Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Der Komplize des Architekten

Mein Lieblingsplatz – Europäischer Architekturfotografie-Preis 2007

Der Europäische Architekturfotografie-Preises 2007 wurde am 21. Mai in Bonn verliehen. Bis zum 10. Juni kann ist die Ausstellung der prämierten Fotografien in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland zu sehen. Veranstalter ist der Verein architekturbild e.V.

Die Rolle des Fotografen

Architekturfotografie als Auftragsarbeit legt dem Fotografen ein sehr enges Korsett an. Das hat gute Gründe: Architektur muss ohne Interpretation Bestand haben. Ist das Gebäude realisiert, verpuffen alle interpretatorischen Bemühungen des Architekten im semantischen Off. Verständlich, dass sich der Architekt als Komplizen den einzigen anheuert, der auf die öffentliche Erscheinung seines Gebäudes einen kontrollierten und kontrollierbaren Einfluss hat. Es ist der Architekturfotograf, dessen Bilder das Gebäude in den Architekturmagazinen zeigt, und wenn es gut läuft auch darüber hinaus. Weil die Rolle des Fotografen hier so wichtig ist, sind die Anforderungen so genau definiert: Technisch soll sie auf dem Stand dessen sein, was realisierbar ist, das Gebäude soll jungfräulich, nahe an der Idee gezeigt werden, von der Umgebung weitgehend freigestellt, ohne den Einfluss von Zeit und Benutzung – und ohne einen realen Menschen. Architekturfotografie ist süchtig nach der Ikone.

Architektur ist zu schade, um sie Architekten zu überlassen …

In diesem Sinne war keines der auf der Ausstellung gezeigten Fotos Architekturfotografie. „Architektur ist zu schade, um sie Architekten zu überlassen“, sagte Severi Blomstedt vom Finish Museum of Architekture, Helsinki, in seiner Rede zur Preisverleihung. Keines der Fotos ist im Architektenauftrag entstanden. Und darin liegt ihre Stärke, denn die Fotos zeigen durchweg benutzte Architektur und eröffnen damit das sehr weite Themenfeld gebauter und benutzter Umwelt. Die Fotos haben damit auch ihren Status verändert, den ein Auftrag festgelegt hätte. Sie können so auch Objekte einer zweckfreien Anschauung werden. Das scheint zur Zeit (mal wieder) die Faszination von Fotografie auszumachen.

Wer ist der Liebhaber

Das Thema: „Mein Lieblingsplatz“ klingt niedlich, ist aber ein wenig harmloser. Es können die Lieblingsplätze der Benutzer sein oder die Lieblingsplätze der Fotografen, und beides kann in „glücklichen Fotos“ sogar zusammenfallen. Für die Fotoserie des ersten Preisträgers gilt das alles nicht. Jürgen Chill hat Gefängniszellen senkrecht von oben fotografiert. Es sind konfektionierte Orte, in denen die zum Leben notwendige Grundausstattung (Bett, Tisch, Stuhl, Waschbecken, Toilette, Fenster) auf kleinstem Raum untergebracht ist. Lieblingsplätze sind sie nur in dem Sinne, dass der (einzig) vorhandene Raum persönlich angeeignet wurde. Am extremen Modell zeigen sie aber im Prinzip, wie die meisten von uns mit Architektur umgehen: In der Regel leben wir in vorgefundenen Gebäuden, die wir zu beleben versuchen – und meist wird Architektur erst durch Zeit, durch Geschichte und Geschichten menschlich.

Die gezeigten Arbeiten der 28 meist jüngeren Fotografen und Fotografinnen zeigen einen Querschnitt ambitionierter zeitgenössischer Fotografie, und darunter ist natürlich auch einiges zu sehen, was zur Zeit gut läuft, aber doch vieles, in dem eine Aneignung des Themas sichtbar wird und über die bloße Anwendung eines Konzeptes hinausgeht.

Hier fotografieren!

