Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

72 Farben

Zur Realisierung des neuen Südquerhausfensters von Gerhard Richter im Kölner Dom

Die katholische Kirche steht nicht gerade im Ruf, allzu offen für Neues zu sein. Nun aber macht ausgerechnet der Kölner Dom als eines der Wahrzeichen christlichen Glaubens mit dem Entwurf eines zeitgenössischen Künstlers auf sich aufmerksam: Der Wahlkölner Gerhard Richter, der als einer der bedeutendsten Gegenwartskünstler gelten darf, entwarf das neue, im August eingeweihte Fenster des Südquerhauses nach dem Vorbild seines Werkes „4096 Farben“.

Polychrome Rücksicht

Anfänglich plante das Domkapitel die Darstellung von Märtyrern des 20. Jahrhunderts als Thema für das neu zu gestaltende Fenster. Damit wollte man an die Figuraltradition der mittelalterlichen und neuzeitlichen Fenster der Kirche anknüpfen, die Abbilder von Adligen oder Heiligen zeigen. Eine Rekonstruktion des ursprünglichen Südquerhausfensters war nicht möglich, da das 1863 von Wilhelm I. gestiftete Fenster selbst und auch seine in Berlin verwahrten Pläne dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer fielen. 1948 wurde ein nahezu farbloser Entwurf des Glasmalers Wilhelm Teuwen an seiner Stelle eingesetzt, der aber gerade aufgrund der fehlenden Farbigkeit als unzureichend empfunden wurde – nicht selten wurden Besucher des Doms vom gleißenden Licht, das durch das helle Südfenster fiel, geblendet.

Die Entscheidung, das Fenster Teuwens durch ein neues zu ersetzen, warf gleich mehrere Fragen auf: Wie sollte der Entwurf beispielsweise in den Kontext der historischen Fenster eingereiht werden? Eine historisierende Darstellung konnte als explizit zeitgenössischer Ausdruck nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Die Einschreibung des Neuen in das Alte war daher nicht zuletzt durch die Wahl der Farben zu erreichen – eine entsprechende, ausgeprägte und dunkle Farbigkeit sollte zudem das Problem der Blendungen aufheben. Dass sich in der zeitgenössischen Glasmalerei kaum ein adäquater Ansatz solch rücksichtsvoller Polychromie finden ließ, erleichterte die Suche nach einem geeigneten Künstler nicht gerade.

Kunstwerk

Gerhard Richter ist nun nicht unbedingt der erste, der einem bei der Gestaltung eines Kirchenfensters in den Sinn käme. Trotzdem ist seine Wahl alles andere als abwegig – denn sie hat zu einer bemerkenswerten Symbiose von zeitgenössischer und Sakralbaukunst geführt. Zudem zeichnet sich der bisherige Verzicht Richters auf eine solche Aufgabe nicht zwingend durch Freiwilligkeit aus: Er sei schlichtweg nie gefragt worden.

Eine figurale Märtyrerdarstellung, die sich in die Tradition der Glasmalerei stellt und unmittelbaren Bezug zu den historischen Domfenstern nimmt, konnte den Künstler nicht überzeugen. Stattdessen versuchte er, mit Quadraten anfangs verschiedener und später gleicher Größe die Farbigkeit der umliegenden Fenster aufzunehmen. Richter präsentierte seinen Entwurf erstmals im Februar 2005 dem Metropolitankapitel, das ihn im Folgejahr zur Ausführung freigab. Die Finanzierung des 370.000 Euro teuren Kunstwerks wurde schließlich über Spenden sichergestellt – Richter selbst arbeitete „für Gottes Lohn“.

Zufall statt Martyrium

Sein Bild „4096 Farben“, das bei der Konzeption des Fensters als Vorbild diente, entstand 1974 als Kritik und Karikatur der gedankenlosen Abstraktion in der Malerei. So war die Farbkomposition des aus 64 mal 64 Quadraten bestehenden Bildes ein Produkt des Zufalls. Dieser Zufall waltete nun auch bei der Verteilung der Farben im Südquerhausfenster: 72 ausgewählte Farbtöne, die in Korrespondenz mit der historischen Farbgebung stehen, wurden mit Hilfe eines Zufallsprogramms über die 106 Quadratmeter Fensterfläche verteilt.

Das knapp 19 Meter hohe Fenster setzt sich aus mehr als 11.000 quadratischen Scheiben mit einer Seitenlänge von jeweils 9,6 Zentimetern zusammen. Sollte es auch nicht dem Durchblick, sondern vielmehr der Überhöhung des Kircheninneren dienen, so musste doch seine Außenwirkung zum Roncalliplatz bedacht werden. Zur Vermeidung von störenden Hilfskonstruktionen erfolgte daher die direkte Verbindung der Farbfelder mit der Trägerscheibe über ein nicht aushärtendes Silikongel, das im Inneren die Lichtwirkung steigert und im Äußeren die differenzierte Farbigkeit lesbar macht. Das Werk Gerhard Richters vermittelt so – in der Gesamterscheinung mit überzeugender Polychromie und im Detail mit konstruktiver Selbstverständlichkeit – zeitgenössische Kunst im Kontext einer gotischen Kathedrale. Und das mit wohltuender Zurückhaltung.

Rainer Schützeichel

Zum neuen Südquerhausfenster ist das Buch „Gerhard Richter. Zufall“, herausgegeben vom Museum Ludwig und dem Metropolitankapitel an der Hohen Domkirche Köln, im Verlag der Buchhandlung Walther König zum Preis von 28,- Euro erschienen.

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106 Quadratmeter farbigen Lichts

Foto: Dombauarchiv Köln, Matz und Schenk

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Das neue Fenster von Gerhard Richter im Südquerhaus des Kölner Doms

Foto: Dombauarchiv Köln, Matz und Schenk

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Das Bild 4096 Farben stand beim Entwurf des Fensters Pate

Foto: Atelier Gerhard Richter

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Das Fenster Wilhelm Teuwens konnte aufgrund seiner Farblosigkeit besonders bei tiefstehender Sonne nicht überzeugen

Foto: Dombauarchiv Köln, Matz und Schenk