Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Geordneter Rückzug

Leichtfertig geben die Kirchen ihre Gebäude nicht auf – sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche haben Leitfäden entwickelt, wie mit leeren Gotteshäusern umgegangen werden soll.

„Deutschland schleift seine Gotteshäuser“, „Computer statt Kniebank“ oder „Wellness statt Weihwasser“ – die Schlagzeilen prägen sich ein. Es scheint als würden die Kirchen ihre Gebäude leichten Herzens aufgeben und für profane Zwecke zur Verfügung stellen.

Doch ganz so leicht machen es sich die christlichen Kirchen nicht, sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche haben Leitfäden entwickelt, die bei der Entscheidungsfindung helfen sollen und die Vorgehensweise erläutern.

Für die katholische Kirche veröffentlichte das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz im September 2003 die Arbeitshilfe „Umnutzung von Kirchen – Beurteilungskriterien und Entscheidungshilfen“. Aufgrund der dezentralen Struktur der evangelischen Kirche haben die Landeskirchen ihre eigenen Leitfäden herausgebracht. Die Evangelische Kirche im Rheinland veröffentlichte die Broschüre „Weniger ist mehr“ im Jahr 2005.

Bei einem ersten Blick auf die Broschüren scheint es als würden alle Kriterien geprüft und die Möglichkeiten gegeneinander abgewogen. Doch die Fallstricke stecken im Detail. Koelnarchitektur.de hat die Leitfäden genau durchgesehen und die Aussagen kursiv kommentiert.

Prüfung der Nutzung und der Qualität

In ihrer Grundauffassung ähneln sich die beiden christlichen Kirchen. Zunächst soll intensiv geprüft werden: Der Bedarf der Gemeinde muss ermittelt werden, wichtig ist, wie viele Gemeindemitglieder das Gebäude nutzen und wie sehr sich Christen und Nichtchristen mit dem Gebäude identifizieren. Auch die architektonische und die kunsthistorische Qualität des Gebäudes wird geprüft.

Häufig wird allerdings die architektonische und kunsthistorische Qualität nachrangig behandelt, denn wichtig ist zunächst die Finanzierung. Nur der Erhalt einer Gemeinde die sich finanziell trägt – durch eine ausreichende Summe an Kirchensteuern – ist dauerhaft gesichert. Auch eine Kirche, die sich finanziell möglicherweise nicht trägt, aber gut besucht ist, zum Beispiel in sozial schwachen Gebieten, bleibt wahrscheinlich erhalten.

Übereinstimmend stellen beide Religionsgemeinschaften fest, dass Kirchengebäude einen hohen Symbolwert haben, besonders dann, wenn es sich um eine „klassische“ Kirche mit Turm handelt. Deshalb sollten zunächst Nebengebäude, wie zum Beispiel das Gemeindehaus, abgestoßen und die Funktionen in die Kirche integriert werden. Die Kirche selbst anzutasten, ist für beide Religionsgemeinschaften die letzte Möglichkeit.

Aus dieser Bewertung des Symbolgehaltes einer Kirche resultiert die größte Gefahr für moderne Kirchen. So wurden in der Neugotik noch „echte“ Kirchengebäude mit Satteldach und Turm gebaut. Die Kirchen der Moderne sind häufig von außen nicht mehr als solche zu erkennen und in den 1970er und 80er Jahren wurden viele Gemeindezentren errichtet, die zwar architektonisch wertvoll sein können, aber keinerlei äußeren Symbolgehalt haben.

Kirchliche oder kulturelle Weiternutzung

Wenn sie ihre Kirchen nicht selbst halten können, möchten sowohl katholische als auch evangelische Gemeinden die Gebäude am liebsten von anderen christlichen Gemeinschaften mitnutzen lassen oder sie ganz an sie weitergeben. Hierbei kommen insbesondere orthodoxe Christen in Frage, die evangelische Kirche im Rheinland sieht auch eine Weitergabe an jüdische Gemeinden als möglich an. Als Fremdnutzung wird zunächst eine kulturelle oder soziale Nutzung erwogen, wofür das Gebäude nicht verkauft werden muss – es ist auch eine Mitnutzung oder Vermietung möglich.

