewünscht, als die nun realisierte Glasfassade in einer Pfosten-Riegel-Konstruktion. Und dann fragt man sich wirklich, warum den Nutzern im vertikalen Schaft der Blick auf den Rhein durch eine mit Metall verkleidete Scheibe verschlossen werden musste.

In dieser Form erweist sich ausgerechnet die Referenz an den genius loci als Hindernis, das große Potenzial des Orts, den Blick auf den Rhein für alle Nutzer zu aktivieren. Es ist die Ironie der ganzen Konversionsgeschichte: Ausgerechnet die als Marke konzipierten und in der Auseinandersetzung um das Gebiet und dessen Qualität umkämpften Gebäude müssen nun von der Qualität des Restes profitieren.

Der Text erschien zuerst im eMagazin

german-architects.com

Christian Holl

Der Autor ist Partner von frei04 publizisitk, freier Journalist mit den Schwerpunkten Architektur und Städtebau und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Städtebau-Institut der Universität Stuttgart.

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Das mittlere und das südliche der drei geplanten Kranhäuser sind bereits fertig.

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