Regeln und Verbote sind ihrer Natur nach ambivalent: Sie schreiben Grenzen fest, bilden aber gleichzeitig einen Rahmen für deren Übertretung. Das Dekorverdikt der Moderne, jene stabile ästhetische Überzeugung, hatte bis in die Postmoderne Bestand, ohne von ihr wirklich aufgeweicht zu werden. Man kann die Architekturästhetik des letzten Jahrhunderts wahrscheinlich sehr genau beschreiben, wenn man die Abweichungen von diesem Reinheitsgebot bestimmt, das jede semantische Aufladung von Architektur untersagt.
Schluss mit der ästhetischen Askese
Eine traumatische Urszene für jeden Architekten ist die handstreichartige Abwandlung des dezidierten ästhetischen Konzepts, das der Bauherr schon mal vornimmt. Da wird dann der gebürstete Edelstahl, in dem ein Eingangsbereich geplant war, schnell zum aubergine glänzenden Kunststoff (‚is markanter, nicht so karg, lockt unsere Kunden …’). Aber es sind nicht nur die Bauherren, die den Architekten in Verzweiflung und Resignation treiben. Wenn dann erst die Menschen die Bauwerke benutzen, machen sie schlicht was sie wollen. Und wenn es einen saisonalen Anlass gibt, dann ist erst recht Schluss mit der ästhetischen Askese.
Aufstand der Weihnachtsmänner
Seit einigen Jahren gibt es eine weihnachtliche Invasion von Kunststoffbeuteln in Form von Weihnachtsmännern. Diese werden gefüllt mit, was weiß ich, mit diesen essbaren Verpackungsflips vielleicht? Meist werden sie aber nur zur Hälfte befüllt und an die Fassade gehängt, dann sehen sie wie Untote aus. In Posen – Schwamm drüber. Vermutlich sind es die Geister gedemütigter Architekten, die ihre Häuser wieder in Besitz nehmen wollen.
Wenn man kein Verschwörungstheoretiker ist, steht man etwas ratlos vor diesem Phänomen. Wettbewerb, Renommiersucht? Eher gewöhnlicher Exhibitionismus. Und wo der Weihnachtsmann an der Hauswand degoutantem Modeschmuck entspricht, kann die weihnachtliche Illumination von Gebäuden durchaus als Abendkleid gelten. Da kann man sich vergreifen, aber es gibt auch betörende Ausnahmen……….
Axel Joerss