Zwar wachsen andere christliche Gemeinden – zum Beispiel die russisch-orthodoxe – nach wie vor, jedoch flaut auch hier der Zuzug ab. Zudem sind die meisten Gemeinden, besonders auch die jüdischen, bestrebt, ein eigenes Gotteshaus zu bauen oder zu kaufen. Und für kulturelle und soziale Nutzungen besteht das gleiche Problem wie für die kirchliche: Die Finanzierung wird immer schwieriger.

Distanzierung von der kommerziellen Nutzung

Ist bei einer kulturellen oder sozialen Nutzung mit Vorträgen, Ausstellungen oder Beratungsgesprächen noch eine Mitnutzung der Kirche für die Gottesdienste möglich, geht das bei einer kommerziellen Weiterverwendung nicht mehr. Wohnungen, Büros oder auch Werkstätten kommen für eine Nutzungsänderung in Frage – wichtig ist besonders für die katholische Kirche, dass die neue Nutzung dem Charakter des Gebäudes nicht zuwider laufen darf. Aber auch die evangelische Kirche versucht so viel Einfluss wie möglich auf die weitere Nutzung auszuüben – von einer „Kirchenfeindlichkeitsklausel“ in Verträgen ist die Rede. Abhängig vom künftigen Gebrauch wird auch entschieden, ob das Gebäude verkauft oder nur verpachtet wird. Bleibt die Gemeinde selbst Eigentümer, kann man unter Umständen größeren Einfluss auf die Mieter ausüben und Verträge im eigenen Sinne gestalten. Verkauft man die Kirche, kann man sich leichter vom Nachnutzer distanzieren. Nach Möglichkeit sollte jedoch in allen Fällen die Kirche wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden können.

Beide Kirchen äußern sich in ihren Leitfäden nicht eindeutig zu den Möglichkeiten der künftigen Nutzung, der schwammige Begriff von einer „Nutzung, die den Kircheninteressen widerspricht“ lässt viele Deutungen und Einzelmeinungen zu. Sich den hohen Anforderungen, die die Kirchen an ihre Nachnutzer stellen, zu unterwerfen, sind jedoch wahrscheinlich nur wenige Nutzer bereit. Hinzu kommt, dass keine Planungssicherheit herrscht – die Gemeinden können unter Umständen anders entscheiden, als übergeordnete Instanzen, Verhandlungen sind langwierig und Umbau bzw. Erhalt eines Kirchengebäudes kosten im Regelfall deutlich mehr, als ein Neubau.

Ultima Ratio: Abriss

Die letzte Möglichkeit für die evangelische wie die katholische Kirche ist der Abriss. Er soll um jeden Preis vermieden werden, denn eine Kirche ist kein Gebäude wie jedes andere – sie ist Identifikationspunkt, besonders im dörflichen Bereich, ist sie mit Erinnerungen verbunden und für die katholischen Christen ist sie Gott auf ewig geweiht. Und doch ist Abriss eine Alternative – bei einer architektonisch und kunsthistorisch unbedeutenden Kirche. Sie kann einer kostspieligen Bauunterhaltung oder einer unangemessenen Weiternutzung vorzuziehen sein.

Sicher werden die Kirchen alles tun, um einen Abriss ihrer Kirchen zu vermeiden – besonders dann, wenn es sich um die Kirchen mit dem bereits erwähnten „Symbolgehalt“ handelt. Man wird sich vielmehr aus der Verantwortung ziehen und das Gelände mitsamt Kirche verkaufen – der Nachnutzer soll entscheiden ob er abreißt oder nicht. In den meisten Fällen wird er sich wohl für den Abriss entscheiden. Zudem ist nicht klar, wer nach welchen Kriterien prüft, ob eine Kirche architektonisch oder kunsthistorisch bedeutend ist. Häufig entscheiden die Gemeinden welche ihrer Kirchen erhalten werden sollen, auch eine rein sachliche Entscheidung „von oben“ gibt es. Ob eine Kunstkommission hinzugezogen wird, ist von Fall zu Fall unterschiedlich.