Zum Beispiel das abgeräumte, teils überwucherte Gelände der EXPO 2000 mit den verlassenen Bauten in den kargen aber wunderbaren Fotos von Christian Wolter, der von der Faszination dieser vergessenen Orte berichtet. Oder, sehr bescheiden und charmant, Cesare Fabbri, der von Fischern selbstgebaute Hütten auf Pfählen zeigt, die dem Senknetzfang dienen – auch eine kleine architektonische Aneignung. Sehr Persönliches, wie die Langzeitaufnahmen unruhig Schlafenden von Matthias Langer oder die menschenleeren Sitz- und Schlafplätze auf einer Mittelmeerfähre bei Claudio Bader. Ebenso intim mit dem Abgebildeten die Polaroidaufnahmen, die Jan Meier in Kleingartenanlagen gemacht hat. Oder – jetzt schon an den Außenstellen des Themas – unscharfes Farbgeflirre von Karussellen auf dem Hamburger Dom bei Meike Hansen. Gregor Sailer zeigt Aufnahmen von den baulichen Eingriffen in das Hochgebirge seiner Tiroler Heimat, Eingriffe, die notwendig sind, um den Berg für den Wintersport zu nutzen. Hennig Rogge hat seine auch schon in anderen Zusammenhängen publizierte Serie über deutsche Aussichtspunkte eingereicht, jene Punkte, die in manchen Karten mit einem grünen Sternchen ausgezeichnet sind (und an denen schon mal ein Piktogramm angebracht ist, das da meint: „hier fotografieren“).

Fotos aus der Truman Show

In Hennig Rogges Aufnahmen schwingt sanfte Ironie. Bei dem zweit- und drittplatzierten ist die Ironie dagegen Konzept. Bei Andreas Meichsner (zweiter Platz), Serientitel „Arkadia“, sind es Ferienhaustouristen in den Niederlanden, deren modellhaft saubere Umgebung der Truman Show entsprungen scheint. Für Matthias Schmiedel (dritter Platz) sind es extrem aufgeräumte Campingparzellen mit Wohnwagen und Minivorgärten in der Verfremdung der Nachtaufnahme. Das ist sehr schön gesehen, bei Meichsner eher gekonnt witzig, bei Schmiedel eher gnadenlos, aber auch begrenzt durch das fixierte Klischee (die Unangreifbarkeit des ironischen Blicks erlaubt keine Ferne, keine Transzendenz). Hier bleibt die Liebe bei denen, die nicht anders lieben können.

Viele Spielarten der Hin- und Zuwendung zu Orten also: in den Blicken der Fotografierten, der Fotografen und der Betrachter …

Der Europäische Architekturturfotografie-Preis wurde 1995 zum ersten Mal vergeben – damals noch von der Architekturzeitschrift db und der Fotografiezeitschrift Photo Technik International (heute Photo international). Seitdem wird er alle zwei Jahre ausgelobt. Die 28 besten Bildserien werden in einem diesmal übrigens sehr hochwertig gedruckten Katalog dokumentiert, und die Bildserien in einer Wanderausstellung auch noch andernorts gezeigt. Anschließend gehen die Bilder in den Bestand des Deutschen Architekturmuseums (DMA) in Frankfurt über.

Friedrich Ebert-Allee 4, Bonn

Mo. 10-19 Uhr, Di-So 10-21 Uhr

Weitere Informationen

Axel Joerss

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Architekturfotografiepreis 2003 Abbild oder Kunst

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Foto: Jürgen Chill – Preisträger

Foto: Christian Wolter

Foto: Cesare Fabbri

Foto: Matthias Langer

Foto: Claudio Bader

Foto: Jan Meier

Foto: Meike Hansen

Foto: Gregor Sailer

Foto: Henning Rogge

Foto: Andreas Meichsner (zweiter Platz)

Foto: Andreas Schmiedel (dritter Platz)

Die Preisträger (v.l.n.r.): Matthias Schmiedel, Jürgen Chill, Andreas Meichsner