Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Weihnachtsmarkt, let´s face it

Sechs Weihnachtsmärke in Köln, sechs temporäre Dörfer die für einige Wochen das Stadtbild bestimmen. Orte der Begegnung mit sich selbst und mit anderen …

Es gibt Dinge, die muss man mögen, wenn man aufrichtig zu sich selbst ist. Dazu gehört der Weihnachtsmarkt. Man muss ihn mögen, auch wenn man partout nicht will. Es ist einfach so, dass man sich zu manchen Ereignissen nicht mehr kritisch verhalten kann, ohne kindisch zu sein. Das gehört zum Erwachsenwerden, oder besser gesagt zu einer gelassenen Haltung gegenüber Dingen, die sich nicht ändern lassen. Konsumkritik ist eine Disziplin, in der jeder aktiv sein sollte, logo. Aber nicht unter diesem Begriff und nicht öffentlich. Kritik an Weihnachtsritualen sind ein ödes Alternativritual, formelhafter als sein Widerpart und schmählicher, als es jeder mannhafte, öffentliche Genuss von Glühwein je sein könnte. Also, wie sagte meine schwäbische Freundin immer, die, so überqualifiziert wie man heute als Kulturproduzent eben ist, jährlich auf dem Weihnachtsmarkt Schupfnudeln verkaufte: „Let’s face it“.

Außerdem muss man feste Rituale schützen. Wer heute noch Kinder hat, weiß in der Regel um die Wichtigkeit von verlässlichen Ritualen. Wir haben davon nicht mehr allzu viele. Die Geschäftigkeit unserer Lebenswelt, in der jeder Einzelne immer mehr Energie für die eigene Selbstorganisation aufbringen muss, droht Rituale zu verzehren, sie erscheinen als schlichter kultureller Luxus. Eine pflegliche Huldigung sollte also allen bestehenden Ritualen gelten. Zugegeben, nicht alle sind bedroht, Karneval ist unkaputtbar, der Weihnachtsmarkt eigentlich auch. Doch Rituale brauchen unsere ernsthafte Hinwendung – schlimmer nämlich als ihr Verschwinden ist der Import von irgendwelchen noch viel obskureren Ersatzpraktiken, die in dieses spirituelle Vakuum dringen, wie z.B. Halloween. An irgendeinem Tag stehen da zwei orange Fußbälle vor meiner Tür und drohen mir: „wir nehmen auch Geld“. Da werde ich vermutlich auch irgendwann grübeln, wenn ich zwei Einbrecher in meiner Wohnung überrasche – ich frage mich dann, was feiern die denn jetzt?

Der Weihnachtsmarkt aus stadtplanerischer Sicht? Unterbewertet, oder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Die temporäre Architektur dieser Subdörfer, die keinen Gestaltungsvorgaben gehorchen muss, nur einigen Vorschriften der Feuerwehr, entwickelt einen so unerhörten Magnetismus, der durch die globalen Angebote der fliegenden Händler nicht ansatzweise erklärbar ist. Hier gibt es Antworten auf die Frage, wie der Bürger seine Stadt benutzen will. In Köln liegt die Antwort auf der Hand, denn hier gibt es schon eine deutlich Disposition, die Großstadt dadurch zu humanisieren, indem sie als Summe von Dörfern wahrgenommen wird.

Urbanismus pur!

Tauchen wir also ein in das Phänomen der temporären Dörfer: Der Weihnachtsmarkt ist eine Verdichtung bis zum Anschlag. Synästhetischer Overkill. Nichts für Klaustrophobiker. Das ist „Köln zum Anfassen“, das ist ein Feeling und Fühling, ein Rieching und Kontakting, das es nur so eine Wonne ist. In einem Werbeprospekt der Tourismusbranche müsste es heißen: Urbanismus pur! (d.i. also: verdichtete Dörflichkeit unter den Bedingungen der Großstadt). Tatsächlich heißt es (auf www.koeln.de):

„Unsere sechs Weihnachtsmärkte präsentieren sich im feierlichen Glanz der Adventszeit. Das vielfältige Warenangebot, kulinarische Genüsse und die besinnliche Stimmung ziehen jedes Jahr mehr als vier Millionen Besucher an – zum ausgelassenen Weihnachts-Shopping, Schlemmen und Glühweintrinken oder auch einfach nur zum gemütlichen Bummeln. Festlich beleuchtet laden zudem die weitläufigen, miteinander verbundenen Einkaufstraßen und wetterfesten Passagen zu einem unvergesslichen Einkaufserlebnis ein.“

Yeap!, das ist state of the art, besser kann man das nicht sagen. Da streck ich die Waffen und bummle auch einfach nur mal so durch wetterfeste Passagen. Selbstverständlich nach dem Glühwein, den Schupfnudeln und dem Erwerb eines handgefilzten Südwesters für das passagenlose Köln.

Axel Joerss

1 Kommentar

schade auch nach beendigung der weinachstsmärkte bleibt köln im internationalen vergleich ein dorf – typisch deutsch – man will alles haben – aus städten dörfer und aus dörfer städte machen und nichts gelingt wirklich.