Abwarten – und dann?

Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche gehen in ihren Leitfäden darauf ein, dass ein zurzeit nicht genutztes Kirchengebäude nicht unbedingt sofort umgenutzt oder abgerissen werden muss. Die Konservierung der Kirche im derzeitigen Zustand bietet eine Bedenkzeit, in der weitere Möglichkeiten ausgelotet werden können.

Gerade die evangelische Kirche erwähnt in ihrem Leitfaden jedoch auch den Aspekt, dass ein länger nicht genutztes Gebäude keinen hohen Identifikationswert mehr hat. Daher ist anzunehmen, dass mit einer solchen Ruhezeit nur die Widerstände innerhalb der Bevölkerung gegen eine Umnutzung oder einen Abriss sinken. In Anbetracht der demographischen Entwicklung und der voranschreitenden Abkehr von der Kirche ist kaum anzunehmen, dass eine nicht genutzte Kirche wieder in den sakralen Gebrauch kommt, bevor sie vollständig verfallen ist.

Keine Sekten oder Diskos

„Das Gebäude darf nicht karikiert oder verunglimpft werden“, schreibt die evangelische Kirche zu den Dingen, die gar nicht in einem ehemaligen Kirchengebäude stattfinden dürfen. Die katholische Kirche wird konkreter: „Die kultische Nutzung durch nichtchristliche Religionsgemeinschaften (z.B. Islam, Buddhismus, Sekten) ist – wegen der Symbolwirkung einer solchen Maßnahme – nicht möglich.“ Auch sollen bei einer Umnutzung die sakralen Gegenstände aus der Kirche entfernt werden. Sie sollen einen neuen Platz finden, das kann in der „neuen“ Kirche der Gemeinde sein oder auch in einer anderen Kirche oder Kapelle. Immer wieder zitierte Schreckensvorstellung, gerade der katholischen Kirche, ist eine Diskothek im Gotteshaus mit Tanz auf dem Altar.

Es scheint als hätten die Kirchen Angst vor einer „feindlichen Übernahme“, wenn sie nichtchristlichen Religionsgemeinschaften verweigern wollen, ihre Gotteshäuser weiterzunutzen. Doch kann und sollte diese mögliche Verletzung der Gefühle der Christen nur von Christen selbst bewertet werden. Vom reinen Architektur-Standpunkt wäre eine Nutzung als Moschee sicher eine gute Lösung, insbesondere da einige moderne Kirchen dem Charakter einer Moschee sehr nahe kommen. Auch eine Diskothek in einer ehemaligen Kirche wäre vom Raumeindruck zu befürworten, da der Innenraum bei einer solchen Nutzung frei bleibt und das Gebäude bei einer gekonnten Gestaltung gut in Szene gesetzt werden könnte.

Abschied von der Kirche

Nur die katholische Kirche macht in ihrem Leitfaden einen Vorschlag, wie der letzte Gottesdienst in der alten Kirche zu feiern ist. Für diese Profanierung gibt es zwei unterschiedliche Gottesdienstordnungen, ohne oder mit Prozession zur neuen Gemeindekirche. Im Regelfall sollte der Bischof dem Profanierungsgottesdienst vorstehen, er feiert die Messe mit den Priestern, die bisher für die Gottesdienste in der Kirche zuständig waren. Der Verabschiedungsgottesdienst sollte besonders feierlich gestaltet werden und in Dankbarkeit an die Vergangenheit der Kirche erinnern. In der Messe wird das Dekret zur Profanierung verlesen, am Ende der Messe wird das Ewige Licht gelöscht.

Arbeitshilfe „Umnutzung von Kirchen“ der Deutschen Bischofskonferenz (PDF)

„Weniger ist mehr“ der Evangelischen Kirche im Rheinland (PDF)